Amtsgericht Bremen, Beschluss vom 29.04.2015 – 64 F 3252/14 SO

In der Kindschaftssache
betreffend die elterliche Sorge für V. L.

Beteiligte:

hat das Amtsgericht – Familiengericht – Bremen durch den Richter am Amtsgericht L. am 29.04.2015 beschlossen:

Den Kindeseltern werden folgende Teilbereiche der elterlichen Sorge für V. L., geb. am …, wohnhaft … Bremen entzogen: das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht, öffentliche Hilfen zu beantragen. Im Umfang der Sorgerechtsentziehung wird das Jugendamt Bremen als Pfleger bestellt.

Es wird davon abgesehen, Gerichtskosten zu erheben.

Außergerichtliche Aufwendungen werden nicht erstattet.

Gründe: 

I.

V. wurde am … als zweiter Sohn der verheirateten Eltern (nachfolgend Kindesmutter) und (nachfolgend Kindesvater) geboren. Den Kindeseltern steht die elterliche Sorge für V. gemeinsam zu. Sie leben seit 2013 getrennt.

Die Kindesmutter, die bereits vor V. Geburt drogenabhängig war und nach einer zunächst erfolgreichen Therapie einen Rückfall hatte, hat in November 2012 und April 2013 jeweils eine weitere Therapie ihrer Heroinabhängigkeit abgebrochen. Trotz Abbruch der Therapie gelang es ihr nach ihrer Trennung von dem ebenfalls drogenabhängigen Kindesvater im Sommer 2013 vorübergehend drogenfrei zu leben. Ein Haartest ergab im Januar 2014 keine Hinweise auf einen Drogenkonsum. Weihnachten 2014 konsumierte die Kindesmutter allerdings erneut Heroin. Als Grund gab sie an, dass sie Ärger mit Ihrer Familie gehabt habe. Als sie am 09.01.2015 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert wurde, wurde sie ebenfalls positiv auf Drogen getestet. Sie hat dann einen Entzug gemacht. Seit 27.01.2015 ist sie wieder auf freiem Fuß. Sie wird substituiert und hält Kontakt zu Comeback. Sie hat seit August 2014 eine eigene Wohnung, hält sich aktuell aber überwiegend im Krankenhaus auf, um dort ihre am … geborene Tochter M. zu versorgen. Bei ihrer Inhaftierung wusste sie bereits von ihrer Schwangerschaft, hatte dies aber niemandem gesagt. Die Kindesmutter beabsichtigt eine Mutter-Kind-Therapie ihrer Drogenabhängigkeit in der Einrichtung Bödigger Berg bei Kassel, kann diese aber trotz Zusage der Einrichtung bis auf weiteres nicht antreten, weil die gesundheitliche Situation ihrer Tochter, die u.a. mit einem Herzfehler und einem offenen Kopf geboren wurde, trotz einer ersten OP am Kopf nicht ausreichend stabil ist, um eine gemeinsame Therapie zu beginnen.

Der Kindesvater hat seit Abbruch seiner Drogentherapie im April 2013 keine weitere Therapie begonnen. Er war zwischenzeitlich inhaftiert und arbeitete zuletzt bis August 2014 als Hafenarbeiter. Seitdem er seine Arbeit verloren hat, wohnt er in einer Männerwohngruppe in einer Obdachloseneinrichtung in X. Er hat seit Februar 2013 keinen Kontakt zu V.

V. ist erstmals am 06.11.2012 aufgrund des Therapieabbruchs durch die Kindesmutter mit Einverständnis der Kindeseltern in Obhut genommen worden. Er befand sich in einer Übergangspflegestelle, musste diese dann aber aufgrund einer schweren Erkrankung der Pflegemutter im März 2013 in eine andere Übergangspflegestelle wechseln. Dort lebt er seitdem. Im August 2013 war eine Rückführung V. zur Kindesmutter geplant, die zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Großmutter in Bremerhaven wohnte. Zu einer Rückführung kam es jedoch nicht, weil die Kindesmutter inzwischen einen Mann in Bremen kennen gelernt hatte und deshalb zunächst in eine eigene Wohnung in Bremen und dann in die Wohnung dieses Mannes zog. Da der Haartest auf Drogen für diesen Mann im Januar 2014 positiv ausfiel, und die Kindesmutter auch nach ihrem Umzug in eine eigene Wohnung im August 2014 weiter Kontakt zu ihm unterhielt, unterblieb eine Rückführung V. in den gemeinsamen Haushalt. Die Kindesmutter plante für sich eine Drogentherapie in einer Mutter-Kind-Einrichtung gemeinsam mit V. Dann wurde sie allerdings Weihnachten 2014 rückfällig. V. kann in der Übergangspflegestelle nicht länger bleiben, da der Pflegemutter eine langfristige Pflege V. nicht möglich ist. V. hat sich in der Pflegefamilie zunächst nur mit Schwierigkeiten eingelebt. Er schrie lange nachts im Schlaf und hat auch jetzt noch häufig Wutausbrüche, die auch eine Stunde andauern können. Er provoziert die anderen Kinder der Familie durch stereotypes Verhalten.

Das Gericht hatte durch Beschluss vom 17.11.2014 ein familienpsychologisches Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter und/oder des Kindesvaters beauftragt. Aufgrund des Rückfalls, der Inhaftierung und der dadurch bekannt gewordenen weit fortgeschrittenen Schwangerschaft der Kindesmutter wurde der Begutachtungsprozess bis zum Termin zur Erörterung vom 28.04.2015 nicht abgeschlossen. Im Termin äußerte der Sachverständige die vorläufige Einschätzung, dass Frau L. Erziehungsfähigkeit wegen ihrer Drogenproblematik und ihrem psychotherapeutischen Beratungsbedarfs gegenwärtig als eingeschränkt erachte und sie einem Kind wie V., das hohe Anforderungen an die Erziehungsfähigkeit seiner Bezugspersonen stelle, nicht die notwendigen stabilen Lebensverhältnisse gewähren könne. Es sei eine mittel- bis langfristige Aufgabe für Frau L., sich ausreichend zu stabilisieren, da sie bereits drei Drogentherapien absolviert habe und es ihr bislang nicht gelungen sei, ein soziales Beziehungsgefüge außerhalb des Drogenmilieus aufzubauen.

Die Kindesmutter äußerte im Termin vom 28.04.2015, dass sie einen Entzug der im Tenor genannten Teile der elterlichen Sorge durch einen gerichtlichen Beschluss aufgrund ihrer aktuellen Lebenssituation mittragen könne, auch wenn ihr dies schwer falle. Sie strebe eine Rückführung V. an, sobald sie eine Drogentherapie abgeschlossen und gezeigt habe, dass sie drogenfrei und stabil leben könne. Sie möchte V. weiter regelmäßig sehen.

Das Jugendamt und der Verfahrensbeistand wurden im Termin vom 28.04.2015 angehört, auf das Sitzungsprotokoll wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

II.

Den Kindeseltern waren gemäß §§ 1666, 1666a BGB die aus dem Tenor ersichtlichen Teile der elterlichen Sorge zu entziehen. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kindeseltern gegenwärtig nicht in der Lage sind, ausreichend für das Wohl V. zu sorgen, und dass bei einer Rückkehr V. zur Kindesmutter oder zum Kindesvater dessen Wohl gefährdet wäre.

Die Kindesmutter konnte ihre Lebenssituation bislang nicht ausreichend stabil gestalten, um V. ein Lebensumfeld gewähren zu können, in dem er die notwendige Konstanz seiner Lebensumstände und Bezugspersonen erhält. V. benötigt nach dem zweimaligen Verlust seiner Hauptbezugsperson in der Vergangenheit und dem absehbaren weiteren Verlust der aktuellen Pflegemutter als Hauptbezugsperson ein auf lange Sicht konstantes Beziehungsumfeld. Die Kindesmutter kann jedoch aufgrund der Notwendigkeit einer Drogentherapie und der Unklarheit über den möglichen Beginn und Erfolg einer solchen Therapie derzeit keine Gewähr dafür bieten, durchgängig für V. als Hauptbezugsperson unmittelbar erlebbar zu sein. Außerdem erscheint sie aufgrund ihrer Inanspruchnahme durch ihre neugeborene schwer kranke Tochter M. und ihrer eigenen psychischen Instabilität, die sich u.a. in dem Drogenrückfall zu Weihnachten 2014 zeigt, auch mit staatlicher Unterstützung bis auf weiteres nicht ausreichend in der Lage, die hohen Anforderungen, die V. an die emotionale Belastbarkeit seiner Hauptbezugsperson stellt, zu erfüllen. Bei einer Rückkehr V. zur Kindesmutter wäre daher aktuell seine geistig-seelische Entwicklung gefährdet. Dies schätzt die Kindesmutter auch selbst so richtig ein.

Der Kindesvater erscheint aufgrund seiner aktuellen Wohnumstände und dem seit längerem fehlenden Kontakt zu V. nicht erziehungsgeeignet. Zudem hat er in der Anhörung vom 31.10.2014 ausgeschlossen, dass V. aktuell bei ihm leben könnte.

Die Bereitschaft der Kindesmutter, V. in einer Erziehungsstelle oder Pflegefamilie zu belassen, macht den Entzug der im Tenor genannten Teile der elterlichen Sorge nicht entbehrlich. Das Gericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass diese Bereitschaft der Kindesmutter ausreichend tragfähig ist.

Da andere Maßnahmen hier nicht ausreichen, war den Kindeseltern die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht der Gesundheitsfürsorge und Recht der Beantragung öffentlicher Hilfen zu entziehen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 80, 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.

Rechtsbehelfsbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats bei dem Amtsgericht Bremen, Ostertorstr. 25 – 31, 28195 Bremen, einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung.

Beschwerdeberechtigt ist, wer durch die Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Darüber hinaus können Behörden Beschwerde einlegen, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Ein Kind, für das die elterliche Sorge besteht oder ein unter Vormundschaft stehendes Mündel kann selbstständig ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters Beschwerde einlegen, wenn es über 14 Jahre alt und nicht geschäftsunfähig ist.

Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

Die Beschwerde soll begründet werden.

L
Richter am Amtsgericht

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