BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 1 BvR 374/09

Das Gericht hat zu prüfen, ob eine nachhaltige und schwerwiegende Kindeswohlgefährdung vorliegt. Es reicht insoweit nicht aus, wenn lediglich festgestellt wird, dass „es dem Kindeswohl am ehesten entspricht“, wenn das Kind nicht bei seinen Eltern, sondern in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt.

Zudem hat das Gericht darzulegen, welche konkreten Schäden aufgrund des elterlichen Verhaltens bei dem Kind gegeben oder zu befürchten sind und ob diese ein Ausmaß  erreichen, die eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge rechtfertigen würde. Zudem hat das Gericht festzustellenm, inwieweit die Bindungsstörung des Kindes tatsächlich durch ein Verhalten der  Eltern verursacht oder auch durch den vom Jugendamt veranlassten häufigen Betreuerwechsel mit ausgelöst worden ist. Eine Bindungsstörung  des Kindes muss derart schwerwiegend sein, dass sie seine Herausnahme aus dem gemeinsamen Haushalt der Eltern erfordert.

Will das Gericht von einem Erziehungsversagen der Kindeseltern ausgehen, hat es eine hierdurch bedingte nachhaltige Gefährdung des geistigen oder seelischen Wohls  des Kindes festzustellen.

Beziehungsprobleme der Kindeseltern stellt keinen hinreichenden Grund für eine Trennung des Kindes von den Eltern dar, wenn keine Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung des Kindes bestanden hat. Zudem ist stets die Gegenwärtigkeit einer angenommenen Kindeswohlgefährdung erforderlich.

Auch ein erheblicher sprachlicher Förderbedarf des Kindes stellt keinen hinreichenden Grund für eine Trennung des Kindes von den Eltern dar, wenn sich die Eltern um eine Sprachförderung ihrer Kinder gekümmert haben.

Auch die Gefahr einer erneuten Trennung der Kindeseltern vermag nur schwerlich einen Entzug des Sorgerechts zu begründen.

Der Umstand, dass das Kind an anderer Stelle möglicherweise ein strukturierteres und verlässlicheres Umfeld mit besseren Förderungsmöglichkeiten geboten werden kann, vermag eine (teilweise) Sorgerechtsentziehung nicht zu begründen.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

Im Namen des Volkes

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

1. des Herrn v. d . L…,
2. der Frau v. d. L…,

– Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Marcus Gnau,
Am Bornacker 10, 61231 Bad Nauheim –

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Dezember 2008 – 18 UF 121/08 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 8. Mai 2008 – 42 F 641/07 SO –

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Kirchhof

am 29. Januar 2010 einstimmig beschlossen:

Die Beschlüsse des Amtsgerichts Stade vom 8. Mai 2008 – 42 F 641/07 SO – und des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Dezember 2008 – 18 UF 121/08 – verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerde wird auf 14.000 € (in Worten: vierzehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die teilweise Entziehung des Sorgerechts für ihre Tochter.

1. Die seit Oktober 2002 verheirateten Beschwerdeführer sind die Eltern der im Januar 2003 geborenen V. Das Mädchen leidet an einer Sprachentwicklungs- und Sprechstörung.

a) Erstmals im Dezember 2006 stritten die Beschwerdeführer über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter. Hintergrund waren nach dem vom Beschwerdeführer zu 1) bestrittenen Vortrag der Beschwerdeführerin zu 2) gewalttätige Auseinandersetzungen in der Familie. Im Anschluss an einen Polizeieinsatz nahm der Beschwerdeführer zu 1) die gemeinsame Tochter mit sich und zog zu seiner Schwester. Die Beschwerdeführerin zu 2) ging ins Frauenhaus. In der Folgezeit versöhnten sich die Beschwerdeführer und lebten wieder zusammen. Dennoch beantragte der Beschwerdeführer zu 1) im Januar 2007 die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.

Im Februar 2007 setzte das zuständige Kreisjugendamt zwei Familienhelferinnen ein. Eine Helferin übernahm die Betreuung des Kindes und die Gespräche mit dem Beschwerdeführer zu 1), während sich die andere um die Beschwerdeführerin zu 2) kümmerte und in der Paarbeziehung Hilfestellung geben sollte. Mit Unterstützung der Familienhelferinnen ging die Beschwerdeführerin zu 2) im Juni 2007 erneut ins Frauenhaus. Die Tochter blieb bei dem voll berufstätigen Beschwerdeführer zu 1). Dieser setzte sich dafür ein, dass sie ab August 2007 einen Sprachheilkindergarten besuchen konnte. Er engagierte sich im Kindergarten und wurde zum Elternsprecher gewählt. Zu seiner Unterstützung verblieb es bei der eingesetzten Familienhilfe durch nunmehr eine Helferin. Zusätzlich wurde eine Wochenpflege eingerichtet, damit eine Betreuung des Kindes während der Schichten des Beschwerdeführers zu 1), der als Kurierfahrer tätig ist, sichergestellt war. Darüber hinaus übernachtete das Mädchen während seiner Nachtschichten zweimal wöchentlich in der Pflegefamilie.

Im September 2007 beantragte die Beschwerdeführerin zu 2) beim Familiengericht eine Regelung des Umgangs und eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich. Der Beschwerdeführer zu 1) war durch Streitigkeiten mit Nachbarn und Klienten sowie der Beschwerdeführerin zu 2) in Anspruch genommen. Mehrfach fanden Krisengespräche mit dem Jugendamt statt, um ihn bei der Erziehung seiner Tochter zu unterstützen. Es kam wiederholt zu aggressiven Ausbrüchen, etwa im Anwaltsbüro der damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) oder bei Stellung seiner Anträge bei Gericht, wobei seine Tochter jeweils anwesend war. Im November 2007 bat der Beschwerdeführer zu 1) mehrfach, teilweise auch zu späten Abendzeiten, um Unterstützung durch die Familienhelferin.

b) Am späten Abend des 16. Dezember 2007 rief der Beschwerdeführer zu 1) die Familienhelferin an und bat um Hilfe bei einem Erziehungsproblem. Das nachfolgende Geschehen wird von beiden unterschiedlich geschildert. Nach dem Bericht der Familienhelferin, die auch die Polizei hinzugezogen hatte, habe der Beschwerdeführer zu 1) Suizidabsichten geäußert. Der Beschwerdeführer zu 1) bestreitet das. Die Familienhelferin nahm das Kind über Nacht mit zu sich nach Hause. Am Folgetag wurde das Mädchen durch das Jugendamt in Obhut genommen. Auf dessen Antrag hin entzog das Amtsgericht am 21. Dezember 2007 den Beschwerdeführern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter und übertrug es auf das Jugendamt als Pfleger. Mit Beschluss vom 25. Januar 2008 hielt das Amtsgericht nach mündlicher Anhörung an seiner einstweiligen Anordnung fest. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1) blieb erfolglos. Das Kind wurde in eine Pflegefamilie gegeben.

Anfang April 2008 benachrichtigte das Jugendamt im Zuge einer Meinungsverschiedenheit mit dem Beschwerdeführer zu 1) erneut die Polizei. Nach Auffassung des Jugendamts sollte das Kind wegen eines Schnupfens einen Impftermin, zu dem der Beschwerdeführer zu 1) es bringen wollte, nicht wahrnehmen. Nachdem der vom Beschwerdeführer zu 1) angerufene Kinderarzt der Pflegemutter telefonisch erklärt hatte, dass ein Schnupfen einer Impfung nicht im Wege stehe, ließ sie das Kind doch mit ihm zum Arzt gehen. Nach dem Termin brachte der Beschwerdeführer zu 1) seine Tochter zurück in die Pflegefamilie.

In der Hauptsacheverhandlung vor dem Amtsgericht am 29. April 2008 erläuterte der Sachverständige mündlich sein Gutachten, in dem er eine Unterbringung des Mädchens in einer Jugendhilfeeinrichtung empfahl. Die Entscheidung der Sorgerechtsfrage wurde vom Gericht zunächst zurückgestellt, um den Beschwerdeführern Gelegenheit zu geben, darüber achzudenken, ob sie dieser Empfehlung grundsätzlich folgen wollen.

Am Tag nach der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer zu 1) seine Tochter nach einem Umgang nicht zurück. Das Jugendamt hatte zuvor einem weiteren Umgang am 1. Mai 2008 nicht zugestimmt. Der Beschwerdeführer zu 1) telefonierte mit der Familienrichterin und dem Gutachter und erklärte, er habe seiner Tochter ein Bett in seinem Lkw gemacht und wolle mit ihr ins Ausland flüchten. Auf die Intervention des Sachverständigen brachte er sie zurück zur Pflegefamilie.

Am 1. Mai 2008 verriegelte der Beschwerdeführer zu 1) die Türen seines Lkw, in dem sich auch die Beschwerdeführerin zu 2) befand und drohte, gegen einen Brückenpfeiler zu fahren. Die Beschwerdeführerin zu 2) konnte erst nach längerer Zeit in der Nähe der Wohnung der Pflegeeltern aus dem Wagen flüchten. Es kam zu einem Polizeieinsatz. Das Kind wurde vom Jugendamt aus der Pflegefamilie herausgenommen und anonym untergebracht. Es besucht nunmehr einen den Beschwerdeführern unbekannten integrierten Kindergarten.

c) Mit – angegriffenem – Beschluss vom 8. Mai 2008 entzog das Amtsgericht auf Antrag des Jugendamts den Beschwerdeführern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der Gesundheitsfürsorge und schulischer Angelegenheiten sowie das Recht, Sozialleistungen zu beantragen.

aa) Das Gericht schließe sich den Feststellungen des Sachverständigen an, wonach es dem Kindeswohl am ehesten entspreche, wenn V. nicht bei ihren Eltern, sondern in einer Jugendhilfeeinrichtung lebe. Die Beschwerdeführerin zu 2) sei erkennbar derzeit nicht in der Lage, eigenverantwortlich und in Abgrenzung zum Kindesvater für die Tochter zu sorgen. Sie sei selber umfassend auf Hilfe angewiesen. Ihre Beziehungsprobleme mit dem Beschwerdeführer zu 1) seien gänzlich unaufgearbeitet. Sie bedürfe dringend der Unterstützung vom Beschwerdeführer zu 1) unabhängiger Personen. Da sie allein nicht für sich sorgen könne, habe sie nach der Entlassung aus dem Frauenhaus wieder dessen Hilfe in Anspruch genommen, was zu einer erneuten Abhängigkeit führe und überdies auch den Beschwerdeführer zu 1) emotional überlaste, da er neben den eigenen Problemen auch seine Frau unterstützen müsse. Weitere Eskalationen aufgrund dieser wechselseitigen Abhängigkeiten bei gleichzeitig erheblichem Konfliktpotential seien zu befürchten.

Auch der Beschwerdeführer zu 1) sei vor dem Hintergrund seiner unbehandelten psychischen Probleme nicht in der Lage, die Tochter in seinem Haushalt zu versorgen. Er habe selber in seiner Kindheit traumatisierende Erfahrungen durch Fremdunterbringung gemacht, die für seine Persönlichkeitsstörung mitverantwortlich zeichnen dürften. Sie stünden seiner Bereitschaft, Verantwortung für sein Kind auf Dritte zu übertragen, im Wege. Er misstraue jedem, verkenne dabei aber die eigenen Defizite.

Maßnahmen der Familienhilfe seien gescheitert und offensichtlich nicht ausreichend. Die Ansicht der Beschwerdeführer, sie hätten für ihr Kind eigenverantwortlich sorgen können, wenn sie nur richtig betreut worden wären, teile das Gericht nicht. Zwar werde nicht verkannt, dass aufgrund von Krankheitsfällen und dadurch bedingten Sachbearbeiterwechseln und Vertretungslagen im Jugendamt Krisengespräche nicht immer zeitnah durchgeführt worden seien. Dessen ungeachtet seien die Kindeseltern durchgehend seit Februar 2007 zeitintensiv betreut worden. Die Berichte der Familienhelferin belegten den erheblichen zeitlichen Aufwand, den hohen Redebedarf des Beschwerdeführers zu 1), der umfassender Unterstützung bei der Regelung seiner privaten und beruflichen Probleme bedurft habe. Der Beschwerdeführer zu 1) sei trotz dieser umfangreichen Unterstützung aufgrund einer Vielzahl von persönlichen und beruflichen Problemen immer wieder und mit zunehmender Tendenz überfordert. Die Angebote der Familienhelferin, Erziehungshilfegespräche mit ihr oder der Erziehungsberatungsstelle zu führen, habe er nicht mehr angenommen. Ebenso wenig sei er bereit gewesen, sich therapeutisch behandeln zu lassen. Anders als vom Beschwerdeführer zu 1) vorgetragen, sei es schon zu der Zeit, als sich seine Tochter noch in seiner Obhut befunden habe, immer wieder zu erheblichen Kontrollverlusten seinerseits gekommen, die für sie sehr schädlich gewesen seien. Exemplarisch sei auf die Vorfälle in der Anwaltskanzlei der ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) verwiesen. Hinzu gekommen seien die teilweise auch gerichtlichen, Auseinandersetzungen mit Nachbarn.

Der hohe Hilfebedarf der Beschwerdeführer sei im Rahmen ambulanter Maßnahmen nicht so zu leisten, dass es verantwortbar wäre, ihre Tochter in den elterlichen Haushalt zurückkehren zu lassen. Hierbei sei insbesondere der erhebliche Förderbedarf des Kindes, das mit jetzt fünf Jahren erhebliche sprachliche Defizite aufzuholen habe und aufgrund seiner Bindungsstörung dringend ein verlässliches Umfeld mit klaren Strukturen brauche, zu bedenken. Ein solches verlässliches Umfeld mit klaren Erziehungsstrukturen und einem geregelten ruhigen Alltag könnten ihm die Beschwerdeführer nicht bieten. Seit der Inobhutnahme hätten sie trotz dringenden gerichtlichen und gutachterlichen Rats eine psychologische Behandlung nicht aufgenommen. Die Beschwerdeführer seien – nach mehrfachen Trennungen, die teilweise durch Polizeieinsätze oder Familienhelfer und das Frauenhaus begleitet worden seien – nunmehr sogar erneut zusammengezogen. Sie würden daher erheblichen persönlichen Hilfebedarf haben. Neuerliche Konflikte seien wahrscheinlich. Ihre Tochter habe bereits zwei Trennungen der Eltern, denen heftigste Auseinandersetzungen mit Gewaltvorwürfen der Beschwerdeführerin zu 2) vorausgegangen seien, durchgemacht. Verbunden seien diese Trennungen immer wieder mit Umzügen und einseitigen Kontaktabbrüchen sowie einer hohen emotionalen Belastung der Beschwerdeführer. Unter Berücksichtigung ihres schon erheblichen Aufholbedarfs könne es nicht verantwortet werden, sie diesen instabilen Verhältnissen erneut auszusetzen.

bb) Die Kindeseltern seien derzeit nicht in der Lage, ihr Sorgerecht zum Wohle der Tochter unter Berücksichtigung ihrer eigenen Defizite einzusetzen und sich auf eine Fremdunterbringung wirklich einzulassen. Das Verhalten des Beschwerdeführers zu 1) belege, dass er nicht in der Lage sei, seine Emotionen zu steuern, sobald eine für ihn unverständliche Entscheidung getroffen werde. Er sei dann bereit, zu Mitteln zu greifen, die nicht nur von strafrechtlicher Konsequenz, sondern in hohem Maße kindeswohlgefährdend seien. Dies zeigten die Vorfälle vom 30. April und 1. Mai 2008. Da der Beschwerdeführer zu 1) grundsätzlich erkennbar um das Wohl seiner Tochter bemüht und für jeden Beteiligten ersichtlich gewesen sei, dass dieses völlig inakzeptable Vorgehen zu einer Herausnahme des Kindes führen müsse, könne nur geschlussfolgert werden, dass er in Stresssituationen überhaupt nicht in der Lage sei, sein Verhalten zu steuern. Er verliere in seiner großen Sehnsucht nach Nähe zu seinem Kind dessen Wohl aus den Augen.

Sofern der Beschwerdeführer zu 1) sich darauf zurückziehe, sein Verhalten sei allein durch das Jugendamt provoziert worden, sei dies vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen nicht richtig. Zwar habe der Sachverständige das Verhalten des Jugendamts bei der Absprache zweier Arzttermine und bei dem Umgang mit den Beschwerdeführern kritisch gewürdigt. Dies ändere aber nichts an den Erziehungsdefiziten der Beschwerdeführer. Zudem schilderten fast alle Verfahrensbeteiligten übereinstimmend, dass der Beschwerdeführer zu 1) in seinem Gebaren zeitweilig als bedrohend empfunden werde und seinem sehr großen Rede- und Hilfebedarf zeitweilig nicht entsprochen werden könne. Der Beschwerdeführer zu 1) habe die Kontakte zu seiner Tochter als unzureichend empfunden und sich daran so aufgerieben, dass es immer wieder zu Streitigkeiten in ihrem Beisein und lautstarken telefonischen Auseinandersetzungen mit den Pflegeeltern gekommen sei. Im Rahmen einer Fremdunterbringung müsse er jedoch akzeptieren, dass Umgangskontakte nur nach Absprache und unter Berücksichtigung der Belange des Kindes und des Tagesablaufs in der Pflegefamilie oder Einrichtung möglich seien.

Der Entscheidung stehe auch nicht der Kindeswille entgegen. V. habe eine sehr enge Bindung an ihren Vater. Sie habe in der richterlichen Anhörung und auch der Pflegemutter gegenüber immer wieder nach ihrem Vater gefragt. Aufgrund der schweren Auffälligkeiten des Beschwerdeführers zu 1) sei jedoch derzeit ein unkontrollierter Umgang kindeswohlgefährdend. Es müsse eine Stabilisierung des Beschwerdeführers zu 1) durch eine therapeutische Behandlung eintreten, wobei von ihm erwartet werde, dass er aus eigener Anstrengung beginne, von Schuldzuweisungen gegen Dritte abzusehen und an sich zu arbeiten.

d) Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführer wies das Oberlandesgericht Celle mit – angegriffenem – Beschluss vom 19. Dezember 2008 mit der Maßgabe zurück, dass eine Einzelpflegschaft für V. angeordnet wird.

Die Entscheidung des Amtsgerichts sei zu Recht ergangen. Der teilweise Entzug des Sorgerechts sei gemäß § 1666 BGB erforderlich, weil ohne ihn das Wohl des Kindes gefährdet sei und mildere Maßnahmen nicht in Betracht kämen. Die Beschwerdeführer seien aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur derzeit nicht in der Lage, die Tochter kindgerecht zu betreuen, zu versorgen und in einer Weise zu fördern, die ihr eine kindgerechte und chancenreiche Entwicklung ermögliche.

Dabei sei zu unterstellen, dass sich beide Beschwerdeführer um die Tochter nach Kräften bemühen. Ihr Defizit liege jedoch darin, dass sie nicht erkennen würden, dass sie ihr durch ihr Verhalten Schaden zufügten. Dies gelte in besonderem Maße für den Beschwerdeführer zu 1). Dieser sei aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung zeitweise nicht in der Lage, sich zu steuern. Das führe zu massiven Schreiattacken und unüberlegten, panischen, fast amokartig anmutenden Verhaltensweisen, in deren Verlauf selbst erwachsenen Personen die Beruhigung des Beschwerdeführers zu 1) nicht gelinge. Ein durchsetzungsstarker Erwachsener könne sich der Situation bewusst entziehen, ein Kind sei dem Verhalten des Beschwerdeführers zu 1) hingegen hilflos ausgeliefert. Dabei realisiere der Beschwerdeführer zu 1) nicht einmal, dass er dem Kind in dieser für es fatalen Weise entgegen trete. Denn das Motiv seines Handelns scheine stets das Wohl des Kindes zu sein. Eskaliere eine Situation, so tue sie dies nach dem Empfinden des Beschwerdeführers zu 1), weil er um das Wohl des Kindes kämpfe. Dass die Eskalation der Situation das Kind schädige, reflektiere er nicht. Dass er auch im Beisein des Kindes nicht zu beruhigen sei und die Kämpfe um das Kind auch in dessen Beisein führe, sei vielfach belegt. Auch wenn das Kind anwesend sei, neige er zu völlig unkontrolliertem Verhalten. Sein Verhalten verhindere letztlich auch die konsequente Annahme erforderlicher Hilfen.

Das Verhalten der Beschwerdeführerin zu 2) stehe dem diametral entgegen. Sie ziehe sich bei den Ausbrüchen des Beschwerdeführers zu 1) vollständig zurück und sei nicht in der Lage, diesen standzuhalten. Sie sei auch nicht in der Lage, das Kind vor den Ausbrüchen des Vaters zu schützen.

Zwischenzeitlich habe sich die Situation derart zugespitzt, dass das Kind habe anonym untergebracht werden müssen. Angesichts der Umstände, die zur anonymen Unterbringung geführt hätten, sei ein unbegleiteter Kontakt derzeit ausgeschlossen. Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen sei die Aufnahme und der Nachweis einer Therapie beider Beschwerdeführer – insbesondere aber für den Beschwerdeführer zu 1) – dringend erforderlich.

Die Situation sei derzeit ohne die getroffenen Maßnahmen nicht auflösbar. Die Zurückführung des Mädchens in den elterlichen Haushalt komme nicht in Betracht, weil sein Wohl gefährdet und der Einsatz von Hilfen zur Lösung der Probleme nicht ausreichend sei. Dabei sehe der Senat, dass sich die Beschwerdeführer in der Vergangenheit derartigen Hilfen nicht verschlossen hätten. Letztlich hätten diese die schwierige Situation aber nicht auffangen können. Der Senat unterstelle, dass sich beide Beschwerdeführer intensiv um das Wohl ihrer Tochter gekümmert hätten, die Eskalationen aber nicht hätten verhindern können. Insoweit bedürfe es keiner weiteren Vernehmung von Zeugen. Der Beschwerdeführer zu 1) sei auf eine gute Außenwirkung bedacht. Dies zeige sich insbesondere in der Situation, die zu der Inobhutnahme geführt habe. Nach den glaubhaften Schilderungen der Familienhelferin habe die Hauptsorge des Beschwerdeführers zu 1) dem Umstand gegolten, dass fremde Personen den chaotischen Zustand seiner Wohnung sehen könnten. Dem Beschwerdeführer zu 1) gelinge es, Personen für sich zu instrumentalisieren, worauf insbesondere der Gutachter in dem Termin vor der Berichterstatterin des Senats hingewiesen habe. Die Personen, die der Beschwerdeführer zu 1) für sich einnehme, hätten dabei keinen Eindruck von den tatsächlichen Schwierigkeiten der Situation. Eine Aussagekraft für die Belange des Kindes komme den Darstellungen außenstehender Personen deshalb nicht zu.

Auf eine persönliche Anhörung der Familienhelferin habe verzichtet werden können. Es lägen schriftliche und nachvollziehbare detaillierte Berichte der Familienhelferin vor, die als Entscheidungshilfe ausreichen würden. Dabei komme es nicht entscheidungserheblich darauf an, wie sich die Situation vor der Inobhutnahme tatsächlich abgespielt habe. Entscheidungserheblich sei vielmehr die Situation in ihrer Gesamtheit. Angesichts der Gesamtschwierigkeiten sei die Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts die einzige Möglichkeit, einer Kindeswohlgefährdung zu begegnen.

Der Senat halte es für angezeigt, eine Einzelpflegschaft anzuordnen. Die Situation zwischen dem Jugendamt, das derzeit den Pfleger stelle und den Beschwerdeführern habe sich so zugespitzt, dass bereits ein Hausverbot ausgesprochen worden sei. Ein Einzelpfleger habe mehr Zeit und damit mehr Möglichkeiten, sich auf die Bedürfnisse der Beteiligten einzustellen, wobei angesichts der Schwierigkeiten auf Seiten des Beschwerdeführers zu 1) ein männlicher Pfleger wünschenswert sei. Ein Umgangsrecht habe der Senat nicht geregelt, da im Hinblick auf die derzeitigen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers zu 1) eine konkrete Regelung nicht möglich sei.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Regierung des Landes Niedersachsen und dem Jugendamt der Stadt B. als Pfleger des Kindes zugestellt. Das Niedersächsische Justizministerium verteidigt die Entscheidungen.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Elternrechts der Beschwerdeführer geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

a) Die Beschwerdeführer werden durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses „natürliche Recht“ den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen ( BVerfGE 60, 79 <88> ). Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben getroffenen Erziehungsentscheidung vielleicht vermieden werden könnten ( BVerfGE 34, 165 <184> ). In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (BVerfGE 60, 79 <88> m.w.N.). Der Schutz des Elternrechts, das Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173> ).

Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern als dem stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist diese allein unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen (vgl. BVerfGE 72, 122 <137 f.> ). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramtes, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91> ). Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist ( BVerfGE 60, 79 <91> ).

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung der Kinder von ihnen gesichert wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 <89> ). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>). In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass der Gesetzgeber mit § 1666 Abs. 1 in Verbindung mit § 1666a BGB eine Regelung geschaffen hat, die es dem Familiengericht ermöglicht, bei Maßnahmen zum Schutze des Kindes auch dem grundgesetzlich verbürgten Elternrecht hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 60, 79 <88 f.>; 72, 122 <138>).

Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab ( BVerfGE 72, 122 <138> ; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern oder Elternteilen das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Eltern in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen ( BVerfGE 55, 171 <181>; 72, 122 <138>). Daher können neben der Frage, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222> ).

bb) Diesen Maßstäben sind die Fachgerichte mit den angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht geworden. Sie haben vielmehr das Elternrecht der Beschwerdeführer in Umfang und Tragweite verkannt.

(1) Der amtsgerichtliche Beschluss lässt nicht erkennen, dass sich das Gericht der hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Trennung eines Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen bewusst war, die in § 1666 Abs. 1, § 1666a BGB einfachrechtlich zum Ausdruck kommen. Die vom Gericht getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des betroffenen Kindes mit der erforderlichen Sicherheit zu belegen und sind daher nicht geeignet, die Entscheidung zu tragen.

(a) Die Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses (und zuvor auch bereits die Fragestellung an den Sachverständigen) deuten darauf hin, dass das Gericht nicht von dem für die Teilentziehung der elterlichen Sorge einschlägigen Prüfungsmaßstab der §§ 1666, 1666a BGB ausgegangen ist. Das Amtsgericht nennt keine Norm, auf deren Grundlage es die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge für gerechtfertigt erachtet. Es prüft auch in der Sache nicht, ob eine nachhaltige und schwerwiegende Kindeswohlgefährdung vorliegt, sondern stellt nur fest, dass „es dem Kindeswohl am ehesten entspricht“, wenn das Kind nicht bei seinen Eltern, sondern in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt. Dies weckt erhebliche Zweifel daran, dass das Amtsgericht die verfassungsrechtliche Bedeutung des Elternrechts der Beschwerdeführer erkannt und berücksichtigt hat.

(b) Ungeachtet des angewandten Prüfungsmaßstabs vermögen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen auch inhaltlich die teilweise Sorgerechtsentziehung nicht zu rechtfertigen.

(aa) Voraussetzung der Entziehung der elterlichen Sorge ist gemäß § 1666 BGB eine Gefährdung des Kindeswohls, also ein bereits eingetretener Schaden des Kindes oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1666 Rn. 10). Nähere Ausführungen hierzu finden sich in dem angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts nicht.

Die Entscheidungsgründe enthalten weder Aussagen dazu, welche konkreten Schäden aufgrund des elterlichen Verhaltens bei dem Kind gegeben oder zu befürchten sind, noch ob diese ein Ausmaß erreichen, das eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge rechtfertigen würde. Einführend erwähnt wird lediglich, dass V. nach den Feststellungen des Gutachters an einer Bindungsstörung mit ängstlichen und distanzlosen Anteilen sowie einer Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache leide, die unter anderem auf erzieherische Schwächen aufgrund behandlungsbedürftiger Beeinträchtigungen der Eltern zurückzuführen sei. Hier stellt sich die vom Amtsgericht nicht erörterte Frage, inwieweit die Bindungsstörung des Kindes tatsächlich durch das Verhalten der Eltern verursacht oder auch durch den vom Jugendamt veranlassten häufigen Betreuerwechsel mitausgelöst worden ist. Vor allem aber wird in den Gründen des Beschlusses nicht im Ansatz darauf eingegangen, ob die Bindungsstörung des Kindes derart schwerwiegend war, dass sie seine Herausnahme aus dem mittlerweile wieder gemeinsamen Haushalt der Eltern erforderte. Auch das Sachverständigengutachten enthält hierzu keine näheren Feststellungen. Aus ihm geht insoweit nur hervor, dass sich laut Aussage der Kindergartenleiterin im März 2008 die frühere Distanzlosigkeit der Tochter der Beschwerdeführer zwischenzeitlich gebessert habe.

Hinsichtlich der Sprach- und Sprechentwicklungsverzögerung des Kindes ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer zu 1) sich engagiert um Abhilfe bemüht hat. Er hat dafür Sorge getragen, dass seine Tochter in den Sprachheilkindergarten aufgenommen wurde, wo sie nach Angaben der Kindergartenleiterin und der Wochenpflegefamilie gegenüber dem Sachverständigen gute Fortschritte gemacht habe. Eine Gefährdung durch die Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar.

(bb) Soweit das Amtsgericht im Ergebnis von einem Erziehungsversagen der Kindeseltern ausgeht, tragen die hierzu getroffenen Feststellungen jedenfalls in Bezug auf den Beschwerdeführer zu 1) diese Schlussfolgerung nicht.

Dass der Beschwerdeführer zu 1) zu einer Versorgung des Kindes in seinem Haushalt auch mit Unterstützung durch die Familienhilfe nicht in der Lage sei, begründet das Amtsgericht vor allem mit seinen unbehandelten psychischen Problemen, die der – als Kinder- und Jugendpsychiater tätige – Sachverständige als Bindungsstörung mit hoher Streitbarkeit und wiederkehrendem Kontrollverlust angesehen hat. Insoweit hat der Beschwerdeführer zu 1) allerdings – soweit nach Aktenlage ersichtlich – jedenfalls bis zur Herausnahme des Kindes aus seinem Haushalt die Schwelle verbaler Attacken gegenüber Dritten nicht überschritten. Für Gewalttätigkeiten liegen, von den widersprüchlichen früheren Angaben der Beschwerdeführerin zu 2) abgesehen, keine Anhaltspunkte vor. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer zu 1) in Stresssituationen verbal die Kontrolle verliert, rechtfertigt es aber noch nicht, ihm das Kind wegzunehmen, zumal sich die Aggressionen des Beschwerdeführers zu 1) nicht gegen seine Tochter richten. Dies gilt auch in Anbetracht des Umstands, dass der Beschwerdeführer zu 1) sich selbst in Anwesenheit seiner Tochter nicht zu zügeln vermag. Zwar ist dieses Verhalten nicht förderlich für die Erziehung des Kindes. Eine hierdurch bedingte nachhaltige Gefährdung ihres geistigen oder seelischen Wohls ist jedoch nicht festgestellt und auch nicht aus den Umständen zu erkennen. Vielmehr hat etwa die Leiterin des von dem Kind besuchten Sprachheilkindergartens gegenüber dem Gutachter erklärt, dass V. recht robust sei, sich geliebt fühle und für die ihr widerfahrenen Entwicklungsrisiken „überraschend störungsfrei“ sei. Laut dem Vater, in dessen Familie V. zur Wochenpflege war, habe das Kind die „Polterigkeit“ des Beschwerdeführers zu 1) nicht beeindruckt. Der Gutachter selbst hat zu den Auswirkungen der Schreiattacken des Kindesvaters auf die Psyche des Mädchens keine konkreten Aussagen getroffen. Soweit das Amtsgericht daher am Rande ausführt, die starke Erregung des Beschwerdeführers zu 1) sei für seine Tochter traumatisierend, ist nicht erkennbar, worauf es diese Feststellung stützt. Im Übrigen bleiben auch ihr Ausmaß und Umfang unklar.

Auch die Beziehungsprobleme der Beschwerdeführer in Verbindung mit dem erheblichen sprachlichen Förderbedarf des Kindes sind kein hinreichender Grund für seine Trennung von den Eltern. Zum einen lässt das Amtsgericht in diesem Zusammenhang gänzlich außer Betracht, dass sich der Beschwerdeführer zu 1) durchaus erfolgreich um eine angemessene Sprachförderung seiner Tochter gekümmert hat. Zum anderen verkennt es, dass die Eltern und deren sozio-ökonomische Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes gehören (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 1666 Rn. 81). Der Umstand, dass das Mädchen an anderer Stelle möglicherweise ein strukturierteres und verlässlicheres Umfeld mit besseren Förderungsmöglichkeiten geboten werden kann, vermag eine (teilweise) Sorgerechtsentziehung nicht zu begründen. Denn zum Wächteramt des Staates zählt nicht die Aufgabe, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen (vgl. BVerfGE 34, 165 <184>; 60, 79 <94> ). Dass die Beziehungsprobleme der Kindeseltern derart massiv gewesen wären, dass die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung ihrer Tochter bestanden hat, ist wiederum nicht festgestellt. Zudem ist die Gegenwärtigkeit der vom Amtsgericht insoweit angenommenen Kindeswohlgefährdung fraglich, da die elterlichen Auseinandersetzungen im Entscheidungszeitpunkt bereits mehrere Monate zurücklagen. Auch die Gefahr einer erneuten Trennung der Kindeseltern vermag nur schwerlich einen Entzug des Sorgerechts zu begründen.

(cc) Soweit das Amtsgericht weiter ausführt, dass Maßnahmen der Familienhilfe gescheitert und offensichtlich nicht ausreichend seien, ist ebenfalls keine hinreichende Tatsachengrundlage ersichtlich. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, auf welche konkreten Umstände oder Vorkommnisse es diese Annahme stützt. Eine körperliche, seelische oder geistige Vernachlässigung des Kindes ist in den circa sechs Monaten, in denen der Beschwerdeführer zu 1) mit ihr allein gelebt hat, nicht eingetreten. Weder die Berichte des Jugendamts noch die der Familienhelferin enthalten hierfür Anhaltspunkte.

Zwar ist es zutreffend, dass der Betreuungsaufwand durch Familienhilfe, Tagespflege und zwei Übernachtungsbetreuungen pro Woche hoch gewesen ist. Dass der Beschwerdeführer zu 1) aber trotz dieser Unterstützung „immer wieder und mit zunehmender Tendenz überfordert“ gewesen sei, wie das Amtsgericht annimmt, ist nicht nachvollziehbar belegt. Der – in den Einzelheiten umstrittene – Vorfall vom 16. Dezember 2007 rechtfertigt diese Schlussfolgerung allein jedenfalls nicht und wird auch von dem Amtsgericht selbst nicht als Grundlage seiner Schlussfolgerung herangezogen.

Nicht verständlich ist zudem, woraus das Amtsgericht seine Überzeugung ableitet, dass der Beschwerdeführer zu 1) zu Erziehungsgesprächen nicht mehr bereit gewesen sei. Möglicherweise stützt es sich insoweit auf einen Bericht der Familienhelferin vom 21. Januar 2008, wonach der Beschwerdeführer zu 1) es am 29. November und 11. Dezember 2007 abgelehnt habe, weitere Termine für Erziehungsgespräche zu vereinbaren, weil er sich dringend um Aufträge für den Kurierdienst kümmern müsse. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer zu 1) generell nicht mehr bereit gewesen sei, Hilfe anzunehmen, wie es der amtsgerichtliche Beschluss nahelegt. Dies wird auch seinem sonst gezeigten Verhalten nicht gerecht. So führt das Amtsgericht an anderer Stelle selbst aus, dass der Beschwerdeführer zu 1) einen hohen Redebedarf hinsichtlich der Lösung seiner Probleme gehabt habe. Unberücksichtigt bleibt zudem, dass der Beschwerdeführer zu 1) gerade am 16. Dezember 2007 von sich aus die Unterstützung und den Rat der Familienhelferin gesucht hatte.

(2) Das Oberlandesgericht stellt seinen Entscheidungsgründen zwar im Unterschied zum Amtsgericht die Norm des § 1666 BGB voran. Aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt sich aber, dass die Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend berücksichtigt und unzutreffend gewürdigt worden sind.

(a) Auch das Oberlandesgericht befasst sich nicht mit der maßgeblichen Frage, welche Schäden dem Kind durch das Verhalten seiner Eltern drohen und ob diese von solchem Gewicht sind, dass es einer Trennung von den Beschwerdeführern bedarf.

(b) Soweit das Oberlandesgericht auf das Verhalten des Beschwerdeführer zu 1) eingeht und ihm „unüberlegte, fast amokartig anmutende Verhaltensweisen“ zuschreibt, setzt es sich nicht damit auseinander, dass der Vorfall vom 1. Mai 2008, auf den es sich hier offenbar vor allem bezieht, wie auch die Drohung vom Vortag, sich mit seiner Tochter ins Ausland abzusetzen, eine Reaktion auf die Anhörung vor dem Amtsgericht am 29. April 2008 darstellen, in der dem Beschwerdeführer zu 1) klar geworden sein muss, dass er nicht mit einer Rückkehr seiner Tochter rechnen kann. In diesem Licht betrachtet, handelt es sich zwar um völlig unangemessene, aber aus der nachvollziehbaren Verzweiflung des Beschwerdeführers zu 1) heraus dennoch erklärliche Kurzschlusstaten in einer besonderen Ausnahmesituation. Als solchen käme ihnen für die Beurteilung des alltäglichen Zusammenseins des Beschwerdeführers mit seiner Tochter keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dass sich der Beschwerdeführer zu 1) auch in der Zeit, als das Kind in seinem Haushalt wohnte, völlig unkontrolliert und kindeswohlgefährdend verhalten hätte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls aber fehlt es an Feststellungen dazu, dass die vom Oberlandesgericht insoweit angeführten Schreiattacken des Beschwerdeführers zu 1) das seelische oder geistige Wohl des Kindes in dem für eine Sorgerechtsentziehung erforderlichen Maße beeinträchtigt haben.

(c) Für die weitere Annahme, dass die Situation derzeit ohne die teilweise Sorgerechtsentziehung nicht auflösbar und der Einsatz von Hilfen zur Lösung des Problems nicht ausreichend sei, fehlt jegliche Begründung. Der Senat setzt sich auch nicht damit auseinander, dass das von den Beschwerdeführern akzeptierte Konzept einer Familienhilfe kombiniert mit einer Teilzeitpflege über mehrere Monate hinweg funktioniert hat.

Unberücksichtigt bleibt in diesem Zusammenhang zudem, dass sowohl die Familie, bei der das Kind zunächst in Tagespflege war als auch die Pflegemutter, in deren Obhut es im Anschluss an den Vorfall vom 16. Dezember 2007 gekommen ist, gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen beziehungsweise der Amtsrichterin sinngemäß angegeben haben, der Beschwerdeführer zu 1) sei zwar schwierig, aber letztlich doch zu beeinflussen gewesen. Noch positiver fällt die Einschätzung der Leiterin des Sprachheilkindergartens aus, die den Beschwerdeführer zu 1) im Gespräch mit dem Sachverständigen als offen für Beratungsangebote, sehr bemüht und auch als Elternratsvorsitzender in den entsprechenden Gremien angemessen und konstruktiv beschrieben hat. Diese Aussagen sprechen dafür, dass der Beschwerdeführer zu 1) grundsätzlich zu einer konstruktiven Zusammenarbeit in der Lage ist.

Soweit das Oberlandesgericht demgegenüber ausführt, den Darstellungen außenstehender Personen komme für die Belange des Kindes keine Aussagekraft zu, weil der Beschwerdeführer zu 1) sie für sich einzunehmen wisse, fehlt auch dieser Einschätzung eine tragfähige Grundlage. Denn in aller Regel wird ein persönlicher Eindruck von der fraglichen Person erforderlich sein, um ihr eine unbewusste Manipulation durch den Beschwerdeführer unterstellen zu können. Im Übrigen ist die Annahme des Oberlandesgerichts auch deshalb schwer nachzuvollziehen, weil fast alle Beteiligten, insbesondere aber die Pflegefamilien und der Kinderarzt, das Verhalten des Beschwerdeführers zu 1) nicht nur positiv schildern, sondern ihn vielmehr sehr differenziert darstellen.

Schließlich lässt das Oberlandesgericht in seinen Erwägungen die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage außer Betracht, inwieweit möglicherweise auch die Mitarbeiter des Kreisjugendamts zu den Eskalationen beigetragen haben. Nicht nur die Beschwerdeführer selbst, auch die Pflegefamilien und zuletzt der gerichtliche Sachverständige haben die Arbeit des Jugendamts stark kritisiert. Laut den Pflegefamilien habe es an ausreichender Information, Absprache und Flexibilität gefehlt. Darüber hinaus ist es nach der vorläufigen Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Zusammenhang mit der damals weiterhin den Kindeseltern zustehenden Gesundheitsfürsorge für das Kind zu sachlich nicht nachvollziehbaren Kompetenzüberschreitungen seitens des Jugendamts gekommen, die wahrscheinlich zu einer weiteren Verhärtung der bereits bestehenden Fronten zwischen Jugendamt und Beschwerdeführern geführt haben. Zudem liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Familienhelferin mit der unstreitig schwierigen Art des Beschwerdeführers zu 1) überfordert gewesen sein könnte. So hat der Leiter des Jugendamts gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen geäußert, dass die Familienhelferin möglicherweise mit der Zeit die professionelle Distanz verloren habe. Auch die Pflegemutter, bei der das Kind in Obhut war, wird von dem Sachverständigen dahingehend zitiert, die Familienhelferin sei kein angemessener Gesprächspartner gewesen, weil sie „stinksauer auf die Familie“ gewesen sei. Vor diesem Hintergrund ist es im Übrigen verfahrensfehlerhaft, wenn das Oberlandesgericht sich in seinem Beschluss auf die Angaben und Berichte der Familienhelferin bezieht, ohne sie persönlich vernommen zu haben.

cc) Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 8. Mai 2008 und des Oberlandesgerichts vom 19. Dezember 2008 beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht der Beschwerdeführer. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und ausreichender Ermittlung des Sachverhalts von einer (teilweisen) Sorgerechtsentziehung abgesehen hätten.

b) Da die angegriffenen Beschlüsse bereits gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen, kann dahinstehen, ob die Entscheidungen darüber hinaus die Beschwerdeführer auch in Art. 2 Abs. 1 GG verletzen.

c) Es erscheint angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil den Beschwerdeführern damit besser gedient ist. Denn es liegt in ihrem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung über die vom Jugendamt angeregte Entziehung ihres Sorgerechts zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400> ).

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.> ).

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