BVerfG, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 BvR 1015/15

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29.06.2016  – 1 BvR 1015/15 – entschieden,  dass der Gesetzgeber aufgrund seiner Einschätzung der Nachfragesituation auf dem Mietwohnungsmarkt durch Einführung des Bestellerprinzips die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Wohnungsvermittler beschränken durfte, von Wohnungssuchenden ein Entgelt für ihre Vermittlungstätigkeit zu erhalten, um damit sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken.

Das Verfassungsgericht führt hierzu aus:

„Die angegriffenen Regelungen beschränken zwar die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Beschwerdeführer zu 1) und 2); dies ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Der Gesetzgeber darf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken. Wie auch bei sonstigen privatrechtlichen Regelungen, die der freien Vertragsgestaltung Grenzen setzen, geht es um den Ausgleich widerstreitender Interessen, bei dem die Freiheit der einen mit der Freiheit der anderen in Einklang zu bringen ist. (Rdn. 63)

Für die Herstellung eines solchen Ausgleichs verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt zunächst in seiner politischen Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung. Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, das heißt die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit. Eine Grundrechtsverletzung kann in einer solchen Lage nur festgestellt werden, wenn eine Grundrechtsposition den Interessen des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann  (Rdn. 64).

Daran gemessen genügt die Normierung des Bestellerprinzips den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie bringt die sich gegenüberstehenden Interessen in einen Ausgleich, der Verhältnismäßigkeitsanforderungen gerecht wird. Insbesondere hat der Gesetzgeber mit den Änderungen im Bereich des Wohnungsvermittlungsrechts dem an ihn gerichteten sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag aus Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG entsprochen. Er hat nachvollziehbar festgestellt, dass auf dem Mietwohnungsmarkt zu Lasten der Wohnungssuchenden soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte bestehen und eine Regelung getroffen, die einen angemessenen Ausgleich schaffen soll. Dieser Ausgleich ist durch das legitime Ziel des Verbraucherschutzes sozialstaatlich gerechtfertigt, um zu verhindern, dass die Wohnungssuchenden Kosten tragen müssen, die nicht von ihnen veranlasst wurden und vorrangig im Interesse des Vermieters entstanden sind. Die durch Einführung des Bestellerprinzips geschaffene Lösung ist zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen. (Rdn. 65)

Ob dieses Normverständnis für die damit angesprochenen Fälle der Mehrfachbeauftragung und der Vorbefassung als Wille des Gesetzgebers im Gesetz selbst hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat, oder ob nach den herkömmlichen Methoden für die Interpretation von Gesetzesrecht (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>) ein restriktiveres Verständnis unter Wahrung des gesetzlichen Regelungsziels möglich ist, das in den genannten Fällen einer Courtageverpflichtung der Wohnungssuchenden nicht entgegensteht (so etwa Fischer, NJW 2015, S. 1560 <1563>; anders jedoch LG Stuttgart, Urteil vom 30. September 2015 – 40 O 76/15 KfH -, Rn. 32, juris), bleibt grundsätzlich einer Klärung durch die fachgerichtliche Rechtsprechung überlassen. Für die verfassungsrechtliche Prüfung durch den Senat genügt es, eine weite Auslegung im Sinne eines umfassenden Ausschließlichkeitsprinzips zu unterstellen, weil hiermit die am tiefsten greifende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit verbunden ist. Selbst mit dieser Maßgabe lässt sich allerdings ein Verfassungsverstoß nicht feststellen, so dass jedenfalls eine restriktive verfassungskonforme Auslegung nicht geboten ist. Dass Wohnungsvermittlern hiernach Provisionsforderungen gegenüber Wohnungssuchenden verstellt sind, geht weder in Fällen ihrer Mehrfachbeauftragung noch in Fällen ihrer Vorbefassung über das Maß hinaus, das der mit dem Bestellerprinzip verfolgte Schutzzweck notwendig macht. Zwar würde es Wohnungsvermittler wie die Beschwerdeführer zu 1) und 2) weniger belasten, wenn sie Provisionsansprüche gegen Wohnungssuchende auch in Fällen der Mehrfachbeauftragung und der Vorbefassung erwerben könnten; das von ihm vorgegebene und zunächst seiner Einschätzung überlassene Ziel eines sozialen Ausgleiches zugunsten der Mietinteressierten könnte der Gesetzgeber dann aber nicht mehr im erstrebten Umfang erreichen. (Rdn. 77)

Die Wohnungsvermittler werden damit allerdings nicht schon typischerweise zu einer grundlegenden Veränderung ihrer geschäftlichen Aktivitäten und Angebote in dem Sinne gezwungen, dass sie die berufliche Tätigkeit, die bisher ihre Lebensgrundlage bildete, völlig aufgeben und sich eine neue, auf anderen beruflichen Voraussetzungen beruhende Existenz aufbauen müssten. Da provisionspflichtige Aufträge zur Wohnungsvermittlung weiterhin möglich sind, können Makler auf diesem Geschäftsfeld weiterhin tätig bleiben. Sie sind nicht zum Erwerb grundlegend neuer Kenntnisse und Fähigkeiten gezwungen, sondern können das in ihrem beruflichen Werdegang erworbene Wissen und die spezifischen Berufserfahrungen auch künftig nutzen. Zudem sind Immobilienmakler nicht ausschließlich als Wohnungsvermittler tätig, sondern vermitteln in der Regel auch Mietverträge über gewerblich genutzte Räumlichkeiten und insbesondere Kaufverträge für Immobilien, die zu Wohn- oder zu gewerblichen Zwecken genutzt werden. Vielfach sind sie auch in der Immobilienverwaltung und anderen immobiliennahen Dienstleistungsbereichen tätig. Diese Tätigkeitsfelder und Einnahmequellen bleiben von den Änderungen im Wohnungsvermittlungsgesetz unberührt. (Rdn. 86)

Den grundrechtlich geschützten Interessen der Beschwerdeführer zu 1) und 2) an der freien Berufsausübung stehen die gleichfalls berechtigten Interessen der Wohnungssuchenden gegenüber. Durch die gesetzliche Regelung des Bestellerprinzips sollen für sie Hindernisse bei Anmietung von Wohnräumen beseitigt werden. Ziel ist es, eine Überforderung insbesondere wirtschaftlich schwächerer Wohnungssuchender durch die „kumulierten Beträge“ zu vermeiden, die unter Einschluss der Maklerprovision bei Beginn eines Mietverhältnisses entstehen (vgl. BTDrucks 18/3121, S. 15). Den zahlreichen Wohnungssuchenden, die auf Wohnungsmiete angewiesen sind, wird es damit erleichtert, geeigneten Wohnraum zu finden und sich so den räumlichen Mittelpunkt ihres persönlichen Lebenskreises (vgl. BVerfGE 85, 219 <224>) und einen Freiraum eigenverantwortlicher Betätigung (vgl. BVerfGE 89, 237 <241>) zu schaffen. Dies und der Schutz vor Nachteilen aufgrund der Eigentumsverhältnisse und der Nachfragesituation auf dem Wohnungsmarkt rechtfertigen es zudem, in die Abwägung auf Seiten der Wohnungssuchenden das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) einzubeziehen (Rdn. 88)

Unter Berücksichtigung des weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums, über den der Gesetzgeber hier verfügt, wird das Ziel eines angemessenen Ausgleichs nicht verfehlt. Der Gesetzgeber trägt einem sozialen Ungleichgewicht Rechnung, das durch den hohen Bedarf und das knappe Angebot an Mietwohnungen entsteht. Hierzu hat er mit der Belastung der Wohnungssuchenden durch Maklercourtage einen nicht unwesentlichen Kostenfaktor aufgegriffen und eine Regelung geschaffen, die diese Kosten den Vermietern als denjenigen zuweist, in deren Interesse die Aufwendungen typischerweise entstehen. Seine Entscheidung, hierfür als Mittel eine Einschränkung der vertraglichen Möglichkeiten und damit der Berufsfreiheit der Wohnungsvermittler zu wählen, bewegt sich innerhalb des weiten Gestaltungsspielraums und der politischen Verantwortung, die dem Gesetzgeber für die maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen verbleiben. Dass hiernach der erstrebte Ausgleich zwangsläufig mit Einnahmeeinbußen der Wohnungsvermittler einhergehen muss, steht insgesamt der Angemessenheit der gewählten Lösung nicht entgegen; denn diese Belastung ist dadurch gerechtfertigt, dass Wohnungsvermittler – weil sie im Interesse der Vermieter beauftragt werden – mit Provisionsforderungen an diese verwiesen werden dürfen. (Rdn. 89)

Für eine Verletzung anderer Grundrechte durch die Einführung des Bestellerprinzips ist nichts ersichtlich. Insbesondere haben die Beschwerdeführer zu 1) und 2) bereits keine eigentumsfähige Position geltend gemacht, die dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen könnte. Dies gilt auch mit Blick auf ein etwaiges Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb, falls sich der Schutz des Art. 14 GG auch hierauf erstrecken sollte (vgl. BVerfGE 84, 212 <232>; 96, 375 <397>). (Rdn. 90)

Auch das Textformerfordernis, das durch Art. 3 Nr. 1 Buchstabe a MietNovG eingeführt worden und gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 WoVermRG für Wohnungsvermittlungsverträge zu beachten ist, verletzt die Beschwerdeführer zu 1) und 2) nicht in ihrer Berufsfreiheit. (Rdn. 94)

Das Textformerfordernis dient dem legitimen Zweck, die Beteiligten zuverlässig über den Inhalt und die rechtlichen Folgen ihrer Erklärungen zu informieren und hiermit Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu fördern (ähnlich bereits BVerfGE 117, 163 <192>). (Rdn. 97)

Zur Erreichung dieses Zwecks ist die Textform nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen. Die textliche Dokumentation verdeutlicht die Tatsache einer vertraglichen Verpflichtung und kann zugleich Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Zustandekommens wie hinsichtlich der Person des Verpflichteten entgegenwirken. Hierbei verlangt die Beachtung der Textform nach § 126b BGB nur geringen Aufwand. Eine Unterschrift ist nicht erforderlich, es genügt vielmehr eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist und die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Im Wege der elektronischen Kommunikation kann also ein zeitnaher Vertragsschluss erreicht werden. Es handelt sich demnach um einen geringfügigen Eingriff in die Vertragsfreiheit. Das Textformerfordernis ist zudem für Wohnungsvermittler wie die Beschwerdeführer zu 1) und 2) mit Vorteilen verbunden. Zwar kann eine Provisionsverpflichtung nun nicht mehr durch schlüssiges Verhalten begründet werden, gleichzeitig werden aber auch die Beweisschwierigkeiten, die die Makler hinsichtlich des Abschlusses eines Vermittlungsvertrages bisher häufig getroffen hatten, durch die Einführung des Textformerfordernisses weitgehend beseitigt. (Rdn. 98)“

Kein Entgelt für Wohnungsbesichtigungen

Nach den zutreffenden Entscheidungen des LG Stuttgart vom 15.06.2016 (Az: 38 O 10/16 KfH und Az.: 38 O 73/15 KfH), dürfen Makler von Wohnungssuchenden kein Entgelt für die Wohnungsbesichtigung verlangen.

Keine Werbung mit der Kostenfreiheit der Wohnungsvermittlung für Vermieter

Bereits Ende 2015 hatte das LG Stuttgart entscheiden, dass ein Immobilienmakler keine Werbung mit der Kostenfreiheit einer Wohnungsvermittlung für Vermieter unternehmen darf, LG Stuttgart, Urteil vom 30.09.2015 – 40 O 76/15 KfH.

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