Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 30.08.2013 – 3 UF 133/13 –

Beabsichtigt die Kindesmutter ihren Sohn beschneiden lassen, so kann hierin eine Beeinträchtigung des psychischen Kindeswohls vorliegen.

Leitsätze:

1. Zu den Voraussetzungen der summarischen Prüfung nach den §§ 49 ff., 26, 51 Abs. 1 S. 2, 31 FamFG im einstweiligen Sorgerechtsverfahren.

2. Grundsätzlich erlaubt der am 28.12.2012 in Kraft getretene § 1631 d Abs. 1 BGB es den sorgeberechtigten Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil, für ein noch nicht selbst urteils- und einwilligungsfähiges, mehr als sechs Monate altes Kind die Entscheidung zugunsten einer nicht medizinisch indizierten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchzuführenden Beschneidung aus autonomen kulturell-rituellen Gründen zu treffen. Auch ein deutlich unter 14 Jahre altes Kind ist bzgl. seiner möglichen eigenen Einwilligungs- und Urteilsfähigkeit durch das Familiengericht jedoch gemäß § 159 Abs. 2 FamFG persönlich anzuhören, denn selbst im Falle dabei nicht feststellbarer eigener Einwilligungsfähigkeit sind die geäußerten Wünsche und Neigungen des Kindes im Rahmen des § 1631 d Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung der §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB maßgeblich zu beachten. Der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) haben in einer dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechenden Art und Weise den beabsichtigten Eingriff mit ihm zu besprechen und in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen.

3. Die Entscheidung nach § 1631 d Abs. 1 BGB ist nur dann nicht wirksam von den oder dem sorgeberechtigten Elternteil(en) zu treffen, sondern im Streitfall zwischen Eltern zumindest im einstweiligen Anordnungsverfahren auf einen neutralen Ergänzungspfleger zu übertragen, wenn zwischen den Eltern in Streit steht, ob die Beschneidung zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde und sich im Rahmen einer Folgenabwägung kein gänzlich eindeutiges Ergebnis zugunsten der Beschneidung und gegen eine Kindeswohlgefährdung ergibt.

4. Die Frage der Kindeswohlgefährdung ist grundsätzlich auch im Rahmen des § 1631 d Abs. 1 BGB am Maßstab des § 1666 BGB zu beantworten. Rein medizinisch-gesundheitliche Bedenken können insoweit nicht maßgeblich sein, da § 1631 d Abs. 1 BGB (in Kenntnis des Gesetzgebers von den geringen medizinischen Restrisiken einer ordnungsgemäß durchgeführten Beschneidung) gerade eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.

5. Je nach der hohen oder weniger hohen Schutzwürdigkeit des im Vordergrund stehenden Motivs des sorgeberechtigten Elternteils zugunsten der beabsichtigten Beschneidung kann die Schwelle der entgegenstehenden Kindeswohlgefährdung niedriger als nach dem allgemeinen Maßstab des § 1666 BGB anzusetzen sein.

6. Unabhängig von der Frage einer etwa entgegenstehenden Kindeswohlgefährdung setzt § 1631 d Abs. 1 BGB die Erfüllung einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung voraus: Die Wirksamkeit der Einwilligung der oder des Personensorgeberechtigten in die Beschneidung hängt von einer von ihnen bzw. ihm darzulegenden und nachzuweisenden ordnungsgemäßen und umfassenden Aufklärung über die Chancen und Risiken des Eingriffs durch die mit der Durchführung der Beschneidung beauftragten Person, regelmäßig einen Arzt, ab.

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2013/3_UF_133_13_Beschluss_20130830.html

 

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