Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 14.01.2014 – 9 U 231/13

Leitsätze:

Das unverwertbare Gutachten ist kein unrichtiges Gutachten iSd § 839a BGB.

Eine Analogie kommt bei Unverwertbarkeit eines gerichtlichen Gutachtens wegen Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen nicht in Betracht.

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das am 11.10.2013 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Essen durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 4 ZPO.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten, der in einem von dem Kläger und seiner ehemaligen Ehefrau eingeleiteten Beweissicherungsverfahren vom Gericht zum Sachverständigen bestellt worden war, für ihm aus der Unverwertbarkeit der Gutachten entstehende Schäden. Der Beklagte war nach Erstellung von zwei schriftlichen Gutachten in dem Beweissicherungsverfahren auf Antrag eines der Antragsgegner für befangen erklärt worden, ein neuer Sachverständiger wurde beauftragt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils (Bl. 95 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.10.2013 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger keinen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten habe. § 839a BGB sei nach seinen Tatbestandsmerkmalen schon nicht einschlägig, ein inhaltlich unrichtiges Gutachten liege nicht vor. Eine Analogie scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus. Es fehle auch an einem Vortrag des Klägers zu den Voraussetzungen des § 826 BGB. Die Frage, ob der Feststellungsantrag zulässig ist, hat das Landgericht offengelassen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser seine Schlussanträge erster Instanz weiter verfolgt.

Er meint, die Voraussetzungen des § 839 a BGB lägen vor. Denn ein Gutachten sei auch unrichtig im Sinne dieser Norm, wenn es fehlerhaft über die vom Gericht vorgegebenen Anknüpfungstatsachen hinausgehe. Dieses sei hier der Fall. Jedenfalls sei aber eine Analogie geboten. So sei auch die analoge Anwendung der Vorschrift auf Zeugen gängig.

Wenn man eine analoge Anwendung des § 839a BGB verneine, entfalte diese Norm aber keine Sperrwirkung, so dass eine Haftung des Beklagten eine nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation in Betracht komme.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils erster Instanz festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, der daraus entsteht, dass der Kläger im Vertrauen auf die prozessuale Verwertbarkeit der vom Beklagten im selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht Essen, Aktenzeichen 19 OH 7/10 (Krebs u. a. ./. Götze u.a.) erstellten beiden Gutachten vom 13. und 16.12.2011 „Wertgutachten“/Gutachten Nr. 10.330.1210 LG“ im Zeitraum vom 10.03.2011 bis zum 30.03.2012 wertsteigernde Verwendungen in Bezug auf die Immobilie I-Straße, C, vorgenommen hat und infolge dieser umfänglichen Renovierungsarbeiten nicht mehr gegenüber den Antragsgegnern im vorbezeichneten selbständigen Beweisverfahren Aussagen in Bezug auf die Beantwortung des Beweisbeschlusses des Landgerichts Essen vom 30.11.2010 in Verbindung mit dem Hinweis des Landgerichts vom 11.01.2011 getätigt werden können.

2. den Beklagten zur Erstattung außergerichtlicher Kosten der Rechtsverfolgung des Klägers in Höhe von 2.601,82 € zu verurteilen.

II.

Die Berufung des Klägers ist nach einstimmiger Überzeugung des Senats unbegründet.

Inwieweit der Feststellungsantrag überhaupt zulässig ist, kann vorliegend dahinstehen. Die Zulässigkeit im Hinblick auf das Vorliegen eines Feststellungsinteresses kann ausnahmsweise offenbleiben, wenn – wie hier – die sachliche Unbegründetheit auf der Hand liegt (vgl. (Zöller-Greger, ZPO, 30. A. Vor § 253 Rn. 10; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO, 4. A. 2013 § 256 Rn. 36).

Zweifel an dem Vorliegen eines Feststellungsinteresses bestehen, da der Eintritt eines Schadens jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Während es bei der Verletzung eines absoluten Rechtsguts ausreicht, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (BGH MDR 2007, 792; NJW 2001, 1432; NJW-RR 88, 445), fehlt es bei der Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens schon an einem feststellbaren Rechtsverhältnis, solange der Eintritt eines Schadens ungewiss ist; hier muss der Kläger daher schon für die Zulässigkeit der Klage eine Vermögensgefährdung, d.h. die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens substantiiert dartun (BGH NJW 2006, 830,83; BGH NJW-RR 2010, 750 f.).

An einer solchen substantiierten Darlegung fehlt es vorliegend. Das Beweissicherungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Beklagte kann ggf. als Zeuge aussagen und dabei bekunden, was er wahrgenommen hat anlässlich Ortsbesichtigungen. Er hat zudem – wie sich aus den von ihm im Beweissicherungsverfahren angefertigten Gutachten ergibt – umfangreiche Fotodokumentationen zu den von ihm festgestellten Schäden gefertigt, die der neue Sachverständige ohne weiteres zugrunde legen kann. Ob der Kläger durch die Einholung eines neuen Gutachtens im Ergebnis Beweisnachteile und daraus resultierend Vermögensschäden erleiden wird, ist daher zum derzeitigen Zeitpunkt völlig offen.

Dem Kläger steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu.

Mangels vertraglicher Beziehungen zu dem Beklagten scheidet ein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Klägers gem. § 280 BGB ersichtlich aus. Denn der Beklagte ist kraft Hoheitsaktes beauftragt worden.

Auch ein Anspruch gem. § 839a Abs. 1 BGB scheidet im Ergebnis aus. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind nicht erfüllt.

Gemäß § 839a Abs. 1 BGB ist ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, demjenigen Verfahrensbeteiligten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der diesem durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Das von dem Sachverständigen erstellte Gutachten ist unrichtig, wenn es nicht der objektiven Sachlage entspricht. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Sachverständige unrichtige Tatsachenfeststellungen trifft oder fehlerhafte Schlussfolgerungen zieht oder eine Sicherheit vorspiegelt, obwohl nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil möglich ist (vgl. Staudinger-Wöstmann, BGB, Stand 2012, § 839a, Rn. 9 f.; MüKo-Wagner, BGB, 6. Aufl. 2013, § 839 a Rn. 17, Soergel-Spickhoff, BGB, 13. A. § 839a Rn. 20; Palandt-Sprau, BGB, 73. A. 2014 § 839a Rn. 3).

Die Gutachten, die der Beklagte im Beweissicherungsverfahren erstellt hat, sind unstreitig nicht unrichtig. Der Kläger behauptet nicht, dass der Beklagte unrichtige Tatsachenfeststellungen getroffen oder fehlerhafte Schlussfolgerungen gezogen hat. Er wirft ihm lediglich vor, dass er durch die Überschreitung des Gutachtenauftrags seine Befangenheit und damit die Unverwertbarkeit der von ihm erstellten Gutachten grob fahrlässig bewirkt habe. Das unverwertbare Gutachten ist aber schon nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Haftungsnorm kein unrichtiges Gutachten (Soergel-Spickhoff, BGB, 13. A. § 839 Rn. 21).

Der Beklagte ist auch nicht von fehlerhaften Anknüpfungstatsachen ausgegangen, sondern hat lediglich seinen Gutachtenauftrag überschritten, in dem er zusätzliche Feststellungen getroffen hat. Dies berührt die inhaltliche Korrektheit seiner Ausführungen im Gutachten nicht.

Der vom Kläger geltend gemachte Schaden fällt auch nicht in den Kreis der von § 839a BGB erfassten Vermögensschäden.

Der Sache nach geht es vorliegend nicht um den von § 839a BGB erfassten Schaden, der aus einer auf dem Gutachten beruhenden unrichtigen Entscheidung eines Gerichts resultiert, sondern vielmehr allein um Dispositionen eines Verfahrensbeteiligten, die im nicht schützenswerten Vertrauen auf einen bestimmten Verfahrensgang und -ablauf getroffen wurden. Diese Entscheidung des Klägers ist der Sache nach auch schon deshalb nicht schützenswert, weil er vor Abschluss des Beweissicherungsverfahrens damit rechnen musste, dass Einwendungen Nachbegutachtungen nach sich ziehen könnten.

Auch eine Analogie kommt bei der vorliegenden Konstellation der Unverwertbarkeit eines gerichtlichen Gutachtens wegen Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen nicht in Betracht. Denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.

Mit Einführung des § 839a BGB mit Wirkung ab dem 01.08.2002 durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechticher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl I 2002, 2674) hat der Gesetzgeber eine Regelunglücke schließen wollen, die darin lag, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger gegenüber den Parteien eines Rechtsstreites oder sonst von einem gerichtlichen Verfahren Betroffenen keiner Vertragshaftung unterworfen war, eine Haftung aus Amtspflichtverletzung mangels Ausübung hoheitlicher Gewalt nicht vorlag und eine Haftung bei reinen Vermögensschäden nur dann in Betracht kam, wenn der Sachverständige beeidigt worden war. Denn insoweit haftete er nach §§ 823 II BGB i. V.m. 154, 163 StGB für jeden Vermögensschaden – dann allerdings auch bei fahrlässiger Falschbegutachtung. Die Frage, ob ein Sachverständiger beeidigt worden oder unbeeidigt geblieben ist, ist jedoch vom Bundesverfassungsgericht nicht als ein geeignetes Differenzierungskriterium angesehen worden (BVerfGE 49, 304). Die Intention des Gesetzgebers, der mit § 839a BGB einen abschließenden Sondertatbestand schaffen wollte, war es dabei, diese sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen dem beeidigten und dem nicht beeidigten Sachverständigen abzuschaffen. (BT-Drs. 13/10435; BT-Drucks 14/7752 S 28; Soergel-Spickhoff, BGB, 13. A. § 839a Rn. 5.).

Zwar wird die analoge Anwendbarkeit dieser Haftungsnorm auf einen anderen Personenkreis (z. B. auf Zeugen) und andere Verfahrensarten (z. B. Schiedsverfahren) in der Literatur kontrovers diskutiert (vgl. insoweit MüKo-Wagner, BGB, 6. A. 2013, § 839a Rn. 10 ff.; Soergel-Spickhoff, BGB, 13. A. § 839a Rn. 14 ff.; ausführlich Thole, Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839 a BGB S. 199). Eine Ausweitung von unrichtigen auf unverwertbare Gutachten wird jedoch zu Recht nicht in Betracht gezogen.

Der Gesetzgeber hat sich mit der Einführung des § 839a BGB für eine Haftungserweiterung für den eng umgrenzten Bereich – nämlich bei der Erstattung eines unrichtigen Gutachtens – entschieden und damit gegen das Schaffen einer generellen Haftungsnorm, die jedes Fehlverhalten des Sachverständigen, welches einen Schaden verursacht, sanktioniert. Eine Haftungserweiterung durch analoge Anwendung des § 839a BGB auf unverwertbare Gutachten würde dieser gesetzgeberischen Entscheidung zuwiderlaufen.

Gegen eine solch weitgehende Haftungserweiterung mittels Analogie spricht auch, dass der gerichtliche Sachverständige grundsätzlich gemäß den §§ 407, 407a ZPO zur Gutachtenerstattung verpflichtet ist.

Das Landgericht hat auch zu Recht eine Haftung des Beklagten gem. § 826 BGB verneint.

Der Kläger hat schon keine Tatsachen vorgetragen, die eine vorsätzliche sittenwidrige Schadenszufügung ergeben.

Vielmehr hat der Beklagte wohl im vermeintlichen Interesse der Antragsteller – und damit auch des Klägers – unter Überschreitung der Beweisfragen konkret dazu Stellung genommen, dass seines Erachtens nach der das Wertgutachten erstellende Antragsgegner zu 2) bei einer Besichtigung die noch vorliegenden Schäden hätte erkennen müssen.

Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung auf eine jedenfalls analoge Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation abstellt, so überzeugt dies nicht. Dieses Rechtsinstitut ist vorliegend nach seinen Voraussetzungen ersichtlich nicht einschlägig. Denn eine zufällige Schadensverlagerung durch die Schaden und Anspruch auseinanderfallen, ist nicht gegeben und wird vom Kläger auch nicht weiter dargelegt. Auch einem Dritten steht kein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu.

Mangels Schadensersatzanspruch sind die vorprozessualen Rechtsanwaltskosten des Klägers ebenfalls nicht zu erstatten.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, zu dem vorstehenden Hinweis innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen.

Vorinstanz:
Landgericht Essen, 19 O 185/13

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