SG Bremen, Beschluss vom 16.02.2015 – S 21 AS 151/15 ER

BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit

1. G. R., Bremen,
2. B. M., Bremen,
Antragsteller,

Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – F/2015/004 (EA) –

gegen

Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.:
Antragsgegner,

hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 16. Februar 2015 durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht K., beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 30.01.2015 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.03.2015 zu bewilligen und auszuzahlen.

Die Leistungsgewährung erfolgt vorläufig und steht unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

GRÜNDE

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Die Antragsteller besitzen die bulgarische Staatsangehörigkeit. Gemeinsam bewohnen sie eine Wohnung in Bremen. Die Antragstellerin zu 1, ist schwanger. Der voraussichtliche Entbindungstermin ist der 15.04.2015. Nach ihren Angaben ist der Antragsteller zu 2. der Kindsvater. Er geht seit dem 30.04.2014 einer nichtselbständigen Tätigkeit als Helfer nach.

Am 23.10,2014 stellten die Antragsteller bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Dabei gaben sie an miteinander eine Bedarfsgemeinschaft zu bilden und verlobt zu sein. Mit Bescheiden vom 23.12.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Mit Schreiben vom 05.01.2015 legten die Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei auf sie nicht anwendbar. Der Antragsteller zu 2. arbeite in Vollzeit und erziele ein Einkommen, welches einen Arbeitnehmerstatus begründe. Er bilde mit der Antragstellerin zu 1. eine Bedarfsgemeinschaft. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2015 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwar erfüllten die Antragsteller grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Dieser scheitere jedoch an dem sich aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr, 2 SGB II ergebenden Leistungsausschluss der Antragstellerin zu 1. Da die Antragsteller nicht verheiratet seien, könne nicht von einer Familienzusammenführung oder einem Ehegattennachzug ausgegangen werden. Die Schwangerschaft allein begründe keinen Ausnahmetatbestand. Die Antragstellerin zu 1. könne sich allenfalls ab Geburt des Kindes auf ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Aufrechterhaltung des familiären Bezuges berufen. Aus den vorstehend genannten Gründen bestehe zwar eine Bedarfsgemeinschaft, ein Leistungsanspruch sei allerdings ausgeschlossen. Der Antragsteller zu 2. könne seinen Gesamtbedarf in Höhe von 548,00 € durch anrechenbares Einkommen in Höhe von 723,01 € decken.

Am 30.01.2015 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Bremen den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie behaupten ein Aufenthaltsrecht als Bedarfsgemeinschaft zu besitzen.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen vorläufig ab Antragseingang bei Gericht, ggf. für sechs Monate, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Antragstellerin zu 1. aus ihrer Schwangerschaft kein Aufenthaltsrecht herleiten könne bzw. für ein solches die Vorlage einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung erforderlich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf den Inhalt der Leistungs- und der Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft und begründet.

Nach § 86b Abs.2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs.2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs.2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Die Antragsteller haben sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

1.

Der Anordnungsanspruch ist gegeben, da die Antragsteller einen materiellen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II glaubhaft gemacht haben.

Zunächst erfüllen die Antragsteller die Grundvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig und 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Antragsteller haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bremen, das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Sie sind sowohl nach § 8 Abs, 1 als auch Abs. 2 SGB II unstreitig erwerbsfähig. Die Antragsteller sind ebenso gemäß § 9 SGB II hilfebedürftig. Ihr monatlicher Bedarf beträgt überschlägig (2 x 360,00 Regelbedarf, 390,00 € Bedarfe für Unterkunft und Heizung und 61,20 Mehrbedarf bei Schwangerschaft nach § 21 Abs. 2 SGB II) 1.171,20 €. Dem steht zum einen kein Vermögen gegenüber. Zum anderen reicht das Einkommen des Antragstellers zu 2. nicht um den Bedarf der Antragsteller insgesamt zu decken. Ausgehend von einer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit von 151,67 Stunden (vgl. § 3 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vom 29.04.2014) und eines Stundenlohnes von 8,50 €/Stunde (vgl. § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrages) ist vorläufig von einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 1.289,20 € auszugehen. Das Nettoeinkommen dürfte ohne Kirchensteuerpflicht ausweislich des AOK-Gehaltsrechners 976,99 € betragen. Unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11b SGB II wäre somit lediglich ein Einkommen in Höhe von 676,99 € auf den Bedarf der Antragsteller anzurechnen.

Letztlich ist die Antragstellerin zu 1. nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen ausgeschlossen. Die Antragstellerin zu 1. ist als bulgarische Staatsangehörige Ausländerin im Sinne dieser Vorschrift. Bei der Prüfung des Leistungsausschlusses ist zu beachten, dass dieser Ausschlussgrund nach seinem eindeutigen Wortlaut von vornherein nur dann einschlägig ist, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Nicht ausgeschlossen sind demnach bereits alle EU-Bürger, bei denen ein anderer oder noch ein weiterer Grund nach § 2 Freizügigkeitsgesetz/EU vorliegt (vgl, Spellbrink/G. Becker in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 7 Rn. 43). Die Antragstellerin zu 1. kann ihr Aufenthaltsrecht aufgrund der bevorstehenden Geburt des gemeinsamen Kindes mit dem Antragsteller zu 2. herleiten, Dieser ist als Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU unstreitig aufenthaltsberechtigt. Zwar ist die Antragstellerin zu 1. als seine nichteheliche Lebenspartnerin nicht Familienangehörige nach § 3 FreizügG/EU und damit als solche auch nicht aufenthaltsberechtigt. Ebenso ergibt sich aus dem reinen Bestehen der Bedarfsgemeinschaft kein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1. Denn die Aufenthaltsberechtigung ist für jedes Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft gesondert zu prüfen. Allerdings hat sie ein solches aus einer aufenthaltsrechtlichen Vorwirkung der Familiengründung, da die Geburt des Kindes unmittelbar bevorsteht und aufgrund des Zusammenwohnens der Antragsteller eine tatsächliche Verbundenheit zwischen ihnen besteht (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 30.01.2013, Az. B 4 AS 54/12 R). Diese Vorwirkung entsteht auch ohne eine formelle Vaterschaftsanerkennung des Antragstellers zu 2. (BSG, aa0, Rn. 36 — zitiert nach juris). Dessen Vaterschaft ist durch die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zu 1. vom 10.02.2015 hinreichend glaubhaft gemacht worden.

2.

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der existenzsichernden Funktion des Arbeitslosengeldes II. Die Mittellosigkeit der Antragsteller ist glaubhaft. Vorliegend hat der Antragsgegner ab dem 30.01.2015 bis längstens 31.03.2015 vorläufig Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das Ende des vorläufigen Leistungsbezuges ergibt sich aus dem am 01 .10.2014 beginnenden fiktiven sechsmonatigen Bewilligungszeitraum nach § 41 Abs. 1 S. 4 SGB Il. Der von dem Gericht festgelegte Leistungsbeginn folgt aus dem Tag der Antragstellung beim Sozialgericht. Nach ständiger Rechtsprechung des Sozialgerichts Bremen ist ein Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich ausgeschlossen für Leistungen, die sich auf einen Zeitraum vor Antragstellung bei Gericht beziehen. Eine rückwirkende Gewährung von Leistungen kommt nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller einen besonderen Nachholbedarf glaubhaft macht oder die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirkt (so z.B. auch: LSG Hessen, Beschluss vom 20.06.2005, Az. L 7 AL 100/05 ER; Beschluss vom 19.09.2012, Az. L 7 AS 30/12 B ER; LSG Sachsen, Beschluss vom 31.01.2013, Az. L 7 AS 964/12 B ER; LSG Bayern, Beschluss vom 14.09.2012, Az. L 11 AS 533/12 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.03.2011, Az7L 13 AS 82/11 B ER). Dies ist vorliegend nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

gez. K.
Richter am Sozialgericht

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