Thüringer OLG, Beschluss vom 24.10.2013 – 1 UF 353/13

THÜRINGER OBERLANDESGERICHT

Beschluss

In der Familiensache

T. St., U.
– Antragsteller und Beschwerdeführer –

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt

g e g e n

R. St., E.
– Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin –

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin

hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena  auf die Beschwerde des Antragstellers vom 12.06.2013, eingegangen am 14.06.2013, gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erfurt vom 22.05.2013, zugestellt am 05.06.2013, Az. 34 F 157/12, durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Martin, Richter am Oberlandesgericht Knöchel und Richterin am Oberlandesgericht von Schmettau aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2013

b e s c h l o s s e n :

Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 3000 € festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin im Wege des Vollstreckungsgegenantrages wegen Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung wegen Kindesunterhaltes aus der Urkunde des Jugendamtes der Stadt E. vom 07.08.2000 für den Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010 in Anspruch genommen.

Die Antragsgegnerin ist am 02.09.1988 geboren und die leibliche Tochter des Antragstellers. Sie hat seit August 2009 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Sozialassistentin absolviert und befindet sich noch in der Ausbildung zur „staatlich anerkannten Erzieherin“ (01.08.2011 bis 31.07.2014).

Der Antragsteller hat sich durch Urkunde des Jugendamtes der Stadt Erfurt vom 07.08.2000 (Urkunden Reg. – Nr. 1299/2000) verpflichtet, an die Antragsgegnerin einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 582,- DM, abzüglich des anteiligen Kindergeldes in Höhe von 135,- €, zu zahlen. Dies entspricht monatlich 228,55 €. Der Antragsteller hat sich unter dem 14.10.2004 bereit erklärt, monatlich 277 € zu zahlen; die vereinbarte Unterhaltserhöhung ist aber nicht tituliert worden.

Der Antragsteller hat in der Vergangenheit an die Antragsgegnerin die nachfolgenden Unterhaltsbeträge gezahlt:

Oktober 2006: 300 €; November 2006 bis August 2008 je 150 €; Oktober und November 2008 je 150 €; Dezember 2008, Februar 2009, Mai 2009, Juni 2009, August und September 2009 je 100 €.

Die Antragsgegnerin hat mit Anwaltsschreiben vom 27.12.2011 gegen den Antragsteller einen monatlichen Unterhaltsanspruch in Höhe von 743,40 € ab Januar 2012 geltend gemacht.

Das Amtsgericht Erfurt hat mit Versäumnisbeschluss vom 20.03.2012, zugestellt am 14.04.2012, die Vollstreckung aus der Unterhaltsurkunde des Jugendamtes der Stadt E. vom 07.08.2000, Reg.-Nr. 1299/2000 in Höhe von 228,55 € monatlich für unzulässig erklärt. Hiergegen richtet sich der Einspruch der Antragsgegnerin vom 20.04.2012.

Der Antragsteller hat vorgetragen, er habe mit der Antragsgegnerin im September 2006 eine Vereinbarung getroffen, wonach er ihr lediglich einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 150 € für die Zeit ihres weiteren Schulbesuchs schulde.

Die Vereinbarung werde belegt und untermauert durch eine handschriftliche Übersicht der Zahlungen des Antragstellers an die Antragsgegnerin in dem Zeitraum von Oktober 2006 bis September 2009, die im Verfahren auf Unterhaltsabänderung der Antragsgegnerin durch ihre Bevollmächtigten mit Anwaltsschreiben vom 15.12.2010 überreicht wurde (Beweis: Aufzeichnung der Antragsgegnerin über Unterhaltszahlungen). Diese handschriftliche Übersicht sei durch die Antragsgegnerin gefertigt worden. Es sei ihre Handschrift (Bl. 10 d A).

Gegen diese Zahlungen habe die Antragsgegnerin keinerlei Einwendungen erhoben. Die Antragsgegnerin habe die Vereinbarung nicht bestritten, die sie mit ihrem Vater im W. getroffen habe.

Ab Oktober 2009 sei der Antragsteller davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin sich nunmehr in einer Lehre befinde und Lehrlingsentgelt erhalte. Ein Lehrvertrag sei nicht vorgelegt worden.

Mit Anwaltsschreiben der Antragsgegnerin vom 27.10.2010 sei dem Antragsteller ein Ausbildungsvertrag zur „Staatlich geprüften Sozialassistentin“ vorgelegt worden. Mit Schreiben des Antragstellers vom 04.01.2011 sei bzgl. der behaupteten Unterhaltsrückstände der Verwirkungseinwand erhoben sowie die Herausgabe des Vollstreckungstitels verlangt worden.

Hierauf hätten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin am 07.01.2011 geantwortet, dass aktuell kein Auftrag zur Zwangsvollstreckung vorliege. Am 10.06.2011 habe der Gerichtsvollzieher bei dem Antragsteller versucht, 2742,60 € Unterhalt für die Zeit von Oktober 2009 bis September 2010 zuzüglich Zinsen und Kosten zu vollstrecken.

Nachforschungen beim Jugendamt der Stadt E. sowie eine dort genommene Akteneinsicht hätten auf Bl. 18 der Akte eine Schulbescheinigung der W.-G. Schule über die Schulzugehörigkeit der Antragsgegnerin gezeigt. Diese Bescheinigung datiere vom 11.09.2006. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Antragsgegnerin an das Jugendamt E. gewandt und um Neuberechnung des Unterhalts wegen ihrer Volljährigkeit gebeten.

Diese Neuberechnung sei handschriftlich durch die Sachbearbeiterin O. erfolgt und ende mit einem Betrag in Höhe von 115,- € zu Lasten des Kindesvaters. Aufgrund des wesentlich höheren Einkommens der Kindesmutter habe sie ein höherer Anteil am Volljährigenunterhalt der Tochter getroffen. Anschließend sei ein DIN A5 – Blatt in Form eines vorgedruckten Gesprächsformulars vom 10.10.2006 gefolgt. An diesem Tage habe die Antragsgegnerin mit ihrer Mutter im Jugendamt vorgesprochen. Ihr sei die Berechnung mitgeteilt und sie aufgefordert worden, den neuen Unterhalt von 115 € monatlich ihrem Vater mitzuteilen.

Diese neu bekannt gewordenen Umstände unterstützen die Behauptung des Antragstellers, dass es im September 2006 zu einer Vereinbarung über den Kindesunterhalt gekommen sei.

Der Antragsteller hat weiter angeführt, die Zeugenaussage O. habe seinen Sachvortrag bestätigt. Diese habe ihn am 10.08.2009 angeschrieben. Er habe sie am 20.08.2009 angerufen und ihr mitgeteilt, er verdiene derzeit 4000 € netto. Am 02.09.2009 habe er die Zeugin nochmals angerufen und gesagt, dass die Tochter inzwischen doch 21 Jahre alt und das Jugendamt wohl unzuständig sei. Daraufhin habe Frau O. die Akte geschlossen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Vollstreckungsabwehrklage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass es zwischen den Beteiligten zu einer Einigung gekommen sei, dass der Titel auf 150 € herabzusetzen sei. Hierauf sei bereits in dem Verfahren zu dem Az. 34 F 534/11 hingewiesen worden.

Wenn der Antragsteller der Ansicht sei, dass er aus dem Titel nichts mehr schulde bzw. kein Bedarf mehr bestehen würde, so wäre er in der Pflicht gewesen, die Abänderung und Herausgabe des Titels zu betreiben. Ein Abänderungsverfahren sei aber nicht eingeleitet worden.

Der Antragsteller habe zu dem Verfahren 34 F 543/11 keine Auskunft erteilt. Hier laufe aktuell noch ein Zwangsgeldantrag vom 02.02.2012, da die Auskunft unvollständig sei und nicht dem Beschluss entspreche.

Überjährige Unterhaltsrückstände würden mit der Zwangsvollstreckung eben nicht geltend gemacht. Gegenstand der Vollstreckung seien die Unterhaltsbeiträge Oktober 2009 bis Oktober 2010 in Höhe von monatlich 228,55 € monatlich gemäß Erteilung des Auftrages an den Gerichtsvollzieher vom 05.04.2011 (Bl. 43 ff. d A).

Die rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung lägen nicht vor. Der Antragsteller sei mit Schreiben vom 27.10.2010, zugestellt am 03.11.2010, zur Auskunft hinsichtlich seiner Einkünfte der letzten zwölf Monate sowie Zahlung des laufenden und des sich nach Auskunftserteilung ergebenden Unterhalts aufgefordert worden. Die Beteiligten seien danach in Vergleichsverhandlungen eingetreten und dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers sei unter dem 15.12.2010 ein Vergleichsvorschlag unterbreitet worden, mit dem er u. a. auch zur Zahlung der hier in der Zwangsvollstreckung geltend gemachten Rückstände aufgefordert wurde. Im Ergebnis sei jedoch keine Einigung zwischen den Beteiligten zustande gekommen, weder zur Auskunft noch zum laufenden oder rückständigen Unterhalt. Am 05.04.2011 sei der Zwangsvollstreckungsauftrag für 10/09 bis 09/10 ausgelöst worden.

Der Antragsteller habe in dem Zeitraum 10/06 bis 09/10 Unterhaltszahlungen mehr oder weniger regelmäßig geleistet. Erst ab Oktober 2010 habe er die Zahlung ohne Begründung ausgesetzt.

In Betracht käme lediglich eine Verwirkung für Oktober und November 2009. Nachdem der Antragsteller nunmehr die Lohnabrechnungen vollständig vorgelegt habe, sei ersichtlich, dass der Antragsteller in dem Zeitraum 01/10 bis 09/10 über unbereinigte Nettoeinkünfte in Höhe von 80340,07 € verfügte, somit im Monatsdurchschnitt von 8926,67 €. Es sei nicht erkennbar, dass sich der Antragsteller bei diesen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht darauf einrichten konnte, noch einen Nachzahlungsbetrag für Oktober und November 2009 mit rund 460,- € zu leisten, zumal bis einschließlich September 2009 Unterhaltszahlungen erfolgt seien. Es fehle somit am Umstandsmoment.

Die Antragsgegnerin könne sich daran erinnern, dass sie vor ihrem 18. Geburtstag tatsächlich beim Jugendamt gewesen und dort um Veranlassung der Neuberechnung ihrer Unterhaltsansprüche gebeten habe. Sie habe jedoch vom Jugendamt diesbezüglich keinen Schriftverkehr erhalten.

Tatsächlich sei erst nach dem 18. Geburtstag eine Nachricht vom Jugendamt auf dem Anrufbeantworter eingegangen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Mutter gewohnt. Ihre Mutter könne bestätigen, dass die Nachricht hinterlassen wurde, dass der Kindesvater nicht mehr rechtzeitig erreicht wurde und dass nunmehr keine Zuständigkeit des Jugendamtes mehr gegeben sei.

Wenn die Antragsgegnerin erst im Oktober 2006 von der Unterhaltshöhe von 115 € erfahren haben solle, stelle sich die Frage, warum die Antragsgegnerin sich im September 2006 auf einen Unterhaltsbetrag in Höhe von 150,- € habe vergleichen sollen.

Die Zeugin O. ist am 17.04.2013 vor dem Amtsgericht vernommen worden. Sie hat angegeben, sie habe am 17.08.2006 eine erneute Überprüfung erreicht. Das Anschreiben datiere kurz vor der Vollendung des 18. Lebensjahres der Antragsgegnerin. Hier seien auch Auskünfte durch den Antragsteller erteilt worden und nach Berechnung des Jugendamtes wäre eine Unterhaltszahlung des Antragstellers in Höhe von 115 € angemessen gewesen und bezüglich der Kindesmutter eine solche in Höhe von 234 €.

Diese Information habe sie der Antragsgegnerin im Beisein ihrer Mutter am 10.10.2006 übermittelt. Eine Titelabänderung sei tatsächlich nicht erfolgt und sie wisse auch nicht, wie die Beteiligten sich verständigt hätten.

Am 03.08.2009 sei dann eine erneute Vorsprache der Antragsgegnerin erfolgt. Hier sei dem Jugendamt lediglich mitgeteilt worden, dass der Antragsteller gegenwärtig Unterhalt in Höhe von 100 € zahle. Das Jugendamt habe den Antragsteller dann noch einmal am 10.08.2009 angeschrieben und um Auskunft gebeten. Der Antragsteller habe schließlich am 02.09.2009 mitgeteilt, dass das Jugendamt für das Unterhaltsbegehren der Antragsgegnerin offensichtlich nicht mehr zuständig sei.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 22.05.2013 den Versäumnisbeschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 20.03.2012 aufgehoben und den Antrag des Antragstellers auf Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der Unterhaltsurkunde des Jugendamtes der Stadt E. vom 07.08.2000 (Reg.-Nr. 1299/2000) zurückgewiesen.

Das Amtsgericht führt in der Begründung aus, allein die Tatsache, dass die Zeugin der Antragsgegnerin den Rat gegeben habe, sich mit dem Antragsteller in irgendeiner Weise zu verständigen, zeuge nicht davon, dass tatsächlich eine Unterhaltsabänderung vorgenommen werde.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 12.06.2013.

Er wiederholt seinen Vortrag I. Instanz und führt an, er habe sich mit der Antragsgegnerin Ende September/Anfang Oktober 2006 auf einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 150 € für die Zeit ihres weiteren Schulbesuches geeinigt. Gegen die Zahlungen des Antragstellers habe die Antragsgegnerin über viele Jahre keine Einwendungen erhoben. Aber selbst als der Antragsteller ab Oktober 2009 die Zahlungen an die Antragsgegnerin einstellte, da er davon ausgegangen sei, dass sie sich in einer Lehre befinde und ein Lehrlingsgehalt erhalte, habe sich die Antragsgegnerin nicht gemeldet. Erst mit Anwaltsschreiben vom 27.10.2010 habe sie ihn aus der Urkunde in Anspruch genommen.

Er rüge die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Amtsgericht habe die tatsächlichen Umstände im Zusammenhang mit der Unterhaltsberechnung durch die Zeugin O. außer Acht gelassen.

Die äußeren Umstände sowie das unbestrittene Treffen der Beteiligten im W. im September/Oktober 2006 sowie die weiteren Umstände sprächen dafür, dass zwischen den Beteiligten eine Unterhaltsvereinbarung zustande gekommen sei.

Es sei auf die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast zu verweisen. Dabei müsse die Antragsgegnerin die Behauptung, es sei zu keiner Vereinbarung kommen, substantiiert bestreiten und ihrerseits darlegen, weshalb sie über mithin drei Jahre die Unterhaltszahlungen ihres Vaters anstandslos entgegengenommen habe und über ein Jahr lang ohne Unterhalt ausgekommen sei, wenn es eine solche Vereinbarung nicht gegeben habe und in ihrem Bewusstsein eine Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers bestanden habe. Bisher habe sie weder das Treffen mit ihrem Vater in 09/10 2006 im W. bestritten noch habe sie eine Erklärung für ihr Verhalten zwischen 2006 und Oktober 2010 abgegeben.

Er beantragt,

unter Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts Erfurt vom 22.05.2013, Az. 34 F 157/12, die Vollstreckung aus der Unterhaltsurkunde des Jugendamtes der Stadt E. vom 07.08.2000 zu der Registernummer 1299/2000 für unzulässig zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie wiederholt, es sei keine einvernehmliche Abänderung der Unterhaltsurkunde zwischen den Beteiligten zustande gekommen.

Der Zwangsvollstreckungsauftrag, eingeleitet im April 2011, gegen den sich der Antragsteller zur Wehr setze, beziehe sich auf die Unterhaltsbeiträge der Monate Oktober 2009 bis September 2010. Darüber hinaus seien keine Vollstreckungsaufträge bekannt.

Die Antragsgegnerin habe ihre Ausbildung zur Sozialassistentin 2011 abgeschlossen. Da es sich hierbei nur um die erste Stufe des von Anfang angestrebten Berufsziels handele, habe die Antragsgegnerin sodann die von Beginn angestrebte Ausbildung als Erzieherin im August/September 2011 begonnen. Zwischen den Beteiligten sei weiterhin ungeklärt, ob der Antragsteller die noch laufende Ausbildung als Erzieherin ebenfalls zu finanzieren habe oder ob es sich hierbei um eine nicht von ihm zu übernehmende Zweitausbildung handele.

Der Antragsteller sei hinsichtlich der hier streitgegenständlichen vollstreckten Unterhaltsansprüche erstmalig mit der Auskunftsanforderung vom 27.10.2010, vorgelegt als Anlage 2, auf Unterhaltszahlungen in Anspruch genommen. Der vollstreckte Zeitraum umfasse nicht mehr als zwölf zurückliegende Monate und unterfalle daher nicht der Verwirkung.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 58, 111 Nr. 8, 63 Abs. 1, 112 Nr. 1, 117 FamFG zulässig, jedoch nicht begründet.

Die von der Antragsgegnerin für die Zeit vom 01.10.2009 bis 30.09.2010 in Höhe von monatlich 228,55 € betriebene Zwangsvollstreckung ist nicht unzulässig, denn sie konnte – wobei die Vereinbarung im Übrigen zwischen den Beteiligten auch streitig ist – nicht wirksam auf die Rechte aus der Jugendamtsurkunde vom 07.08.2000 (Urkunden-Reg.-Nr. 12997/2000) verzichten.

Der Antragsteller begründet die Beschwerde damit, dass die Antragsgegnerin die Vollstreckung wegen Unterhaltsforderungen betreibe, der durch Jugendamtsurkunde vom 07.09.2000 titulierte Unterhaltsanspruch aber insoweit durch Verzicht bzw. Verwirkung erloschen sei.

Beruft sich ein Unterhaltsschuldner gegenüber einem bestimmten Unterhaltstitel auf Verzicht oder Verwirkung, handelt es sich um Einwendungen, die im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 120 Abs. 1 FamFG, § 767 ZPO geltend gemacht werden können (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Auflage, § 767, Rn. 13, „Verwirkung“, „Verzicht“; OLG Zweibrücken, FamRZ 2009, 142).

Das so verstandene Begehren des Antragstellers ist unbegründet. Denn es liegt weder ein wirksamer Verzicht auf Unterhalt vor, noch ist Verwirkung eingetreten.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Zusammenhang mit dem Eintritt der Volljährigkeit der Antragsgegnerin im September/Oktober 2006 eine Vereinbarung mit dem Inhalt zustande gekommen ist, dass monatlich nur noch ein Kindesunterhalt in Höhe von 150 € geschuldet wird; insoweit hat das Amtsgericht am 17.04.2013 Beweis durch Vernehmung der Jugendamtsmitarbeiterin erhoben.

Auch für den Fall, dass eine solche Vereinbarung zustande gekommen wäre, läge hierin kein wirksamer Verzicht auf Kindesunterhalt. Gemäß § 1614 Abs. 1 BGB kann für die Zukunft auf Unterhalt nicht verzichtet werden. Zulässig ist hingegen ein Verzicht für die Vergangenheit (OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 558). Unter Berücksichtigung des Wortlauts des Vortrages des Antragstellers ist anzunehmen, dass die Vereinbarung für den weiteren Schulbesuch der Antragsgegnerin gelten sollte und damit für die Zukunft. In einer Einigung dahin, in der Zukunft nur noch monatlichen Unterhalt von 150 € zu zahlen, läge ein unzulässiger Unterhaltsverzicht für die Zukunft.

Der Unterhaltsberechtigte verliert durch den Vollstreckungsverzicht nicht seinen Titel; ein (Teil-)Verzicht kann bei wiederkehrenden Leistungen temporär wirken. Dann wird eine spätere Vollstreckung nicht gehindert (OLG Zweibrücken, a.a.O.; Zöller/Herget, a. a. O., § 767, Rn. 13, „Verzicht“).

Allerdings sind auch beim Kindesunterhalt Vereinbarungen für die Zukunft nicht schlechthin ausgeschlossen. Da der angemessene Unterhalt ohnehin kein fester Betrag ist, besteht für Unterhaltsvereinbarungen vielmehr ein gewisser Spielraum, der seine Grenze erst dort findet, wo die Vereinbarung selbst nicht mehr angemessen ist, d. h. nicht mehr eine bloße Konkretisierung des gesetzlich geschuldeten Unterhalts nach individuellen Verhältnissen darstellt, sondern das gesetzliche Unterhaltsmaß eindeutig unterschreitet und damit auf einen (vollständigen oder teilweisen) Verzicht hinausläuft. Bei Unterschreitung um mehr als 20 % ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein gegen § 1614 Abs. 1 BGB verstoßender Verzicht vorliegt (Wendl/Dose/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage, § 2, Rn. 759 f.).

Im vorliegenden Fall geht es um einen Zeitraum ab dem 01.10.2009, der nicht mehr im zeitlichen Zusammenhang mit der bestrittenen Vereinbarung wegen teilweiser Leistungsunfähigkeit des Kindesvaters aus September/Oktober 2006 steht.

Da die behauptete Vereinbarung eine Herabsetzung des durch die Jugendamtsurkunde mit 228,55 € titulierten Unterhalts um 35 % auf 150 € beinhaltet und aus der Vereinbarung nicht ersichtlich noch sonst vorgetragen ist, dass der herabgesetzte Betrag konkret unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Antragstellers bemessen worden ist, jedenfalls nicht nachvollziehbar für den Senat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass in der Vereinbarung lediglich eine Konkretisierung des gesetzlich geschuldeten Unterhalts liegt. Ein wirksamer Unterhaltsverzicht ist demnach nicht gegeben.

Im Übrigen könnte ein Verzicht der Antragsgegnerin für die Zukunft nur vor dem Hintergrund der zum damaligen Zeitpunkt angenommenen (teilweisen) Nichtleistungsfähigkeit des Antragstellers angenommen werden. Diese war aber für den Zeitraum, für den die Antragsgegnerin vollstreckt, entfallen. Die Antragsteller hat der Jugendamtsmitarbeiterin am 10.08.2009 mitteilt, er verdiene derzeit 4000 € netto. Insoweit brauchte und konnte die Antragsgegnerin nicht länger angesichts der Einkommenshöhe von einer fehlenden Leistungsfähigkeit des Antragstellers ausgehen.

Der Unterhaltsanspruch ist auch nicht verwirkt. Der Antragsteller hat die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht dargelegt.

Der Vollstreckung aus der Jugendamtsurkunde steht die Einwendung illoyal verspäteter Durchsetzung eines seit langer Zeit titulierten Unterhaltsanspruches nicht entgegen. Eine solche Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) allgemein anerkannt. Sie kommt in Betracht, wenn der Gläubiger ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Schuldner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Gläubigers darauf einrichten durfte und darauf eingerichtet hat, der Gläubiger werde sein Recht nicht mehr geltend machen (vgl. BGH, NJW 2010, 3714, Abs. 23 m. Hinw. auf die st. Rspr.).

An das Zeitmoment der Verwirkung sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Es liegt nahe, von einem Unterhaltsgläubiger zu erwarten, er werde die Leistung, die dem Bestreiten seines ständigen Bedarfs an Nahrung, Kleidung und Wohnung dient, alsbald nach der Entstehung durchzusetzen versuchen. Zudem dient die zeitliche Beschränkung der Durchsetzung dazu, den Unterhaltsgläubiger vor einer schnell anwachsenden, schließlich in ihrer Summe erdrückenden Schuldenlast zu bewahren. Diese Gründe sind so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung schon erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr zurückliegen (BGH, a.a.O.). Der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes spricht dafür, hier nicht zwischen titulierten und nicht titulierten Ansprüchen zu unterscheiden (BGH, NJW-RR 2004, 649, 650).

Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 27.10.2010 den Antragsteller aufgefordert, den laufenden Unterhalt zu zahlen, die Geltendmachung von Unterhaltsrückständen ausdrücklich vorbehalten und den Antragsteller zur Auskunftserteilung bis zum 19.11.2010 aufgefordert. Es handelt sich daher bei den Monaten ab Oktober 2009, wegen deren vollstreckt wird, nicht um einen Zeitraum, der länger als ein Jahr zurück liegt, so dass es schon am Zeitmoment fehlt.

Die Verwirkung eines Rechts setzt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben neben einem Zeitmoment zusätzlich immer auch ein Umstandsmoment voraus. Die Voraussetzungen der Verwirkung können nicht allein aus einem erheblichen Zeitablauf hergeleitet werden (BGH, NJW 2005, 2223, 2225), der aber vorliegend auch nicht anzunehmen ist.

Für das Umstandsmoment müssen besondere Umstände hinzutreten, auf Grund deren sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH, FamRZ 1988, 370, 373). Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Verwirkung trägt der Verpflichtete (Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 242, Rn. 96). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann eine Verwirkung der Unterhaltsansprüche der Antragsgegnerin nicht angenommen werden.

An die besonderen Umstände, auf Grund derer der Unterhaltsschuldner sich darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsgläubiger sein Recht nicht mehr durchsetzen werde, sind strenge Maßstäbe anzulegen, wenn die Verwirkung titulierter Ansprüche in Frage steht (OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 859). Verspricht die Vollstreckung eines titulierten Anspruches keinen Erfolg, weil der Schuldner über pfändbares Einkommen nicht verfügt, muss das Umstandsmoment und damit die Verwirkung in aller Regel verneint werden (Wendl/Dose/Gerhardt, a.a.O., § 6, Rn. 146). Das Umstandsmoment ist ferner nicht gegeben, wenn der Pflichtige sich aufgrund guter finanzieller Verhältnisse wegen der titulierten Beträge nicht in seiner Lebensführung einschränken musste (BGH, FamRZ 2004, 531).

Die Antragsgegnerin hat sich an den Antragsteller durch ihre Anwälte mit Schreiben vom 27.10.2010 gewandt und zu erkennen gegeben, dass die Geltendmachung von Unterhaltsrückständen ausdrücklich vorbehalten bleibt, so dass die Voraussetzungen des Umstandsmomentes nicht anzunehmen sind. Aus dem Anwaltsschreiben des Antragstellervertreters vom 04.01.2011 ergibt sich weiter, dass zwischen den Beteiligten korrespondiert wurde. Am 10.06.2011 wurde der Gerichtsvollzieher bei dem Antragsteller vorstellig.

Zum Umstandsmoment führt der BGH (a. a. O.) aus, dass bei guten Einkünften nicht ersichtlich ist, dass der Unterhaltspflichtige seine Lebensführung tatsächlich darauf ausgerichtet habe, von der Unterhaltsberechtigten nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Diese Voraussetzungen treffen auch auf den Antragsteller zu, der in dem hier maßgeblichen Zeitraum 4000,- € netto monatlich verdient und damit in großzügigen Verhältnissen gelebt hat. Bei dieser Sachlage kann nicht ohne nähere Darlegungen seitens des Antragstellers davon ausgegangen werden, dass er sich in seiner Lebensführung darauf eingerichtet habe, von der Antragsgegnerin nicht auf Unterhaltszahlungen in Anspruch genommen zu werden.

Auch die Voraussetzungen des Umstandsmoments sind somit für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfüllt.

Die Beschwerde des Antragstellers war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Nr. 1 FamFG. Es entspricht unter den gegebenen Umständen der Billigkeit, dass der Antragsteller die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels trägt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§ 70 Abs. 1 und 2 FamFG).

Schreibe einen Kommentar