SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 09.05.2014 – S 28 AS 1366/13

IM NAMEN DES VOLKES

GERICHTSBESCHEID

In dem Rechtsstreit

S. T., Bremen,
Kläger,

Prozessbevol Imächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier,
Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.:

gegen

Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.:
Beklagter,

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 9. Mai 2014 durch den Richter am Sozialgericht M. für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 04.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2013 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

TATBESTAND

Der Kläger wendet sich gegen einen Verwaltungsakt, mit dem der Beklagte im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt hat (im Folgenden: Eingliederungsverwaltungsakt).

Der Kläger bezieht bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 13.03.2013 bewilligte ihm der Beklagte Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2013 bis zum 30.09.2013. Nachdem der Kläger sich geweigert hatte, eine von der Beklagten vorformulierte Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, ersetzte der Beklagte sie durch den streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt vom 04.04.2013. Hierin wurde als Geltungsdauer die Zeit vom 04.04.2013 bis zum 31.07.2013 festgelegt, soweit zwischendurch nichts anderes vereinbart werde.

Unter Ziff. 2 regelte der Beklagte die vom Kläger zu erbringenden Eingliederungsbemühungen. Unter anderem heißt es wörtlich: „Sie unternehmen während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung im Turnus von vier Wochen — beginnend mit dem Datum der Unterzeichnung — jeweils mindestens 5 Bewerbungsbemühungen monatlich um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und legen hierüber monatlich, erstmals zum 31.05.2013 [. ..] folgende Nachweise vor: Liste, Eingangsbestätigung, schriftl. Bewerbungen, Absagen etc.. Bei der Stellensuche sind auch befristete Stellenangebote und Stellenangebote von Zeitarbeitsfirmen einzubeziehen“.

Unter Ziff. 1 des Eingliederungsverwaltungsaktes regelte der Beklagte die vom Leistungsträger an den Kläger zu erbringenden Unterstützungsleistungen. Unter anderem heißt es wörtlich: „Er unterstützt ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III, sofern Sie diese zuvor beantragt haben. Die Beantragung erfolgt einmalig und besteht bis zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit. Es werden die Kosten erstattet, welche für schriftliche Bewerbungen notwendig sind. Hierzu zählen Papier, Briefumschläge, Bewerbungsmappen, Bewerbungsfotos, Portokosten in Höhe von 1,45 € für Großbriefe. Die Kosten werden für Bewerbungen aufgrund von Vermittlungsvorschlägen und Eigenbemühungen erstattet. Eine Erstattung erfolgt ab 10,00 €.“

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 03.05.2013 legte der Kläger gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 04.04.2013 Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2013 als unbegründet zurückwies.

Am 02.08.2013 hat der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten Klage bei Sozialgericht Bremen erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Beklagte habe den Gültigkeitszeitraum auf knapp vier Monate bestimmt und sei damit von der Regelgültigkeitsdauer einer Eingliederungsvereinbarung von sechs Monaten abgewichen. Bereits deshalb sei der Bescheid rechtswidrig. Darüber hinaus sei die Kostenerstattungsbestimmung in Ziff. 1 des Eingliederungsverwaltungsaktes rechtswidrig, da sie lediglich eine Kostenerstattung auf Nachweis vorsehe und dies im Zusammenhang mit den geforderten Bewerbungsbemühungen zu einer finanziellen Überforderung des Klägers führe. Der Bescheid sei aufzuheben. Soweit er sich durch Zeitablauf erledigt habe, bestehe wegen der drohenden Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Eingliederungsverwaltungsakt vom 04.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2013 aufzuheben,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 04.04.2013 rechtswidrig ist.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten sind wegen der Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit gerichtlichem Schreiben vom 18.03.2014 angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

1. Das Gericht kann gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

2. Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

a) Die Klage ist hinsichtlich der mit dem Hauptantrag geltend gemachten Aufhebung des Eingliederungsverwaltungsakts vom 04.04.2013 unzulässig. Der Bescheid hat sich mit Ablauf der Gültigkeitsdauer zum 10.08.2013 und damit bereits vor Klageerhebung erledigt, da von ihm nach dem Ende der Gültigkeit keine Regelungswirkung mehr ausgeht. Für eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG ist daher kein Raum.

b) Die Klage ist hinsichtlich des Hilfsantrages zulässig und begründet.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG statthaft und im Übrigen zulässig. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 14.02.2010 – B 14 AS 195/11 R -, mit weiteren Nachweisen, zit. nach juris, Rn 16). Die Wiederholungsgefahr ist vorliegend zu bejahen, da zu erwarten ist, dass der Beklagte den Kläger weiterhin in Eingliederungsmaßnahmen einbeziehen und es auch künftig zu dem Erlass entsprechender Eingliederungsverwaltungsakte kommen wird (vgl. hierzu BSG, a.a.O.).

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 04.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.07.2013 war rechtswidrig.

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakt ist § 15 Abs. 1 SGB II. Nach dieser Norm soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Satz 1). Die Eingliederungsvereinbarung soll insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemü-hungen nachzuweisen sind, 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (Satz 3). Die Eingliederungsvereinbarung soll für sechs Monate geschlossen werden. Danach soll eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden (Satz 4). Bei jeder folgenden Eingliederungsvereinbarung sind die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen (Satz 5). Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen (Satz 6).

Vorliegend waren die Voraussetzungen für den Erlass eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II unstreitig erfüllt, da eine Eingliederungsvereinbarung aufgrund der Weigerung des Antragstellers nicht zustande gekommen ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers folgt die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht schon aus der Kostenerstattungsbestimmung in Ziff. 1 des Eingliederungsverwaltungsaktes. Das Landessozialgericht – LSG – Niedersachsen-Bremen hat in Eilverfahren wiederholt entschieden, dass die Eingliederungsvereinbarung oder ein Ersetzungsbescheid bei verbindlich vereinbarten oder festgelegten schriftlichen Bewerbungen auch Bestimmungen über die zu erbringenden Leistungen für entstehende Bewerbungskosten enthalten muss, welche über die bereits vorhandene gesetzliche Regelung hinausgehen und die Leistungen individuell und eindeutig unter Benennung der für die Gewährung maßgeblichen Gründe festlegen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 04.04.2012 – L 15 AS 77/12 B ER -, vom 01.08.2012 – L 15 AS 235/12 B ER – und vom 21.03.2013 – L 15 AS 307/12 B ER -). Diesen Anforderungen entspricht aber die vorliegend von der Beklagten getroffene Kostenübernahmeregelung. Denn der Beklagte hat nicht lediglich allgemein die Übernahme notwendiger Bewerbungskosten nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Aussicht gestellt, sondern weitergehend geregelt, welche Aufwendungen dabei dem Grunde nach als erstattungsfähig gelten sollen. Mit der ausdrücklichen Benennung der Portokosten für Großbriefe und der Aufwendungen für Schreibpapier, Briefumschläge, Bewerbungsmappen und Bewerbungsfotos hat er alle wesentlichen Kosten schriftlicher Bewerbungen eingeschlossen. Dass er hierbei mit Ausnahme der feststehenden Kosten für den Versand von Großbriefen in Höhe von 1,45 EUR von der Mitteilung fester Obergrenzen abgesehen hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung. Zwar schränkt dieser Umstand die Vorhersehbarkeit des Höchstbetrages erstattungsfähiger Aufwendungen ein; ihre Rückführung auf den Maßstab der Angemessenheit und Notwendigkeit findet jedoch ihre Rechtfertigung darin, dass die Preise für den Kauf von Büromaterial und die Anfertigung von Bewerbungsfotos in Abhängigkeit von den im Einzelfall zugänglichen Quellen, den Abnahmemer und der für die Beschaffung zur Verfügung stehenden Zeit variieren (vgl. zum Vorstehenden LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.05.2014 – L 15 AS 144/14 B ER -).

Der Eingliederungsverwaltungsakt erweist sich aber als rechtswidrig, weil der Beklagte entgegen der gesetzlichen Vorgabe eine Geltungsdauer von nur knapp vier Monaten angeordnet hat, ohne hierbei das erforderliche Ermessen auszuüben (vgl. BSG, Urteil vom 14.02.2010 -B 14 AS 195/11 R zit. nach juris). Das BSG hat zur Festlegung der Geltungsdauer eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts Folgendes ausgeführt:

„Die Rechtswidrigkeit des ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakts, mit dem der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt hat, ergibt sich hier aus der Tatsache, dass der Beklagte entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat. Zwar verweist Satz 6 des § 15 Ans 1 SGB II wegen des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts allein auf die Regelungen nach Satz 2. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass der Grundsicherungsträger die Geltungsdauer eines ersetzenden Verwaltungsakts ohne Bindung an die Vorgabe des Satzes 3 nach freiem Ermessen festlegen können sollte. Nach § 15 Abs 1 Satz 3 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden. Aufgrund des Verhältnisses der Regelungen in Satz 1 und 2 des § 15 Abs 1 SGB II zu Satz 6 dieser Vorschrift gilt dies auch für den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt.

Bei der Entscheidung über die Geltungsdauer ist das Ermessen des Grundsicherungsträgers danach gebunden. Für den Regelfall sieht der Gesetzgeber sechs Monate als angemessen an. Die sechsmonatige Regellaufzeit entspricht dem Bewilligungszeitraum für Leistungen nach dem SGB II gemäß § 41 Abs 1 Satz 2 SGB II. Bis zum 31.12.2006 galt als Übergangsregelung zur Entlastung der Verwaltung noch eine Laufzeit von bis zu zwölf Monaten (vgl dazu Fuchsloch in Gagel, SGB ll, Stand Juni 2006, § 15 RdNr 73). Die nunmehr geltende kürzere Frist von sechs Monaten gibt dem Hilfebedürftigen einerseits einen stabilen, verlässlichen Rahmen, garantiert aber andererseits durch kontinuierliche Beobachtung, dass nicht an Zielen starr festgehalten wird, die sich als erfolglos erwiesen haben (vgl Fuchsloch, aaO; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl 2011, § 15 RdNr 36 t). Deshalb „soll“ nach Satz 4 des § 15 Abs 1SGB II nach Ablauf von sechs Monaten eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden.“

Vorliegend kann weder dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 04.04.2013 noch dem Widerspruchsbescheid vom 16.07.2013 entnommen werden, dass der Beklagte die grundsätzliche Bindungswirkung des gesetzlich vorgegeben Sechsmonatszeitraums sowie die für eine Abweichung bestehende Erforderlichkeit der Ermessensausübung erkannt hat. Die Bescheide enthalten weder die Feststellung eines atypischen Falls (welcher z.B. bei einem von der Regeldauer nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II abweichenden Bewilligungszeitraums angenommen werden könnte) noch Ermessenserwägungen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Ist der Gerichtsbescheid im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

gez. M.
Richter am Sozialgericht

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