OLG Oldenburg, Beschluss vom 19.11.2020 – 11 WF 259/20

Az. der Vorinstanz: 2 F 29/20 VKH1 AG Varel

Oberlandesgericht Oldenburg

Beschluss

in der Familiensache

…,

hat der 11. Zivilsenat – 3, Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Oldenburg durch die Richterin am Oberlandesgericht B. und die Richter am Oberlandesgericht B. und Dr. H.

am 19. November 2020

beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Varel vom 29.09.2020 wird dahingehend abgeändert, dass das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen den Richter am Amtsgericht Dr. … für begründet erklärt wird.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die gemäß §§ 6 Abs. 2 FamFG, 567 ff» ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache Erfolg.

Aufgrund des Beschlusses vom 03.08.2020, mit welchem dem Antragsteller unter Hinweis auf seine unterlassene Mitwirkung bei der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Erziehungsgeeignetheit die zuvor erfolgte Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe aufgehoben wurde, liegt gemäß § 6 Abs. 1 FamFG, §42 Abs. 2 ZPO ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist; entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der  Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. statt vieler OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.2018 – 4 WF 251/18, juris Rn. 8 m.w.N.).

Zwar ist der Ansatzpunkt des angefochtenen Beschlusses, dass nicht jeder Verfahrensfehler die Befürchtung der Befangenheit zu wecken vermag, zutreffend. Dies gilt aber nicht zwingend bei erheblichen Verfahrensverstößen, etwa wenn hiermit ein leichtfertiger Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen verbunden ist (vgl. OLG Hamm a.a.O., juris Rn. 9).

Und dies ist hier der Fall.

Eine sachverständige Exploration zur Frage der Erziehungsgeeignetheit berührt den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V, mit Art. 1 Abs. 1 GG, welches grundsätzlich vor einer Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter schützt. Dieses Recht ist zwar nicht absolut geschützt, vielmehr sind Eingriffe grundsätzlich zulässig, sofern nur der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird. Allerdings erfordern Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine klare und unmissverständliche gesetzliche Grundlage. In Ermangelung einer derartigen Ermächtigungsgrundlage kann niemand gezwungen werden, sich explorieren zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Sachverständigen zu erscheinen (vgl. BGH NJW 2010, 1351, 1352 Rn. 21). Dementsprechend besteht auch keine materielle Feststellungslast zu Lasten des Antragstellers. Vielmehr müssen, wenn in einem Sorgerechtsverfahren die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Eingriffsnorm nicht festgestellt werden können, entsprechende Maßnahmen unterbleiben (vgl. BGH a.a.O., Rn 23) An dieser Feststellungslast des Staates vermag der Umstand, dass der Antragsteller bislang die Begutachtung verweigert hat, nichts zu ändern. Dieser Umstand ist auch nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2010,1351,1353 Rn. 24). Denn nur ein verwertbares, missbilligenswertes Verhalten vermag den Vorwarf der Beweisvereitelung zu tragen, also ein Verhalten, das wider Treu und Glauben erfolgt und nach dem allgemeinen Rechtsempfinden als verwerflich erscheint (vgl. BGH a.a.O., Rn. 25). Darin, dass der Antragsteller die Mitwirkung an einer Begutachtung verweigert hat, kann kein missbilligenswertes Verhalten gesehen werden. Wie vorstehend ausgeführt wurde, berührt eine sachverständige Exploration das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen, weshalb sich die Weigerung des Antragstellers letztlich als Ausübung seiner Grundrechte darstellt. Würde seine Weigerung als missbilligenswertes Verhalten gewertet welches beweisrechtliche Nachteile nach sich zöge, läge in dieser Würdigung zugleich ein ungerechtfertigter Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers (vgl. BGH a.a.O., Rn. 26).

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Verknüpfung von unterbliebener Mitwirkung an der Begutachtung und Aufhebung von Verfahrenskostenhilfe als derart verfahrensfehlerhaft, dass der Antragsteller, auch vom Standpunkt eines objektiven Beobachters aus, den Eindruck gewinnen musste, dass sich der abgelehnte Richter leichtfertig über seine grundrechtlich geschützte Position hinweggesetzt hat, zumal der abgelehnte Richter die Versagung der Verfahrenskostenhilfe auf § 124 Abs. 2 ZPO – die im Ausgangsbeschluss zitierte Norm ,,§ 124 Nr. 2 ZPO“ dürfte offensichtlich hier noch weniger gemeint sein – gestützt hat, obwohl diese Norm explizit auf eine „von der Partei beantragte Beweiserhebung“ abstellt und damit schon aufgrund des Wortlauts im hiesigen amtswegigen Verfahren erkennbar nicht einschlägig sein kann. Im Übrigen zeigt die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters, dass er sein Vorgehen auch im Nachhinein für gerechtfertigt hält und daher nicht anzunehmen war, dass er seinen Beschluss zurückgenommen oder korrigiert hätte (vgl. OLG Hamm a.a.O., juris Rn. 10).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.