Sozialgericht Bremen, Gerichtsbescheid vom 12.05.2014 – S 16 AS 2172/13

Sozialgericht Bremen

Im Namen des Volkes
Gerichtsbescheid

In dem Rechtsstreit

F. S., Bremen,
Kläger,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier,
Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – F/2013/080 (2) –

gegen

Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.:
Beklagter,

hat die 16. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 12. Mai 2014 durch ihre Vorsitzende, Richterin N., für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 23.09.2013 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 22.10.2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

TATBESTAND

Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung seines Arbeitslosengeldes II durch den Beklagten.

Der 1974 geborene Kläger steht im laufenden Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Anfang August 2013 wies der Beklagte dem Kläger eine Eingliederungsmaßnahme bei der X Bremen ab dem 26.08.2013 zu. Der Zuweisung war ein Auszug der §§ 31 f. SGB II beigefügt. Der Kläger erschien bei der Maßnahme nicht. Nach durchgeführten Anhörungsverfahren kürzte der Beklagte die SGB II-Leistungen für den Zeitraum 01.10.2013 bis 31.12.2013 um 30 Prozent der maßgebenden Regelleistung (Bescheid vom 23.09.2013). Zu dem hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers nahm die Integrationsabteilung des Beklagten Stellung. In einem Aktenvermerk findet sich der Hinweis, dass dem Kläger das Zuweisungsschreiben inklusive des Hinweises auf die Rechtsfolgen ausgehändigt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Der Kläger hat am 06.11.2013 Klage erhoben. Er beantragt nach Lage der Akten,

den Sanktionsbescheid des Beklagten vom 23.09.2013 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 22.10.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt nach Lage der Akten,

die Klage abzuweisen.

Er behauptet, dass der Kläger über die Rechtsfolgen mündlich aufgeklärt worden sei.

Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Über die Klage kann gemäß § 105 Abs.1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die Klage hat Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zulässig und auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die Minderung des Arbeitslosengeldes II ist § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach mindert sich das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Vorliegend fehlt es an einer Pflichtverletzung des Klägers. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben. Mangels Vorliegen einer schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen scheidet eine Pflichtverletzung vorliegend aus. Insbesondere genügt die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes nicht den Anforderungen an eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung. Das Bundessozialgericht (BSG) führt in seinem Urteil vom 17.12.2009 hierzu aus (B 4 AS 30/09 R, Rn. 22 ff. -zitiert nach juris):

„[…] § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II setzt in allen dort geregelten Alternativen voraus, dass der Hilfebedürftige die von ihm geforderte Handlung „trotz Belehrung über die Rechtsfolgen“ unterlassen hat. Die Wirksamkeit einer solchen Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist, zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweiligen Angebot einer Arbeitsgelegenheit erfolgt, sowie dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung, die angebotene Arbeitsgelegenheit anzutreten, für ihn ergeben, wenn für die Weigerung kein wichtiger Grund vorliegt (vgl schon BSG, Urteil vom 16.12.2008 – 8 4 AS 60/07 R, BSGE 102, 201, 211 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4, RdNr 36; Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 31 RdNr 44; Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 31 RdNr 64 ff, Schmidt-De Caluwe in Estelmann, SGB II, Stand Dezember 2007, § 31 RdNr 84 ff; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 31 RdNr 139 ff; Dauber in Mergler/Zink, SGB II, Stand Oktober 2008, § 31 RdNr 16; vgl ferner zum Arbeitsförderungsrecht BSG, Urteil vom 16.9.1999 – B 7 AL 32/98 R = BSGE 84, 270, 276 mwN; BSG, Urteil vom 1.6.2006 – B 7a AL 26/05 R = juris RdNr 14) . Diese strengen Anforderungen ergeben sich aus der Funktion der Rechtsfolgenbelehrung, den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen hinreichend über die gravierenden Folgen des § 31 Abs 1 SGB II (Absenkung der für ihn maßgebenden Regelleistung um 30 % und Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II) zu informieren und ihn in allgemeiner Form vorzuwarnen (vgl BSG, Urteil vom 10.12.1981 – 7 RAr 24/81 = SozR 4100 § 119 Nr 18 S 87; BSG, Urteil vom 13.5.1987 – 7 RAr 90/85, BSGE 61, 289, 293 = SozR 4100 § 119 Nr 31). Nur eine verständliche Rechtsfolgenbelehrung kann die mit den Sanktionen verfolgte Zweckbestimmung, das Verhalten des Hilfebedürftigen zu steuern, verwirklichen.

Die Warn- und Steuerungsfunktion geht verloren, wenn der Grundsicherungsträger die Rechtsfolgenbelehrung derart standardisiert, dass sie – wie vorliegend – lediglich verschiedene Arten von Maßnahmen aufzählt und die Arbeitsgelegenheit iS von § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst d SGB II als eine von mehreren möglichen Varianten benennt. Hinreichend belehrt wird der Adressat nämlich nur, wenn nur die konkrete Maßnahme, an deren Nichtteilnahme nachteilige Folgen geknüpft werden, ausdrücklich benannt wird und der Adressat sich damit direkt angesprochen fühlt. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn mehrere Varianten zur Auswahl gestellt werden und dem Hilfebedürftigen die Auswahl überlassen wird, ob eine der genannten Alternativen für ihn einschlägig ist. Angemerkt sei hierzu, dass auch die Beklagte im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid die für den vorliegenden Sachverhalt einschlägige Variante nicht zutreffend benannt hat. Die hier zu beurteilende Rechtsfolgenbelehrung ist darüber hinaus auch deshalb mangelhaft, weil sie in der einschlägigen Passage die fragliche Maßnahme lediglich durch einen Hinweis auf deren gesetzliche Grundlage (§ 16 Abs 3 Satz 2 SGB II) umschreibt. Es ist mit dem Zweck der Rechtsfolgenbelehrung nicht zu vereinbaren, dass deren Inhalt nur unter Hinzuziehung des Gesetzestextes zu erschließen ist.

An das Erfordernis der hinreichenden Konkretisierung der Rechtsfolgenbelehrung sind auch nicht im Einzelfall etwa dann geringere Anforderungen zu stellen, wenn sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige über die möglichen Rechtsfolgen einer Ablehnung der konkret angebotenen Arbeitsgelegenheit im Klaren sein musste. Denn es kommt insoweit nicht auf das Kennen oder Kennenmüssen der Rechtsfolgen durch den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, sondern auf das Handeln dessen an, der die Arbeitsgelegenheit unterbreitet. Als formale und zwingende Bedingung für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst d SGB II muss eine Konkretisierung der Belehrung daher unabhängig von der Person des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen erfolgen (vgl BSG, Urteil vom 10.12.1981 – 7 RAr 24/81, BSGE 53, 13, 16 = SozR 4100 § 119 Nr 18 S 88 t).“

Das Gericht macht sich diese Ausführungen explizit zu Eigen. Auch vorliegend wurde dem Kläger durch die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes nicht hinreichend kenntlich gemacht, was ihm bei Nichtantritt der Maßnahme droht.

Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass der Kläger die Rechtsfolgen kannte, da er mündlich belehrt worden sei, so obliegt ihm nach dem Grundsätzen der objektiven Beweislast der Nachweis hierzu. Dies ist ihm nicht gelungen. Auch folgt aus dem Aktenvermerk lediglich, dass ihm das Zuweisungsschreiben samt Hinweis auf die Rechtsfolgen übergeben wurde, nicht dagegen, dass eine individuelle Rechtsfolgenbelehrung in einem Gespräch tatsächlich stattfand.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG i. V. m. § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG.

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