Amtsgericht Warendorf, Beschluss vom 02.10.2014 – 9 F 399/14

Amtsgericht Warendorf
Familiengericht
Beschluss

In der einstweiligen Anordnungssache

hat das Amtsgericht Warendorf am 02.10.2014 durch den Direktor des Amtsgerichts K. beschlossen:

Der Antrag der Antragstellerin auf Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge für die Jugendliche … wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Antragstellerin ist die Großmutter, die Antragsgegnerin die Mutter der Jugendlichen …

I.

Die Großmutter begehrt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes, der Gesundheitssorge sowie des Rechtes, behördliche Anträge zu stellen und schulischen Angelegenheiten zu regeln.

Zwischen der Großmutter und der Mutter bestehen seit längerer Zeit unterschiedliche Auffassungen über das Wohl des Kindes der Antragsgegnerin. Die Großmutter hat bereits früher versucht, die elterliche Sorge für die Jugendliche zu erlangen. Als ein Zusammenleben zwischen Kindesmutter und Tochter nicht mehr möglich war, lebte … für etwa drei Monate bei der Großmutter. Der Aufenthalt dort wurde unter zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitigen Umständen durch eine Krisenintervention des Jugendamtes beendet. Seit dem 08.07.2013 lebt … mit Zustimmung der Kindesmutter in einer Jugendwohngruppe in …

Die Großmutter beruft sich darauf, … wolle unbedingt zu ihr ziehen. Eine einvernehmliche Lösung mit der Kindesmutter sei jedoch nicht möglich. Das damalige Sorgerechtsverfahren habe deshalb nicht zu einer Übertragung der elterlichen Sorge auf sie geführt, weil die Mutter … manipuliert habe. Den Aufenthalt bei ihr habe sie aus Neid beendet. Es gebe keinen vernünftigen Grund, warum … außerhalb von Bremen untergebracht worden sei. Sie drohe nicht – wie vom Jugendamt angenommen – im Konflikt zwischen Mutter und Großmutter zu zerbrechen, da Kontakte zwischen Mutter und Großmutter nicht mehr bestünden. Zur Einschaltung des Krisendienstes des Jugendamtes sei es lediglich gekommen, weil die Kindesmutter ständig vor Ort gewesen sei und versucht habe, das Kind zu beeinflussen. Auch habe ein schädlicher Freundeskreis nicht bestanden. Auch habe sich … nicht, wie vom Jugendamt berichtet, gut eingelebt. Sie werde dort über die Maßen reglementiert, weswegen sie nach Bremen zurück wolle. Auch werde sie nicht von der Großmutter gegen die Mutter eingenommen. Eine Rückkehr in den Haushalt der Mutter sei jedoch unter allen Umständen ausgeschlossen. Dem Wunsch der jetzt fünfzehnjährigen Jugendlichen sei zu entsprechen. Dieser gehe eindeutig dahin, die Trennung von den Freunden und der Großmutter aufzuheben. Die Missachtung des Willens verletze das Kindeswohl. Die Kindesmutter habe in Kenntnis dessen gegen den Willen von … der Verbringung nach … zugestimmt. Sie übe die elterliche Sorge nicht eigenverantwortlich und eigenständig aus, sondern bestätige lediglich die Auffassung des Jugendamtes, um die rechtliche Position der elterlichen Sorge zu behalten.

Die Antragstellerin beantragt,

der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht, behördliche Anträge zu stellen und das Recht, die schulischen Angelegenheiten für das Kind …, geboren am … zu regeln, zu entziehen und auf sie, die Antragstellerin übertragen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Mit der Unterbringung … in einer Facheinrichtung habe sie ihre elterliche Verantwortung vollumfänglich wahrgenommen. Es bestehe keine Veranlassung, in das Sorgerecht einzugreifen. Bereits früher habe die Antragstellerin versucht, sich massiv in die Erziehung des Kindes einzumischen und ihr zu suggerieren, dass sie zur Erziehung des Kindes nicht in der Lage sei. Hierüber sei es seit Langem zum Streit gekommen. Dieser bestehe bereits seit dem Jahre 2009. Die Antragstellerin leide unter einer manisch-depressiven Erkrankung. Sie nehme regelmäßig Psychopharmaka ein. Sie sei nicht in der Lage, sich um … zu kümmern. Richtig sei, dass ein weiteres Zusammenleben im Haushalt der Kindesmutter nicht mehr möglich gewesen sei. Nach dem Umzug zur Großmutter sei es jedoch … gewesen, die kurze Zeit nach Beginn der häuslichen Gemeinschaft mit der Großmutter den Kriseninterventionsdienst des Jugendamtes alarmiert habe, um den Haushalt der Mutter wieder verlassen zu können, die vollständig überfordert gewesen sei.

Es sei wichtig gewesen, … in Bremen aus der Schusslinie zu nehmen. Jetzt versuche die Antragstellerin, … zur Rückkehr zu bewegen. … befinde sich in einem Loyalitätskonflikt, da sie sich aus ihrer Sicht in … nicht wohl fühlen dürfe. Die Erziehung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit könne bei der Großmutter keinesfalls erfolgen. Dies zeige sich auch daran, dass die Großmutter die Grenzsetzungen durch die Mitarbeiter der Jugendeinrichtung nicht als Erziehung zu einer erwachsenen Persönlichkeit, sondern als Reglementierung sehe. Dem Kindeswohl entspreche die Aufrechterhaltung der jetzt einsetzenden Kontinuität.

Das Jugendamt hat in seinem Bericht vom 11.6.2014 dahingehend Stellung genommen, dass es bei der Großmutter keine Ressourcen für eine Erziehung … sehe. … habe an den Auseinandersetzungen zwischen Kindesmutter und Großmutter zu zerbrechen gedroht. Die Großmutter habe sich während der Zeit der Betreuung der Heranwachsenden als überfordert gezeigt. Die lnobhutnahme durch den Krisendienst und die Unterbringung außerhalb Bremens sei erforderlich gewesen, um … aus dem Konfliktfeld zwischen Mutter und Großmutter zu nehmen. In … sei sie beliebt und integriert. Es müsse jedoch auf die Einhaltung einer Besuchsregelung geachtet werden. … würde gerne nach Bremen zurückziehen. Dies werde von ihrer Großmutter unterstützt. Die Mutter wolle, dass sie in der Einrichtung in … verbleibe. Hier sei sie nach Auffassung des Jugendamtes aktuell gut aufgehoben. Die Zusammenarbeit mit der Kindesmutter laufe gut. Diese zeige sich zuverlässig und kooperativ. Demgegenüber arbeite die Großmutter mit dem Jugendamt oder der Einrichtung nicht zusammen. Sie stelle weitgehende Forderungen an alle Beteiligten, arbeite selbst jedoch nicht mit. Ressourcen für die Erziehung einer Heranwachsenden bestünden nicht.

Das Gericht hat die Jugendliche, die erwachsenen Beteiligten und das Jugendamt angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der nicht-öffentlichen Sitzung vom 26.9.2014 Bezug genommen.

II.

Der Antrag der Großmutter auf Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge ist nicht begründet. Voraussetzung für die Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf die Großmutter ist, dass diese zuvor der Kindesmutter entzogen werden. Maßstab für einen Entzug der elterlichen Sorge ist § 1666 BGB. Entscheidend ist mithin, ob die aktuelle Situation mit der Entscheidung der Kindesmutter, … in der Wohngruppe in … zu belassen, eine Gefährdung des Kindeswohls begründet. Nicht entscheidend ist der Wertungsmaßstab des §§ 1671 BGB, welche Regelung des Aufenthaltes dem Kindeswohl möglicherweise am besten entspricht. Nach dem für das Gericht feststellbaren Sachverhalt liegt eine Gefährdung des Kindeswohls nicht vor. Im Gegenteil würde eine Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf die Großmutter dem Kindeswohl widersprechen.

Eine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 1666 BGB durch die aktuelle Situation ist für die Jugendliche nicht feststellbar. Ein weiteres Zusammenleben zwischen Mutter und Tochter war nicht mehr möglich. Der Versuch eines dauerhaften Aufenthaltes bei der Großmutter ist im Jahre 2013 gescheitert. Zwar sind die Umstände der Inobhutnahme im einzelnen streitig, nach den Angaben aller Beteiligten kam es jedoch während des etwa dreimonatigen Aufenthaltes … bei der Antragstellerin zu massiven Spannungen sowohl zwischen Großmutter und Kindesmutter, als auch zwischen … und Mutter, bzw. Großmutter. Vor dem Hintergrund dieser Konfliktsituation ist … außerhalb Bremens in … untergebracht worden. Nach Einschätzung der professionell beteiligten Fachkräfte hat sie sich dort gut integriert. Zur Einrichtung und zu den Mitbewohnern bestehe ein vertrauensvolles Verhältnis. Aus der Gestaltung der äußeren Bedingungen selbst ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls.

Eine Gefährdung des Kindeswohls ergibt sich auch nicht daraus, dass … den Willen äußert, nach Bremen und zur Grossmutter zurückkehren zu wollen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine autonome oder um eine manipulierte Willensbildung der Jugendlichen handelt. Nach Einschätzung der professionell beteiligten Fachkräfte kann sich … nicht zuordnen, weil ihr im Rahmen täglicher Telefonkontakte suggeriert werde, dass sie sich in … nicht wohl fühlen dürfe. Nach Auffassung der Großmutter ist sie die einzige Person, der … vertraue. In der Wohngruppe werde sie unverhältnismäßig stark reglementiert.

Der unterschiedlich interpretierte Wille der Jugendlichen ist vor dem Hintergrund des Prüfungsmaßstabes des §§ 1666zu bewerten. Ein Entzug der elterlichen Sorge kommt nicht beliebig nach dem Willen eines Jugendlichen in Betracht. So wäre es zum Beispiel nicht möglich, etwa bei pubertären Konflikten allein auf Wunsch des Kindes die elterliche Sorge auf einen Dritten zu übertragen, ohne dass eine Gefährdung des Kindeswohls festgestellt wird. Anders als bei der Berücksichtigung des Kindeswillens im Rahmen des §§ 1671 BGB setzt ein Entzug der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB immer eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Eltern voraus. Eine solche liegt in der Entscheidung der Mutter, … aus dem Konfliktfeld der erwachsenen Beteiligten herauszunehmen, nicht. Ein mit der Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge verbundener Wechsel nach Bremen würde nach dem für das Gericht feststellbaren Sachverhalt eine Rückführung der Jugendlichen gerade in den Konfliktbereich zwischen Großmutter und Kindesmutter bedeuten. Nach dem Ergebnis der Anhörung bestehen auch weiterhin massive Konflikte zwischen der Mutter und der Großmutter. Beide sind nicht in der Lage die Konfliktebene der Erwachsenen von der Frage des Kindeswohls zu trennen. Beide halten die jeweils Andere unter massiven Vorwürfen gegen die Person für vollständig ungeeignet, die Betreuung und Versorgung einer Jugendlichen zu übernehmen. Ein Aufenthalt bei Mutter oder Großmutter würde diesen Konflikt, der vollumfänglich auf … durchschlägt, nochmals massiv verstärken.

Darüber hinaus ist für das Gericht eine autonome Willensbildung auf Seiten der Jugendlichen, deren Missachtung unter Umständen zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohls führen könnte, nicht mit hinreichender Sicherheit verstellbar. … hatte sich zunächst der Mutter zugeordnet; später der Großmutter, nachdem diese ihr erklärt habe, dass die Mutter schlecht und unwahr über die Großmutter gesprochen habe. Am Ende des Termins vom 26.09.2014 hat … die Kindesmutter bezichtigt, auch vor Gericht gelogen zu haben, obwohl sie bei der Anhörung der Erwachsenen Beteiligten nicht anwesend war. Ihre massive Zuordnung, die sie lediglich pauschal begründen kann, spricht für das Vorliegen eines starken Loyalitätskonfliktes.

Unabhängig von dem Fehlen einer Gefährdung des Kindeswohls durch die jetzige Situation bestehen Bedenken gegen das Vorliegen ausreichender Erziehungskompetenzen auf Seiten der Großmutter. Wie alle Beteiligten übereinstimmend mitgeteilt haben, war auch die Zeit … bei der Großmutter nicht konfliktfrei. Die Frage des Kindeswohls wird nach dem Ergebnis der Anhörung von Mutter und Großmutter deutlich durch den massiven Streit der erwachsenen Beteiligten überlagert. Die Großmutter sieht erforderliche Grenzsetzungen eher als Maßregelung und Reglementierung an. Sie sieht sich als.einzige Person, der die Jugendliche vertrauen könne. Die Toleranz, insbesondere Bindungen zur Mutter zuzulassen, wäre auf Seiten der Großmutter nicht gegeben. Bei dem erklärten Willen … Wünsche umzusetzen, übernimmt sie ungeprüft alle Schilderungen der Jugendlichen, ohne sich eigenständig über die konkreten Bedingungen in der Wohngruppe zu informieren.

Die Minderjährige gegen den Willen der Sorgeberechtigten ohne die Feststellung einer Gefährdung des Kindeswohls in die Obhut der Großmutter zu geben und damit die Streitsituation zwischen Mutter und Großmutter zu manifestieren, die vollumfänglich auf die Minderjährige durchschlägt, ist nach Auffassung des Gerichts rechtlich ausgeschlossen und auch in tatsächlicher Hinsicht für das Kind schädlich. Dies gilt vorliegend auch in Anbetracht des gäußerten und abweichenden Willen des Kindes.

Da im Rahmen einer Prüfung nach § 1666 BGB eine Gefährdung des Kindeswohls nicht in Betracht kommt, ist von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes abgesehen worden.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben.

Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht – Familiengericht -Warendorf, Dr. Leve-Str. 22, 48231 Warendorf schriftlich in deutscher Sprache durch einen Rechtsanwalt einzulegen.

Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht – Familiengericht – Warendorf Dr. Leve-Str. 22, 48231 Warendorf eingegangen sein. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen.

Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer einen bestimmten Sachantrag stellen und diesen begründen. Die Frist hierfür beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Innerhalb dieser Frist müssen der Sachantrag sowie die Begründung unmittelbar bei dem Beschwerdegericht – Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm – eingegangen sein.

Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind.

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