BVerfG, Beschluss vom 27. April 2017 – 1 BvR 563/17

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

der Frau J…,
– Bevollmächtigte:

Rechtsanwälte Kässens & Katenhusen, Kanonierstraße 1, 26135 Oldenburg –

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 23. Januar 2017 – 11 UF 150/16 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 13. Oktober 2016 – 76 F 118/14 SO –

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Eichberger und die Richterinnen Baer, Britz gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. April 2017 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, ohne dass es einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

G r ü n d e :

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Entzug der elterlichen Sorge für ihre drei Kinder, die fremduntergebracht sind.

1. a) Die Beschwerdeführerin ist die Mutter eines elfjährigen Sohnes (geboren 2005), eines achtjährigen Sohnes (geboren 2008) und einer fünfjährigen Tochter (geboren 2011), die jeweils einen anderen Vater haben. Für ihre Söhne übte die Beschwerdeführerin die elterliche Sorge aufgrund einer entsprechenden Sorgeerklärung gemeinsam mit dem jeweiligen Vater aus, für ihre Tochter hatte sie die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung inne. Die Kinder wurden geboren, während die Beschwerdeführerin einem Studium in Nordrhein-Westfalen nachging. Nach der Geburt ihrer Tochter erhielt die Familie erstmals eine ambulante Hilfe in Form einer Familienhilfe. Nach der Trennung vom Vater der Tochter zog die Beschwerdeführerin Mitte 2012 mit den Kindern in den Haushalt ihrer eigenen Eltern in Niedersachsen. Es folgte zunächst eine ambulante, dann stationäre psychiatrische Behandlung der Beschwerdeführerin vom 28. August bis zum Abbruch durch die Beschwerdeführerin am 16. September 2012 wegen einer depressiven Erkrankung. Das Jugendamt am neuen Wohnort wurde tätig, nachdem der ältere Sohn in der Schule starke Verhaltensauffälligkeiten zeigte. Daraufhin erhielt er ambulante Hilfe in Form einer Tagesgruppe, die er täglich besuchen konnte. Ab dem 24. Februar 2014 wurde zusätzlich eine Familienhilfe im Haushalt der Beschwerdeführerin installiert. In ihrem Bericht vom 4. April 2014 fasste die eingesetzte Familienhelferin zusammen, dass sie die Kindesmutter orientierungslos und teilweise verwirrt erlebt habe, ihre Zukunftspläne änderten sich ständig. Den Kindern fehle ein stabiler Rahmen. Eine zielgerichtete Arbeit sei mit der Kindesmutter kaum möglich. Die Erziehungsstile der Kindesmutter („hilflos-labil“) und der Großeltern („rigide-autoritär“) seien extrem unterschiedlich.

b) Nachdem das Jugendamt mit Schreiben vom 5. Juni 2014 eine Gefährdungsmeldung an das Amtsgericht abgegeben hatte, da die Beschwerdeführerin die Zusammenarbeit bei unklarer Gefährdungssituation grundlegend verweigere, wurde für die Kinder zunächst ein Verfahrensbeistand bestellt. Die Verfahrensbeiständin empfahl in der aus ihrer Sicht kindeswohlgefährdenden Situation die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei gleichzeitiger Unterbringung der Kinder in einer Bereitschaftspflegefamilie.

In einer ersten amtsgerichtlichen Anhörung am 17. Juli 2014 erklärte sich die Beschwerdeführerin bereit, eine sozialpädagogische Familienhilfe in ihrem Haushalt anzunehmen. Im August 2014 fasste sie jedoch den Plan, mit ihren Kindern nach Nordrhein-Westfalen umzuziehen. Gleichzeitig teilte sie dem Gericht mit, dass sie auf die sozialpädagogische Familienhilfe verzichte, denn es werde „an ihr herumgezerrt und auf ihr herumgetrampelt“. Nach ihrem Umzug konnte nach Vermittlung durch das Jugendamt am neuen Wohnort ab dem 11. August 2015 eine Familienhelferin eingesetzt werden, um eine neue Arbeitsbeziehung aufzubauen und die Kinder zu schützen.

Im Gutachten vom 19. Oktober 2015 kommt die amtsgerichtlich bestellte Sachverständige zu dem Schluss, dass die Erziehungsfähigkeit der Mutter erheblich eingeschränkt sei; sie könne die emotionalen Bedürfnisse der Kinder nur eingeschränkt wahrnehmen und auf sie eingehen. Sie habe Schwierigkeiten, ihren eigenen Hilfebedarf zu sehen und zuzulassen, obwohl deutliche Hinweise vorlägen, dass sie unter einer „fortdauernden ernsten chronifizierten psychischen Erkrankung“ leide, „die mit depressiven Verstimmungen und starken Ängsten und Rückzugstendenzen“ einhergehen. Der Verbleib der Kinder im Haushalt der Mutter beziehungsweise im Haushalt der Großeltern sei nur möglich, wenn die Unterstützung durch eine Familienhilfe auch tatsächlich genutzt werde. Andernfalls sei von einer im sozial-emotionalen Bereich angesiedelten chronischen Gefährdung auszugehen, die bei relativ kleinen Veränderungen in eine akute Gefährdung umschlagen könne.

Bei einer zweiten amtsgerichtlichen Anhörung am 26. November 2015 erklärte sich die Beschwerdeführerin einverstanden, dass ihre Kinder für maximal sechs Monate in eine geeignete Jugendhilfeeinrichtung aufgenommen werden, um ein sogenanntes Clearing durchzuführen. Es wurde festgestellt, dass angesichts der Mitwirkung kein Eingriff in die elterliche Sorge erforderlich sei.

Nachdem die Beschwerdeführerin den entsprechenden Antrag auf Hilfe zur Erziehung nicht einreichte und auch nicht zum Gesprächstermin mit dem Jugendamt am 21. Januar 2016 erschien, hat das Amtsgericht mit nicht angegriffenem Beschluss vom 27. Januar 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung den Kindeseltern vorläufig die elterliche Sorge für den älteren und jüngeren Sohn sowie der Beschwerdeführerin die elterliche Sorge für ihre Tochter entzogen und Amtsvormundschaft eingerichtet; die dagegen gerichtete Beschwerde wurde durch nicht angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. Februar 2016 zurückgewiesen.

Am 4. Februar 2016 wurden die beiden Söhne in einer Jugendherberge in Brandenburg in Obhut genommen, nachdem die Beschwerdeführerin dem Vater des älteren Sohnes angekündigt hatte, sich oder den Kindern etwas antun zu wollen, wenn man die Kinder abhole. Die Tochter wurde am 6. Februar 2016 bei der Schwester der Beschwerdeführerin, ebenfalls in Brandenburg, in Obhut genommen. Es folgte eine gerichtliche Auseinandersetzung um den Umgang der Beschwerdeführerin mit ihren fremduntergebrachten Kindern.

Mit angegriffenem Beschluss vom 13. Oktober 2016 entzog das Amtsgericht den Kindeseltern in der Hauptsache die elterliche Sorge für den älteren und jüngeren Sohn sowie der Beschwerdeführerin die elterliche Sorge für ihre Tochter und übertrug sie auf das zuständige Jugendamt als Amtsvormund. Das Wohl der drei Kinder sei nach den Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin, dem persönlichen Eindruck des Gerichts von der Kindesmutter und den Kindern und dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens akut gefährdet. Die Kindesmutter, die nach der Sachverständigen an einer rezidivierenden, mittelgradigen depressiven Störung mit Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung leide und dabei über keinerlei Einsicht in ihre Behandlungsbedürftigkeit verfüge, sei nur eingeschränkt erziehungsfähig. Zuletzt habe sie in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2015 erklärt, dass sie es nicht für erforderlich halte, sich einer Therapie zu unterziehen. Dort habe sie auch berichtet, die Wohnung aus Angst tagsüber nicht mehr zu verlassen; auch ihr Sohn dürfe nicht im nahegelegenen Supermarkt einkaufen, da ihm dort etwas passieren könne. Die Beziehungs- und Bindungsfähigkeit der Kindesmutter sei krankheitsbedingt (unverschuldet) eingeschränkt: So berichteten die eingesetzten Familienhelferinnen und die Verfahrensbeiständin, dass sie emotionale Nähe zu den Kindern nur sehr schwer zulassen könne und für die Kinder aufgrund ihres ambivalenten Verhaltens nur schwer einschätzbar sei. Bei den begleiteten Umgangskontakten, die vierzehntägig stattfänden, widme sich die Kindesmutter (auch nach Angaben der Söhne) vor allem ihrer Tochter, der ältere Sohn übernehme häufig die Verantwortung und kümmere sich auch um die Schwester, während der jüngere Sohn völlig aus dem Blick der Mutter gerate. Die Kindesmutter sei mangels Vertrauen nicht bereit, mit dem System professioneller Hilfe zusammenzuarbeiten. Darin liege wohl der Grund für die vier Wohnsitzwechsel seit Mitte 2012, wodurch den Kindern jegliche soziale Kontakte unmöglich gemacht worden seien. Alle Kinder wiesen bereits deutliche Schwierigkeiten im sozial-emotionalen Bereich auf. Durch das ambivalente Verhalten seien sie sozial orientierungslos. Am deutlichsten zeige sich dies beim älteren Sohn, der mittlerweile nach Einschätzung der beiden letzten zuständigen Grundschulen in einer Regelschule nicht mehr beschulbar sei.

c) Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde der Beschwerdeführerin und des Vaters des älteren Sohnes nach Anhörung mit angegriffenem Beschluss vom 23. Januar 2017 zurück. Das Wohl der Kinder sei im mütterlichen Haushalt gefährdet. Nach wie vor sei ungeklärt, ob die basale Versorgung durch die Mutter sichergestellt sei, da diese stets im Haushalt der Großeltern stattgefunden habe. In der mündlichen Anhörung sei deutlich geworden, dass die Beschwerdeführerin zwar zwischenzeitlich einen eigenen Hausstand gehabt habe, die Kinder dort aber weder betreut noch versorgt worden seien. Jedenfalls habe die Beschwerdeführerin den Schul- und Kindergartenbesuch sowie die Versorgung mit entsprechenden Materialien nicht sicherstellen können. Die Kindesmutter beziehe die Kinder in ihre Ängste und ihr Bedürfnis nach Abgrenzung zur Außenwelt ein und gebe den Kindern das Gefühl, Dritte seien ursächlich für ihr eigenes Versagen. So habe sie beispielsweise am 21. Mai 2014 in das Hausaufgabenheft des älteren Sohnes geschrieben: „[…] Ich finde es richtig schlimm, dass du so eine scheußliche Schule besuchen musst […]“. Die Kinder dürften mit der Begründung, dass sie nur bei der Mutter sein wollten, weder im Fußballverein sein noch Freundschaften pflegen, was die Söhne nunmehr nach der Inobhutnahme begeistert wahrnehmen würden. Aktuell stürze die Haltung der Mutter die Kinder in Loyalitätskonflikte, wenn sie im Rahmen der Umgänge versuche, die Kinder in ihrer jetzigen Lebenswelt negativ zu beeinflussen. Eine emotionale Verlässlichkeit könne die Mutter ihren Kindern nicht bieten. So übe sie seit Mitte Dezember 2016 keinen Umgang mit ihren Kindern mehr aus, weil sie der Aufforderung der Einrichtung, Termine für getrennte Umgänge abzustimmen, nicht nachkomme. Der ältere Sohn habe sich bei der Anhörung enttäuscht gezeigt, dass seine Eltern ihn nicht besuchten. Die Mutter erscheine auch fortgesetzt nicht zu den Hilfeplangesprächen und verhindere so eine Einbindung in die Lebenswelt der Kinder. Sie sei auch nicht in der Lage gewesen, die Kinder vor dem autoritären Erziehungsstil der Großeltern zu schützen. Der ältere Sohn habe in seiner gerichtlichen Anhörung wiederholt geschildert, geschlagen worden zu sein. Nach Wahrnehmung der beteiligten Fachkräfte habe die Mutter den Kindern sogar mit den Großeltern gedroht, als sie selbst nicht hinreichend erzieherisch auf die Kinder habe einwirken können. Die Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass die Kindesmutter zumindest an einer Depression leide. Die psychischen Auffälligkeiten seien auch in der Anhörung vor dem Oberlandesgericht deutlich zu Tage getreten: Die Beschwerdeführerin habe sich zunächst gar nicht äußern wollen, dann jedoch die anderen Beteiligten ständig unterbrochen, sie der Lüge bezichtigt und betont, dass sie und ihre Kinder mit niemandem etwas zu tun haben wollten. Im Rahmen der Kindesanhörung habe das Gericht die Kinder als schwer belastet wahrgenommen. Der ältere Sohn, der sich verantwortlich fühle, alles falsch gemacht zu haben, habe sich gar nicht kindlich verhalten, sondern sei vielmehr darauf bedacht gewesen, seinen Befindlichkeiten keinen Ausdruck zu verleihen. Er und sein jüngerer Bruder suchten nach Aufmerksamkeit durch Verletzung von Regeln, wobei sie seit der Inobhutnahme bereits große Fortschritte im sozialen Bereich gemacht hätten. Der ältere Sohn könne voraussichtlich von der Förder- in die Regelschule wechseln. Auch das Verhalten der Tochter sei auffällig: Anlässlich des Hausbesuchs der (bislang für die Tochter unbekannten) Verfahrensbeiständin sei sie in deren Auto geklettert und nur unter Anwendung körperlichen Zwangs bereit gewesen, zur Kindesmutter zurückzugehen. In der Inobhutnahmestelle habe sie sich in stereotype Bewegungsabläufe zurückgezogen, beim Essen und jeden Abend vor dem Einschlafen frage sie angstvoll um Erlaubnis, nachts ihr Zimmer verlassen zu dürfen. Alle Kinder hätten in der Anhörung (teils auch ungefragt) angegeben, zurück zur Mutter zu wollen. Die Tochter habe ergänzt, dass die Mutter aber nicht mehr mit ihr schimpfen solle, wenn sie nachts wach werde.

2. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als „Elternrecht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder“.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei die Nachhaltigkeit eines elterlichen Versagens Voraussetzung für den Entzug der elterlichen Sorge. Das Amtsgericht habe sich bei seinen Feststellungen darauf beschränkt, sich auf das Sachverständigengutachten vom 19. Oktober 2015 zu beziehen, ohne dies selbst kritisch zu überprüfen. Das Gutachten sei unbrauchbar, da es an diversen formellen wie inhaltlichen Mängeln leide.

Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sei es den Gerichten von Verfassungs wegen auferlegt, vor Einrichtung einer Amtsvormundschaft zu prüfen, ob nahe Angehörige oder sonstige Bezugspersonen als Vormund in Betracht kommen. Hier sei beispielsweise an die Eltern der Beschwerdeführerin, die Großeltern der Kinder, zu denken.

Ferner lasse sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts als auch die des Oberlandesgerichts die gebotene Abwägung zwischen den Folgen eines weiteren Verbleibs im mütterlichen Haushalt und den Folgen einer Fremdunterbringung vermissen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben sind.

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

1. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen beziehungsweise aufrechterhalten werden darf (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff nur unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreiche, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <137 f.>; 136, 382 <391 Rn. 28>; stRspr). Eine solche Gefährdung des Kindes kann nur angenommen werden, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 -, juris, Rn. 23, m.w.N.).

Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt wegen des besonderen Eingriffsgewichts einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung, die sich nicht darauf beschränkt, ob die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>), sondern die auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>) erstreckt ist.

Dabei führt es nicht ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, wenn ein Sachverständigengutachten für sich genommen keine verlässliche Grundlage für die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung bietet, soweit die Entscheidung die Mängel thematisiert, die fachliche Qualifikation des Sachverständigen näher klärt und nachvollziehbar darlegt, inwiefern Aussagen aus dem Gutachten gleichwohl verwertbar sind und zur Entscheidungsfindung beitragen können. Selbst bei völliger Unverwertbarkeit einer sachverständigen Begutachtung hält eine Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle stand, wenn sich das Vorliegen einer die Trennung von Kind und Eltern rechtfertigenden Kindeswohlgefährdung aus den Entscheidungsgründen auch ohne Einbeziehung der sachverständigen Aussagen hinreichend nachvollziehbar ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 -, juris, Rn. 35 f.).

2. Danach sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Fachgerichte gehen fehlerfrei davon aus, dass die Kinder bei Verbleib im mütterlichen Haushalt einer anhaltenden erheblichen Gefährdung in Form einer Störung im sozial-emotionalen Bereich ausgesetzt wären. Diese Einschätzung gründet sich auf die Feststellungen der Sachverständigen, die Einschätzung der Fachkräfte (Jugendamt, Familienhilfe, Verfahrensbeiständin) und auf die eigenen Wahrnehmungen der Gerichte.

aa) Soweit die Beschwerdeführerin rügt, dass die Entscheidungen auf einem unverwertbaren Sachverständigengutachten basierten und deshalb verfassungswidrig seien, verkennt sie bereits die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Verwertung von Sachverständigengutachten (oben 1. Rn. 19). Zwar merkt die Beschwerdeführerin zu Recht an, dass die angegriffenen Entscheidungen auf die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens Bezug nehmen. Dies beschränkt sich jedoch auf die Ausführungen zur psychischen Erkrankung der Beschwerdeführerin. Aus den Entscheidungsgründen lässt sich insbesondere nicht ersehen, dass sich die Fachgerichte – wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen – an das Ergebnis des Sachverständigengutachtens gebunden fühlten. Das Oberlandesgericht weist vielmehr selbst darauf hin, dass das Sachverständigengutachten den Anforderungen, welche an ein psychiatrisches Gutachten zu stellen sind, nicht vollständig entspreche. Dass die Beschwerdeführerin an einer depressiven Erkrankung leide, sei von der Sachverständigen jedoch dargelegt und begründet. Die Diagnose werde mit Aussagen und Gesprächen mit der Beschwerdeführerin sowie einem mit ihr durchgeführten Interviewverfahren belegt. Angesichts des von verschiedenen Fachkräften bereits seit mehreren Jahren beobachteten Isolationsverhaltens der Beschwerdeführerin und ihres Verhaltens im Rahmen der gerichtlichen Anhörung könne das Oberlandesgericht diese Einschätzung nachvollziehen und halte sie für verwertbar. Die Verwertbarkeit scheitert auch nicht etwa an einer mangelnden Qualifikation der Sachverständigen. Das Oberlandesgericht legt nachvollziehbar dar, dass die Sachverständige, die ihren Lebenslauf vorgelegt hat, als Ärztin für Psychiatrie mit einer Ausbildung als systemische Familientherapeutin und mit Erfahrungen im forensischen Bereich den Anforderungen des neu gefassten § 163 Abs.1 FamFG entspreche.

bb) Im Übrigen stützen die Fachgerichte ihre Entscheidung auf eine vom Sachverständigengutachten unabhängige Begründung. Sie legen ausführlich dar, auf welche Ereignisse und Entwicklungen ihre Einschätzung zum Kindeswohl im Einzelnen basiert. Dabei trennt das Oberlandesgericht zwischen den Anhaltspunkten für eine Schädigung beziehungsweise Gefährdung des Wohls bei jedem einzelnen der drei Kinder und den Hinweisen darauf, dass die Ursachen hierfür (unverschuldet) in der Lebenssituation und den Verhaltensweisen der Beschwerdeführerin zu finden sind.

Bei dem älteren Sohn geht das Oberlandesgericht nachvollziehbar davon aus, dass er in seiner Entwicklung bereits Schaden erlitten habe. Diesen Schluss zieht das Oberlandesgericht insbesondere aus der Rückmeldung der Schule über lang anhaltend starke Verhaltensauffälligkeiten, die einen Wechsel auf eine Förderschule erforderlich machten. Auch die Berichte der eingesetzten Familienhelfer, der Verfahrensbeiständin und des Vertreters des Jugendamts zu provozierenden Regelverstößen sowie die eigene Wahrnehmung des Gerichts aus der Kindesanhörung, während der der ältere Sohn sich nicht kindlich verhalten, sondern sich auffällig belastet und in der Rolle des Verantwortlichen gezeigt habe, vermögen diese Einschätzung zu stützen. Bei den jüngeren Kindern geht das Oberlandesgericht auf nachvollziehbare Weise von einer Gefährdung des Kindeswohls aus. Der jüngere Sohn, der während seiner gerichtlichen Anhörung ebenfalls schwer belastet gewirkt habe, falle wie sein älterer Bruder durch provozierende Regelverstöße auf. Für die Tochter stützt das Oberlandesgericht seine Einschätzung insbesondere auf den Bericht der Verfahrensbeiständin, nach dem die Tochter anlässlich des ersten Hausbesuchs in der Familie nicht bereit war, den Pkw der Verfahrensbeiständin, in den sie selbst geklettert war, freiwillig zu verlassen, um zu ihrer Familie zurückzukehren. Auch die Verhaltensweisen der Tochter in der Inobhutnahmestelle, wo sie durch stereotype Bewegungsabläufe und angstvolle Fragen, ob sie essen oder nachts ihr Zimmer verlassen dürfe, aufgefallen sei, lässt in der Zusammenschau mit weiteren Aspekten nachvollziehbar auf eine Kindeswohlgefährdung schließen.

Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, dass die Ursachen für die aufgezeigten Kindeswohlgefährdungen bei der Beschwerdeführerin liegen, die für sich selbst ausdrücklich keine therapeutische Behandlung wünscht, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht führt an, dass sich die Beschwerdeführerin unter Einbeziehung ihrer Kinder sozial isoliert habe, ihr Verhalten bei der Zukunftsplanung für die ganze Familie sei ambivalent gewesen, sie habe keine emotionale Nähe zu den Kindern aufgebaut, in ihrem Erziehungsverhalten sei sie schwankend instabil und mit organisatorischen Belangen wie der Sicherstellung einer Krankenversicherung für sich und die Kinder oder mit der Planung der Umgangstermine überfordert. Das Oberlandesgericht folgert, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, ihren Kindern insbesondere in emotionaler Hinsicht Verlässlichkeit zu bieten. Dieser Ursachenzusammenhang ist nachvollziehbar – auch vor dem Hintergrund, dass sich die Kinder seit der Inobhutnahme positiv entwickelt haben, wie das Oberlandesgericht unter Bezugnahme auf Äußerungen der Fachkräfte feststellt.

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die mit der Entziehung der elterlichen Sorge einhergehende Fremdunterbringung ist geeignet, die Gefährdung für die Kinder abzuwenden. Da sich alle Kinder während der Zeit der Fremdunterbringung trotz fortbestehenden Hilfebedarfs stabilisieren konnten, muss davon ausgegangen werden, dass eine sekundäre Kindeswohlgefährdung durch die Trennung der Kinder von der Beschwerdeführerin nicht droht.

Die Fachgerichte gingen darüber hinaus zu Recht davon aus, dass die Maßnahme auch erforderlich ist. In der Vergangenheit wurden über einen langen Zeitraum hinweg erfolglos zahlreiche ambulante Hilfen als mildere Mittel eingesetzt; an der ablehnenden inneren Haltung der Beschwerdeführerin hat sich bis zum Entscheidungszeitpunkt nichts geändert. Das Oberlandesgericht hat ausführlich geprüft, ob eine Sorgerechtsübertragung auf die jeweiligen Väter mit dem Ziel, dass die Kinder dort leben, als milderes Mittel im Vergleich zur Einrichtung einer Amtsvormundschaft in Betracht kommt, ist jedoch fehlerfrei zu dem Schluss gekommen, dass dies bei keinem der Kinder eine kindeswohlgerechte und gleichermaßen geeignete Option sei. Auch die Großeltern seien – nachvollziehbar – nicht als Vormund geeignet, da die Kinder, die faktisch über lange Zeit in deren Haushalt lebten, emotional vernachlässigt worden seien. Es ist weiterhin ungeklärt, ob die Kinder dort auch – wie der ältere Sohn mehrfach berichtet – geschlagen wurden. Vor diesem Hintergrund erweist sich eine Sorgerechtsübertragung auf die genannten Angehörigen, mit der sich der Lebensmittelpunkt der Kinder zum jeweiligen Vormund verschieben würde, als ungeeignet im Sinne des Kindeswohls.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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