LSG-Nds-Bremen, Beschluss vom 08.12.2015 – L 8 SO 281/15 B ER

LANDESSOZIALGERICHT
NIEDERSACHSEN-BREMEN

BESCHLUSS

L8 SO 281/15 B ER
S 15 SO 263/15 ER Sozialgericht Bremen

In dem Beschwerdeverfahren

T. B., Bremen
– Antragsteller und Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen

gegen

Stadtgemeinde Bremen – Referat 13 – vertreten durch die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen, Bahnhofsplatz 29, 28195 Bremen
– Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin –

beigeladen:
Jobcenter Bremen, vertreten durch die Geschäftsführung, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 8. Dezember 2015 in Gelle durch den Richter Scheider, die Richterin Höfer und den Richter Wibbelt beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 24. September 2015 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. April 2016, vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab 2. September 2015 Leistungen der Hilfe bei Krankheit sowie Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, für die Zeit vom 2. September bis 31. Dezember 2015 in Höhe von monatlich 320,00 € und ab 1. Januar 2016 in Höhe von monatlich 324,00 €, zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers und des Beigeladenen zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung lebensunterhaltssichernder Leistungen.

Der 1983 geborene Antragsteller wurde als Angehöriger der russischen Volksgruppe in Lettland geboren und absolvierte dort Ausbildungen zum Koch und Automechaniker. 2002 zog er für etwa sechs Jahre nach Spanien und arbeitete dort als Koch. Anschließend kehrte er zunächst nach Lettland zurück und reiste nach eigenen Angaben 2010 erstmals nach Deutschland ein. 2011 begann er mit der Konsumierung von Heroin und Kokain und wurde abhängig. Von Dezember 2013 bis März 2014 verbüßte er eine Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Bremen, im Rahmen derer er einen Entzug durchführte. Mit Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 31. März 2014 (87 Ds 500 Js 39023/12) wurde er wegen zahlreicher Diebstähle unter Einbeziehung von fünf Strafbefehlen aus der Zeit von November 2011 bis September 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 18. Juli 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Bremen erneut Anklage wegen eines am 22. April 2015 begangenen Diebstahls von Sportschuhen und beantragte beim Amtsgericht Bremen die Eröffnung der Hauptverhandlung (510 Js 36735/15).

Derzeit hält der Antragsteller sich bei seinem Bekannten Herrn C. S. auf, bei dem er seit 2012 auch gemeldet ist. Einen am 28. Mai 2014 beim Jobcenter Bremen gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II lehnte dieses mit Bescheid vom 6. Juni 2014 ab mit der Begründung, der Antragsteller sei von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen, weil er sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte.

Am 4. März 2015 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. März 2015 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2015 zurück. Hiergegen hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 15 SO 211/15 weiterhin anhängig ist.

Am 1. Juni 2015 stellte der Antragsteller beim SG einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, worauf das SG mit Beschluss vom 6. Juli 2015 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen. Anordnung verpflichtete, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von monatlich 399,00 € für die Zeit vom 1. Juni 2015 bis zum Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 4. März 2015, längstens jedoch bis zum 31. August 2015 zu gewähren (S 15 SO 170/15 ER). Der Antragsteller habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Als EU-Ausländer, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten lasse, sei er zwar nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen und habe nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Der Ausschluss umfasse jedoch nicht die nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII im Ermessenswege zu gewährenden Leistungen. Danach habe der Antragsteller einen ungedeckten Bedarf von 399,00 € monatlich glaubhaft gemacht. In Ausführung des Beschlusses gewährte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. Juli 2015 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit von Juni bis August 2015 in Höhe von monatlich 399,00 €.

Am 2. September 2015 hat der Antragsteller beim SG unter Hinweis auf einen Senatsbeschluss vom 14. April 2015 (L 8 SO 54/15 B ER) für die Zeit ab September 2015 einen weiteren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Er sei mittellos und habe bislang überwiegend von Betteln, Schnorren und Diebstählen gelebt. Arbeitsbemühungen seien erfolglos verlaufen, der Arbeitsmarkt in Bremen sei desaströs und durchzogen von schlechten Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhnen. Das Jobcenter habe ihn mehrfach abgewiesen und sich unter Hinweis auf die Zuständigkeit der Antragsgegnerin geweigert, Leistungsanträge anzunehmen. Solange kein Feststellungsbescheid nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU und keine vollziehbare Ausreisepflicht im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsyIbLG vorliege, sei er von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII nicht ausgeschlossen.

Der Antragsteller hat vereinzelte Kontoauszüge vorgelegt und sich zum Beweis seiner Bedürftigkeit auf die Vernehmung von Zeugen berufen.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vorn 24. September 2015 abgelehnt. Der Antragsteller habe weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dazu hätte es einer nachvollziehbaren Darlegung seiner Einkommens- und Lebensverhältnisse bedurft. Die lediglich allgemein gehaltenen Angaben ließen jegliche Konkretheit und Überprüfbarkeit vermissen, was auch nicht durch die allgemeine Bezugnahme auf Bestätigung durch Zeugenaussagen ersetzt werden könne. Die nicht ausreichende Transparenz der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Antragstellers gingen zu seinen Lasten.

Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 2. Oktober 2015 Beschwerde eingelegt und darauf hingewiesen, dass er sich bereits seit Ende April/Anfang Mai 2010 in Deutschland aufhalte und seither dauerhaft in Bremen lebe. Ein lediglich einwöchiger Aufenthalt in Lettland Ende 2014 sei unschädlich. Damit stehe dem Antragsteller nach dem FreizügG/EU ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland zu und er sei anspruchsberechtigt nach dem SGB II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht, die sich aber wegen der fehlenden Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU formell rechtmäßig in Deutschland aufhalten, nicht anwendbar (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. September 2015 L 19 AS 1260/15 B ER). Eine förmliche Verlustfeststellung zulasten des Antragstellers sei bislang nicht ergangen. Sofern ein Leistungsausschluss nach dem SGB II anzunehmen sei, habe der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII betreffe lediglich den Rechtsanspruch auf Leistungen, nicht aber eine Leistungsgewährung im Ermessenswege, die hier im Hinblick auf die Mittellosigkeit des Antragstellers geboten sei, zumal dieser ausweislich eines Arztbriefes des Klinium Bremen Mitte vorn 12. August 2015 (stationärer Aufenthalt dort vom 11. bis 12. August 2015) wegen einer tiefen Beinvenenthrombose krankenbehandlungsbedürftig sei und sich auch in Behandlung befinde. Die Antragsgegnerin sei deshalb jedenfalls sofort zu verpflichten, den Krankenversicherungsschutz des Antragstellers sicherzustellen.

Die Antragsgegnerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Gerade weil der Antragsteller über keine verfestigte Lebenssituation in Deutschland verfüge, sei es ihm zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren. Mit den bereits gewährten Mitteln sei dies ohne weiteres möglich. Ob und inwieweit die Ausländerbehörde bereits aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen habe, sei unerheblich. Soweit überhaupt ein Anspruch auf die Gewährung existenzsichernder Leistungen in Betracht komme, sei dafür das Jobcenter zuständig.

Der Senat hat die Ausländerakte des Antragstellers beigezogen. Danach ist dieser mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 zu einer beabsichtigten Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, einer Aufforderung zur Ausreise und einer Androhung und Festsetzung der Abschiebung angehört worden. Weitere Maßnahmen sind bislang nicht eingeleitet.

Mit Beschluss vom 17. November 2015 hat der Senat das Jobcenter Bremen zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene bestreitet, dass der Antragsteller sich bereits seit 2010 in Deutschland aufgehalten hat, denn eine ordnungsbehördliche Meldung sei erst 2012 erfolgt. Im Übrigen setze ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt voraus, an dem es jedenfalls fehle, weil der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt über ausreichende Existenzmittel verfügt habe. Im Hinblick auf die angegebene Behandlungsbedürftigkeit des Antragstellers bestünden zudem Zweifel an dessen Erwerbsfähigkeit.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die den Antragsteller betreffenden Verwaltungs- und Ausländerakten der Antragsgegnerin und die beigezogenen Gerichtsakten S 15 SO 170/15 ER und S 15 SO 211/15 Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§§ 172, 173 SGG) Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Der Antragsteller hat einen vorläufigen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe der Regelleistung sowie einen Anspruch auf Gewährung von Hilfe bei Krankheit glaubhaft gemacht.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller ist nicht vorrangig leistungsberechtigt nach dem AsyIbLG (§ 23 Abs. 2 SGB XII), denn er gehört nicht zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach § 1 AsylbLG.

Der Antragsteller ist auch nicht vorrangig leistungsberechtigt nach dem SGB II und damit von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen (§ 21 Satz 1 SGB XII).

Voraussetzung für einen Leistungsbezug nach dem SGB II ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II u.a., dass die Personen erwerbsfähig sind. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Danach ist der Antragsteller erwerbsfähig. Dem steht insbesondere seine Behandlungsbedürftigkeit nicht entgegen, denn es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dadurch das Leistungsvermögen des Antragstellers für mehr als sechs Monate auf unter drei Stunden täglich herabgesunken sein sollte.

Für die Auslegung des Begriffs „dem Grunde nach leistungsberechtigt“ und damit für die Systemabgrenzung zwischen dem SGB XII und dem SGB II ist jedoch nicht allein das Kriterium der Erwerbsfähigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II maßgeblich sondern ein grundsätzlich möglicher Anspruch nach dem SGB II. Die konkrete Auslegung der Norm orientiert sich deshalb danach, ob der Hilfesuchende in den persönlichen Anwendungsbereich des SGB II einbezogen ist, weil er die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7 ff. SGB II erfüllt und auch sonst kein Leistungsausschluss nach dem SGB II vorliegt (vgl. ausführlich: Senatsbeschluss vom 23. Mai 2014 — L 8 SO 129/14 B ER — juris Rn. 13ff).

Der Antragsteller ist von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, weil er zum Personenkreis des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gehört. Die Regelung betrifft Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Dieser Leistungsausschluss betrifft zwar seinem Wortlaut nach den Antragsteller, der weder eine entsprechende Absicht noch diesbezügliche Bemühungen schlüssig dargelegt hat, nicht.

Der Leistungsausschluss muss aber erst Recht für diejenigen gelten, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügen (vgl. BSG, Terminbericht vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R -), denn es wäre wertungswidersprüchlich und mit Sinn und Zweck des Leistungsausschlusses nicht zu vereinbaren, wenn Antragsteller, die z.B. eine Arbeitsuche gar nicht erst beginnen, ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben, oder deren Arbeitsuche sich als gescheitert herausstellt, von dem Leistungsausschluss nicht umfasst wären und zum Leistungsbezug nach dem SGB II berechtigt sein sollen (vgl. ausführlich: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Juni 2015 — L 1 AS 2338/15 ER-B – juris Rn. 34 mit zahlreichen weiteren Nachweisen auch zur Gegenauffassung).

Der Antragsteller verfügt weder über ein materiell rechtmäßiges Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU noch über ein anderes Aufenthaltsrecht. Insbesondere hat er kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben. Zwar hält er sich nach eigenen Angaben bereits er seit 2010 dauerhaft in Deutschland auf, wobei die erst 2012 erfolgte ordnungsbehördliche Anmeldung dem Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nicht entgegen stehen würde, denn § 4a FreizügG/EU knüpft an die Dauer des Aufenthalts und nicht an den Tatbestand einer ordnungsbehördlichen Meldung an. Voraussetzung für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts ist jedoch die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, an der es vorliegend fehlt. Der Antragsteller wäre als nicht erwerbstätiger Unionsbürger nur dann freizügigkeitsberechtigt im Sinne von § .2 Abs. 1 FreizügG/EU und hätte damit das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU, wenn er über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Frei¬zügG/EU). Das ist zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen, denn der Antragsteller hat seit seiner Einreise nach Deutschland seinen Lebensunterhalt vorwiegend durch Diebstähle bestritten.

Der Antragsteller ist damit vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II umfasst. Dieser Leistungsausschluss ist nach den Entscheidungen des EuGH in Sachen „Dano“ (Urteil vom 11. November 2014 – C-333/13 – juris) und „Alimanovic“ (Urteil vom 15. September 2015 — C-67/14 juris) europarechtskonform.

Für den Antragsteller greift deshalb auch der dem § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entsprechende Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Dieser Leistungsausschluss umfasst jedoch, wie das SG bereits in dem Verfahren S 15 SO 170/15 ER zutreffend ausgeführt hat, lediglich den (Rechts-)Anspruch auf Sozialhilfe und nicht eine nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII mögliche Leistungsgewährung im Ermessenswege (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. März 2015 — L 19 AS 116/15 B ER — juris Rn. 32 m.w.N.; Coseriu in: juris LPK-SGB XII, § 23 Rn. 75 ff; BSG, Terminbericht vom 3. Dezember 2015, a.a.O.). Nach dieser Vorschrift kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist.

Daraus folgt hingegen nicht, dass bei der Entscheidung darüber, in welchem Umfang dem Hilfebedürftigen Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden kann, das Ermessen allein schon im Hinblick auf die bestehende Notlage auf Null reduziert ist mit der Folge, dass nur die Gewährung der begehrten Hilfe zum Lebensunterhalt nun in voller Höhe rechtmäßig wäre. Vielmehr sind im Ermessenswege insbesondere bei Art und Umfang der Leistungen Einschnitte möglich, die ihre Grenze aber bei dem zum Lebensunterhalt Unerlässlichen haben dürften (Coseriu, a.a.O. § 23 Rn. 76).

Im Falle eines verfestigten Aufenthalts von über sechs Monaten wird das dem Sozialhilfeträger zustehende Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG, wonach das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, als Menschenrecht gleichermaßen zusteht (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 — 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 — juris Rn. 63), jedoch dergestalt auf Null reduziert sein, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist (BSG, Terminbericht vom 3. Dezember 2015, a.a.O.).

Der Antragstefler hat eine Hiffebedürftigkeit glaubhaft gemacht. Zwar hat er nur vereinzelte Kontoauszüge vorgelegt und sich zum Beweis seines Vortrags im Übrigen auf die Vernehmung von Zeugen berufen. Der Senat hat jedoch keine Veranlassung zu der Annahme, der Antragsteller verfüge über ausreichende Mittel zur Sicherung sei nes Lebensunterhalts. Die vorliegenden Unterlagen aus den Strafverfahren und die aktuelle Anklageschrift belegen die Angaben des Antragstellers, seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen durch Diebstähle bestritten zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller daraus Gewinne erzielt und Vermögen aufgebaut hat, aus denen er in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, bestehen nicht.

Der Umfang der dem Antragsteller zu gewährenden Leistungen orientiert sich an § 27a Abs. 1 Satz 1 SGB XII und umfasst den nach § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII maßgeblichen Regelsatz nach Regelbedarfsstufe (RBS) 3 sowie Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII.

Maßgeblich ist die RBS 3, denn bei dem Antragsteller handelt es sich um eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die – soweit ersichtlich – weder einen eigenen Haushalt führt noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Er hat vielmehr einen Schlafplatz im Haushalt eines Bekannten. Der Senat vermag nicht zu erkennen, ob und inwieweit der Antragsteller einen Beitrag zur Haushaltsführung des Bekannten erbringt oder einen eigenen Haushalt führt und dadurch im Ermessenswege eine Leistungsgewährung nach RBS 1 gerechtfertigt wäre.

Der nach der Anlage zu § 28 SGB XII maßgdbliche Regelsatz nach RBS 3 beläuft sich in der Zeit ab Antragstellung am 2. September bis 31. Dezember 2015 auf 320,00 € und nach § 2 der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (RBSFV) 2016 ab 1. Januar 2016 auf 324,00 €.

Nicht glaubhaft gemacht ist ein Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft und Heizung nach § 35 SGB XII, denn der Antragsteller hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass ihm für die Inanspruchnahme des Schlafplatz bei seinem Bekannten entsprechende Aufwendungen tatsächlich entstehen.

Die im Ermessenswege zu gewährenden Leistungen umfassen Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII, denn es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller entsprechende Leistungen von einer Krankenkasse gewährt werden. Es obliegt der Antragsgegnerin zu klären, ob eine Übernahme der Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 SGB V in Betracht kommt.

Es erscheint sachgerecht, die vorläufige Leistungsgewährung bis zum 30. April 2016 zu befristen. Bis dahin ist u.a. damit zu rechnen, dass die Ausländerbehörde ihrer Anhörung entsprechend eine Entscheidung getroffen haben wird.

Eine Leistungsgewährung kommt nicht in Betracht für Zeiten der Inhaftierung des Antragstellers, denn in dieser Zeit ist der Lebensunterhalt einschließlich Unterkunft, Verpflegung und Gesundheitssorge in der JVA sichergestellt (§§ 18ff, 56ff StVollzG).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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