OLG Celle, Beschluss vom 11.02.2011 – 10 WF 399/10

Leitsätze

Die Anhebung des Verfahrenswertes erscheint regelmäßig angezeigt, wenn in einem Sorgerechtsverfahren die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens geboten ist und das Amtsgericht die Beteiligten – unabhängig von einer gesonderten Kindesanhörung – in mehr als einem Termin anhört.

TENOR

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 3. November 2010 wird der Verfahrenswertbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hannover vom 28. Oktober 2010 geändert und der Verfahrenswert erster Instanz wird auf 5.000 € festgesetzt.

GRÜNDE
I.

Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten. Aus ihrer Ehe ist das betroffene Kind M., geboren am . 2002, hervorgegangen. Nach der räumlichen Trennung der Eltern am 11. Juli 2007 lebte M. zunächst bei dem Antragsteller. Im Verfahren 7 F 247/07 SO des Amtsgerichts – Familiengericht – Wennigsen erging am 18. Dezember 2007 ein Beschluss, mit dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. auf die Kindesmutter übertragen wurde. Das Kind wechselte daraufhin in den Haushalt der Kindesmutter, wo es in der Folgezeit lebte. Seit dem 8. November 2010 lebt M. wieder bei dem Antragsteller.

Im vorliegenden Verfahren hat der Kindesvater mit einem am 17. Dezember 2009 beim Amtsgericht – Familiengericht – Hannover eingegangenen Schriftsatz das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitssorge und das alleinige Entscheidungsrecht in schulischen Angelegenheiten und in solchen der Berufsausbildung für das Kind begehrt.

Das Amtsgericht hat am 27. Januar 2010 einen Termin zur Anhörung der Beteiligten durchgeführt, zu dem es die Kindeseltern, ihre Verfahrensbevollmächtigten, das Jugendamt, einen Verfahrensbeistand und eine Dolmetscherin geladen hat. Anschließend hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit der Eltern eingeholt. Nach Eingang des schriftlichen Sachverständigengutachtens und einer schriftlichen Stellungnahme des Verfahrensbeistandes hat das Amtsgericht einen weiteren Termin zur Erörterung am 22. September 2010 bestimmt, in dem die beteiligten Eltern jeweils die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich begehrt haben. Am 12. Oktober 2010 ist das betroffene Kind angehört worden. Das Amtsgericht hat den Beteiligten den wesentlichen Inhalt der Kindesanhörung mitgeteilt, wonach N. sich für einen zukünftigen Lebensmittelpunkt bei dem Kindesvater ausgesprochen hat, und Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben. In dieser Zeit kam es zu weiteren Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten, weil M. unentschuldigt im Hort fehlte und weil die Antragsgegnerin M. nicht zu einem vereinbarten Umgangskontakt mit dem Antragsteller brachte. Durch Beschluss vom 28. Oktober 2010 hat das Amtsgericht die elterliche Sorge für das betroffene Kind auf den Vater übertragen und den Verfahrenswert auf 3.000 € festgesetzt.

Gegen diese Wertfestsetzung wendet sich die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit ihrer Beschwerde, mit der sie eine wesentliche Erhöhung des Verfahrenswertes begehrt.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die form- und fristgerecht von der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers offenkundig im eigenen Namen (§ 32 Abs. 2 RVG) eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ist – auch in Ansehung von § 59 Abs. 1 S. 1 FamGKG – zulässig. Die Beschwerde hat in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

Der Verfahrenswert beträgt gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG in Kindschaftssachen, die die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge betreffen, 3.000 €. Sofern dieser Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann nach § 45 Abs. 3 FamGKG ein höherer oder niedrigerer Wert festgesetzt werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn das Verfahren besonders umfangreich und schwierig ist oder wenn die Beteiligten nur über ein geringes Einkommen verfügen und das Verfahren sich einfach gestaltet (BT-Drucks. 16/6308, S. 306). Eine Abweichung vom Festbetrag ist also nur ausnahmsweise geboten, wenn der zu entscheidende Fall hinsichtlich des Arbeitsaufwandes für das Gericht und für die Verfahrensbevollmächtigten erheblich von einer durchschnittlichen Sorgerechtssache abweicht und der Verfahrenswert im Einzelfall zu unvertretbar hohen oder unangemessen niedrigen Kosten bzw. Gebühren führt. Insoweit kann nicht unmittelbar auf die in der Rechtsprechung nach der bis zum 31. August 2009 geltenden Rechtslage entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. hierzu OLG Frankfurt – Beschluss vom 4. Februar 1999 – 1 UF 77/97 – NJW-RR 2000, 952), weil an die Stelle des bisherigen Regelwertes ein (relativer) Festwert getreten ist (vgl. Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein-Keske, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 8. Auflage, S. 2037).

Die Anhebung des Verfahrenswertes erscheint regelmäßig angezeigt, wenn in einem Sorgerechtsverfahren die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens geboten ist und das Amtsgericht die Beteiligten – unabhängig von einer gesonderten Kindesanhörung – in mehr als einem Termin anhört. Die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens ist insbesondere in rechtlich und tatsächlich schwierigen Sorgerechtssachen erforderlich. Sofern das Amtsgericht ein Gutachten einholt, handelt es sich in der Regel um Verfahren, die länger als üblich andauern. Außerdem führt die Einholung eines Gutachtens zu einem verhältnismäßig umfangreichen Akteninhalt, den das Gericht und die Verfahrensbevollmächtigten erfassen und auswerten müssen. Der Arbeitsaufwand weicht jedenfalls dann erheblich von einer durchschnittlichen Sorgerechtssache ab, wenn zusätzlich zur Einholung des Sachverständigengutachtens mehrere Termine zur Erörterung und Anhörung der Beteiligten durchgeführt werden.

Demgemäß erscheint hier im Hinblick darauf, dass ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt wurde und dass zwei Erörterungstermine durchgeführt wurden, eine Erhöhung des Verfahrenswertes auf 5.000 € angemessen. Dabei war auch die Dauer der Erörterungstermine zu berücksichtigen, die unter anderem darauf beruhte, dass die Antragsgegnerin über keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

Demgegenüber kommt den Einkommensverhältnissen der Beteiligten, die nur (ergänzende) Leistungen nach dem SGB II beziehen, hier keine maßgebliche Bedeutung zu.

Vorinstanz
AG Hannover, 28. Oktober 2010, Az: 607 F 6765/09, Beschluss