BGH, Urteil vom 13.11.2013 – I ZR 15/12

Ein Rechtsanwalt verstößt nicht zwingend gegen das Verbot der Werbung um Praxis (§ 43b BRAO), wenn er einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs (hier: Inanspruchnahme als Kommanditist einer Fondsgesellschaft auf Rückzahlung von Ausschüttungen) persönlich anschreibt und seine Dienste anbietet. Ein Verstoß liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Adressat einerseits durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird und er sich andererseits in einer Lage befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein kann (Fortführung von BGH, Urteil vom 1. März 2001 – I ZR 300/98, BGHZ 147, 71, 80 – Anwaltswerbung II; BGH, Urteil vom 15. März 2001 – I ZR 337/98, WRP 2002, 71, 74 – Anwaltsrundschreiben).

Aus den Gründen:

1) Die Bestimmung des § 43b BRAO regelt die berufsrechtlichen Grenzen, innerhalb deren Rechtsanwälte für ihre Dienstleistung werben dürfen. Die Vorschrift stellt damit eine berufsrechtliche Regelung über die kommerzielle Kommunikation im Sinne von Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2006/123/EG dar, die die Rechtsanwaltschaft und damit einen reglementierten Beruf im Sinne von Art. 4 Nr. 11 der Richtlinie 2006/123/EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie in Verbindung mit § 4 BRAO betrifft.

(2) Gemäß Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG setzen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um der Richtlinie bis 28. Dezember 2009 nachzukommen. Seit diesem Tag ist § 43b BRAO im Lichte des Wortlauts und des Zwecks des Art. 24 der Richtlinie 2006/123/EG auszulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 = NJW 2006, 2465 Rn. 108, 124 – Adeneler ELOG).

(3) Gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG sind absolute Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe untersagt. Gemäß Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2006/123/EG sind mit absoluten Verboten nicht solche gemeint, die sich auf den Inhalt der kommerziellen Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen, beispielsweise ein Verbot von Werbung in einem bestimmten Medium oder in einer Reihe von Medien. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass von einem absoluten Verbot im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG auszugehen ist, wenn eine nationale Bestimmung eine kommerzielle Kommunikation unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt oder den verwendeten Mitteln untersagt (EuGH, Urteil vom 5. April 2011 – C-119/09, Slg. 2011, I-2551 = EuZW 2011, 681 Rn. 41 f. – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable).

Daraus ergibt sich, dass ein Werbeverbot nur in Betracht kommt, wenn sich ein Verbotsgrund im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhalt oder aus dem verwendeten Mittel der Werbung ergibt. Allein der Umstand, dass ein potentieller Mandant in Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf angesprochen wird, genügt diesen Anforderungen nicht.

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