Amtsgericht Hannover, Beschluss vom 09.09.2015 – 631 F 6569/14 SO –

Amtsgericht Hannover

Beschluss
In der Kindschaftssache

betreffend die elterliche Sorge für …

hat das Amtsgericht – Familiengericht – Hannover durch die Richterin am Amtsgericht Dr. P. auf die mündliche Verhandlung vom 20.07.2015 am 09.09.2015 beschlossen:

Die elterliche Sorge für …, geboren am …, wird den Kindeseltern gemeinsam übertragen.

Die gerichtlichen Kosten (Gebühren und Auslagen) werden den Kindeseltern je zur Hälfte auferlegt.

Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst mit Ausnahme des Verfahrensbeistandes, dem keine Kosten auferlegt werden.

Der Verfahrenswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kindeseltern sind und waren nicht miteinander verheiratet. Eine gemeinsame Sorgeerklärung vor dem Urkundsbeamten des Jugendamtes ist bislang nicht abgegeben worden.

Die Kindeseltern lernten sich im Jahr 2005 kennen, kamen bald zusammen, zogen in eine gemeinsame Wohnung und führten eine Beziehung. Sie trennten nach einigem Hin und Her im Oktober 2010 bzw. Anfang 2011; hierzu waren die Angaben unterschiedlich. Der am … geborene gemeinsame Sohn … blieb in der Folgezeit bei der Kindesmutter. Nach der Trennung gab es zunächst unregelmäßige Kontakte zwischen … und Kindesvater, ab 2012 erfolgte sodann regelmäßiger Umgang. Nach einer längeren Umgangspause zwischen Dezember 2012 und Februar 2013 fanden wieder regelmäßige Kontakte alle 14 Tage am Wochenende sowie auch häufiger in der Woche zwischen beiden statt. Dabei gab es auch Übernachtungen von … bei seinem Vater.

Nachdem die Kindesmutter davon überzeugt war, dass … durch den Vater sexuell missbraucht worden sei, unterband sie ab Ende Dezember 2013 den Umgang zwischen Vater und … und erstattete am 23.12.2013 gegen den Kindesvater Anzeige bei der Polizei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs gem. § 176 StGB zum Nachteil des gemeinsamen Sohnes … Das in der Folge von der Staatsanwaltschaft Hannover geführte Ermittlungsverfahren (… Js ../..) wurde am 21.03.2014 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Celle am 26.05.2014 als unbegründet zurückgewiesen.

Es erfolgte sodann im Februar 2014 der Umzug von … und der Kindesmutter mit ihrem neuen Lebenspartner …, den sie seit September 2012 kennt, nach Bayern. Eine Rückübersiedlung nach Hannover erfolgte dann im Herbst 2014. Zuletzt fand zum August 2015 ein erneuter Umzug nach Schleswig-Holstein statt, wo … nun auch eingeschult wurde.

Bis heute hatte der Vater noch keinen Kontakt wieder zu … Allerdings einigten sich die Kindeseltern in dem parallel geführten Umgangsverfahren vor dem Amtsgericht Hannover (Aktenzeichen … UG) am 20.07.2015 im Rahmen eines Zwischenvergleichs dahingehend, ab dem 17.08.2015 an einer langsamen, schrittweisen Anbahnung von zunächst begleiteten Umgangskontakten von … mit dem Kindesvater mitzuwirken. Das Gericht bestellte für die Dauer von zunächst 3 Monaten einen Umgangspfleger für die Übergaben von … an seinen Vater im Rahmen der begleiteten Umgänge. Der erste Umgangstermin ist nach anfänglichen Schwierigkeiten aufgrund offener Finanzierungsfragen bezüglich der begleiteten Umgänge sowie Terminproblemen nunmehr für diese Woche avisiert.

Der Kindesvater beantragt,

die elterliche Sorge beiden Kindeseltern gemeinsam zu übertragen.

Er trägt vor, er sei interessiert am Wohlergehen und der weiteren Entwicklung seines Sohnes. Bei Entscheidungen von erheblicher Bedeutung wolle er zusammen mit der Kindesmutter die für den Sohn beste Lösung finden. Zwischen seinem Sohn und ihm herrsche ein herzliches und liebevolles Verhältnis, er wolle seine elterliche Verantwortung gegenüber seinem Sohn wahrnehmen. Gleichwohl akzeptiere er, dass der Lebensmittelpunkt … bei der Kindesmutter liege. Dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs tritt er entgegen.

Die Kindesmutter widerspricht diesem Antrag.

Sie ist der Ansicht, eine Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts würde dem Kindeswohl von … widersprechen. Dies begründet sie mit den Auffälligkeiten, die es ab Dezember 2012 nach den Umgangskontakten bei … gegeben habe in Form von Erbrechen, Schlafstörungen, Stottern, Fieber, Hämatomen sowie mit dem sexuellen Missbrauch, der an dem letzten Umgangswochenende im Dezember 2013 stattgefunden habe. Aufgrund dessen könne die Kindesmutter zum Vater nie das Vertrauen aufbauen, das erforderlich sei, um die gemeinsame elterliche Sorge zum Wohl des Kindes auszuüben.

Das Gericht hat die Kindeseltern persönlich angehört. Es hat auch … persönlich angehört. Weiter hat es für das Gericht einen Verfahrensbeistand bestellt, das zuständige Jugendamt angehört und hinsichtlich der Frage, ob die Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Eltern gemeinsam dem Kindeswohl des Kindes nicht widerspricht, ein Sachverständigengutachten eingeholt.

Auf die Protokolle vom 09.02., 10.02., 07.07. sowie 20.07.2015 wird ebenso Bezug genommen wie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen samt Anlagen sowie auf das Gutachten der Sachverständigen vom 11.06.2015.

I I.

Dem Antrag war vorliegend gemäß § 1626a Abs. 2 S. 1 BGB stattzugeben, da die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Durch das am 19.05.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16.04.2013 (BGBl. I S. 795) hat der Gesetzgeber dem gesetzlichen Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge Geltung verschafft. Nach den für die hier zu treffende Entscheidung nunmehr maßgeblich gewordenen neuen gesetzlichen Regelungen ist die elterliche Sorge oder ein Teilbereich hiervon den nicht miteinander verheirateten Kindeseltern gemeinsam zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB).

Der gegenüber der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2010 veränderte Wortlaut verleiht in Gestalt der nunmehr maßgeblichen negativen Kindeswohlprüfung einem neuen Leitbild gesetzlicher Sorgegemeinsamkeit (Palandt-Goetz, BGB, 73. Aufl., § 1626a, Rn. 2) Ausdruck (vgl. hierzu OLG Celle, Beschluss vom 16.01.2014 – 10 UF 80/13, zit. nach Juris). Danach geht die neue gesetzliche Konzeption nunmehr davon aus, dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehung zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Kindeseltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen (vgl. hierzu OLG Celle, a. a. 0. m. w. N.).

Mithin ist keine positive Feststellung erforderlich, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht. Liegen keine Gründe vor, die gegen gemeinsame elterliche Sorge sprechen, so sollen grundsätzlich beide Kindeseltern die Verantwortung für das Kind gemeinsam tragen. Die Ausübungen der gemeinsamen Verantwortung für ein Kind setzt jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine tragfähige, soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Kindeseltern (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 29.01.2003 – 1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01, zit. nach Juris).

Angesichts des vom Gesetzgeber nunmehr zugrunde gelegten Leitbildes der gemeinsamen elterlichen Sorge reichen daher weder bloße Ablehnung seitens der Kindesmutter noch selbst manifest gewordene Kommunikationsschwierigkeiten der Kindeseltern als solche aus, um es bei einer Alleinsorge der Kindesmutter zu belassen (OLG Celle a. a. 0.).

Auf der Kommunikationsebene muss eine schwerwiegende und nachhaltige Störung vorliegen, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und dass das Kind folglich erheblich belastet würde, wenn man seine Eltern zwingen würde, die Sorge gemeinsam zu tragen (BT-Drucks. 17/11048, S. 17).

Gemessen an diesen Grundsätzen ergeben sich vorliegend keine Gründe, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen könnten.

Ohne Zweifel bestehen zwischen den Kindeseltern Kommunikationsprobleme und Spannungen.

Diese haben ihre Ursache jedoch im Wesentlichen in dem von der Kindesmutter behaupteten sexuellen Missbrauchen von … durch den Kindesvater im Dezember 2013 und ihrer daraus resultierenden Ablehnung des Kindesvaters.

Das Gericht ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts, den gut nachvollziehbaren und sorgfältig begründeten Ausführungen der Sachverständigen und der persönlichen Anhörung der Eltern sowie … zu der Überzeugung gelangt, dass das Sorgerecht hier beiden Eltern gemeinsam zu übertragen ist.

1.
Ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 11.06.2015 steht nicht fest, dass ein sexueller Missbrauch durch den Kindesvater stattgefunden hat.

Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, in ihrem Gespräch habe … bei dem Bericht über seinen Vater und das, was dieser (vermeintlich) getan habe oder auch, während er sich die Fotografien von seinem Vater angeschaut habe, nicht ängstlich und eher ambivalent gewirkt. Als … davon berichtet habe, dass der Vater ihm „dolle am Popo weh getan“ habe, und er die Folgefragen der SV damit beantwortet habe, Genaueres nicht zu wissen, sei für sie daraus durchaus den Eindruck entstanden, dass er Näheres darüber tatsächlich nicht wisse. Hinweise darauf, dass … diese Details verdrängt habe oder aus Angst nicht preisgeben würde, hätten sich aus den kindlichen Angaben, seinem Verhalten sowie seiner Gestik und Mimik hingegen nicht ergeben. Alle detaillierten Schilderungen – und diese hätten sich im Zeitverlauf dramatisch verschärft -, die … geäußert haben solle, würden den Berichten der Mutter, nie Erzählungen von … selbst entstammen.

Die Sachverständige hat ferner nachvollziehbar dargelegt, dass … Äußerung, der Vater habe ihm „dolle am Popo“ weh getan und dass er den Vater behaupte abzulehnen, aus sachverständiger Sicht keine Rückschlüsse auf (einen) tatsächlich erfolgte(n) sexuelle(n) Übergriff(e) zuließen. In der Gesamtschau gebe es zu viele Ungereimtheiten in den Angaben der Mutter, zudem sei … Befragung durch die Mutter, wie sich diese nach Angabe der Mutter abgespielt habe und sich aus der Ermittlungsakte entnehmen lasse, nicht frei von Suggestion.

Auch das Gericht hat bei Durchsicht der strafrechtlichen Ermittlungsakte sowie der vorliegenden Verfahrensakten in Übereinstimmung mit dem Gutachten der Sachverständigen etliche Widersprüche der Kindesmutter hinsichtlich gewichtiger Punkte und nicht etwa zu vernachlässigenden Nebenaspekten des vorgeworfenen Missbrauchs gefunden, die die Glaubwürdigkeit der Kindesmutter in Frage stellen.

So hieß es beispielsweise in dem hier eingereichten Schriftsatz, … habe geäußert, Papa habe im am Puschel (gemeint sei der Popo) weh getan, bei der Vernehmung durch die Polizei fiel diese auffällige Formulierung mit dem „Puschel“ jedoch nicht.

Auch die Konsequenzen, die es für … haben solle, wenn er das Geheimnis verrate, wurden unterschiedlich dargestellt. Während es gegenüber dem Gericht hieß, Papa werde Mama umbringen, wenn … Mama erzähle, was Papa ihm getan habe, hieß es bei der Polizei damals, wenn … das Geheimnis erzähle, würde seine Mama weglaufen und nie wieder kommen und … sei dann für immer alleine.

Dass … in der Nacht nach dem Zurückbringen durch den Vater im Dezember 2013 erbrach, wurde zwar gegenüber dem Gericht behauptet, bei der Polizei war davon jedoch nicht die Rede. Gegenüber der Sachverständigen wurden ausweislich des Gutachtens zudem weitere im Widerspruch zu den Angaben im Ermittlungsverfahren und vor dem Familiengericht stehende Angaben gemacht.

Auch der Verfahrensbeistand ist im Rahmen der Einsichtnahme der Strafakte zu der Ansicht gelangt, dass es auffallend viele Unstimmigkeiten gibt, die belegen, dass vermeintliche Fakten, so wie sie von der Kindesmutter geschildert worden sind, so nicht stattgefunden haben.

In Übereinstimmung mit dem Gutachten der Sachverständigen kann – ebenso wie durch die Ermittlungsbehörde – ein sexueller Missbrauch … durch den Kindesvater vorliegend nicht festgestellt werden.

Obwohl die Eltern bislang aufgrund des bestehenden Konflikts nicht in der Lage waren, zum Wohl ihres Kindes zusammenzuwirken, hält es das Gericht in Übereinstimmung mit dem Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen für möglich, dass diese die gemeinsame elterliche Sorge künftig einvernehmlich ausüben können.

Die Vorzüge der gemeinsamen elterlichen Sorge gegenüber der Alleinsorge liegen aus Sicht des Kindeswohls darin, die Beziehung des Kindes zu beiden Eltern besser aufrechtzuerhalten und zu pflegen, das Verantwortungsgefühl beider Elternteile gegenüber dem Kind zu erhalten und zu stärken. Hierdurch vergrößern sich nachhaltig die Chancen für das Kind, trotz Trennung der Eltern zwei – weitestgehend – „vollwertige“ Eltern zu behalten.

In diesem Zusammenhang hat die Sachverständige gut herausgearbeitet, dass … die Kontakte zu und die Auseinandersetzung mit seinem Vater zur positiven Identitätsbildung benötige, vor allem aber für eine Korrektur des von der Mutter übernommenen Vaterbildes. Derzeit habe er ein negatives Bild vom Vater, was sich auch negativ auf das Selbstbild des Kindes auswirken könne bzw. bereits ausgewirkt habe.

Es ist zwar nicht auszuschließen, dass es für die Eltern auch in Zukunft mit Schwierigkeiten verbunden sein wird, zu gemeinsamen Entscheidungen hinsichtlich wichtiger Kindesbelange zu gefangen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die grundlegende Frage des Aufenthaltes von … zwischen beiden nicht streitig ist und die Kindesmutter damit gemäß § 1687 BGB in den Angelegenheiten des täglichen Lebens alleine entscheiden kann. Gemeinsame Entscheidungen sind nur in den – verhältnismäßig seltenen – Angelegenheiten erforderlich, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind.

Es ist zudem zu erwarten, dass durch die Aufarbeitungen der Geschehnisse im Dezember 2013 sowie durch die Tatsache, dass sich beide Eltern in einem Zwischenvergleich zum Umgangsrecht dahingehend geeinigt haben, dass nunmehr zunächst eine schrittweise Anbahnung begleiteter Umgangskontakte zwischen Kindesvater und … stattfindet, eine gewisse Beruhigung im Verhältnis der Eltern zueinander eintritt, das ihnen zukünftig ermöglicht, in wichtigen Fragen zum Wohle des Kindes zusammenzuwirken.

Auch das Jugendamt und der Verfahrensbeistand befürworten eine Übertragung der elterlichen Sorge auch auf den Kindesvater.

Der Wille von … gebietet es demgegenüber nicht, hier dem Kindesvater die elterliche Sorge für ihn zu versagen.

Zwar hat … mehrfach angegeben, er wolle seinen Vater nicht sehen und hasse ihn. Der Gesichtspunkt der Selbstbestimmung des Kindes muss hier jedoch aufgrund des Alters von … in den Hintergrund treten, da davon auszugehen ist, dass der erst 6-jährige … noch nicht die verstandesmäßige und seelische Reife für eine tragfähige selbstbestimmte und vernunftgeleitete Entscheidung über die hier in Rede stehende Frage des Sorgerechts hat.

Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass … seit mehr als eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat und der abrupte Kontaktabbruch unter traumatischen Bedingungen für ihn erfolgte.

Hierzu hat die Sachverständige nachvollziehbar herausgearbeitet, dass … seit seiner Geburt (größtenteils) regelmäßigen, auch intensiven Kontakt mit und auch eine Bindung an seinen Vater hatte. Diese Bindung sei mit der Anzeige der Mutter gegen den Vater am 23.12.2013 für … unerwartet und wahrscheinlich für das Kind auch wenig nachvollziehbar abgebrochen.

Inzwischen habe … seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt zu seinem Vater, seine Äußerungen lassen darauf schließen, dass sein Bild vom Vater negativ und von Angst geprägt sei, so dass bei Drittpersonen der Eindruck entstehe, … habe schreckliche Dinge durch seinen Vater erlebt. … glaube, seinen Vater nie wiedersehen zu wollen und präsentiere ihn vor Dritten als den „bösen Papa“.

Auch wenn die Mutter angebe, dass … seinen Vater infolge der vermuteten Übergriffe nicht mehr sehen wolle (bzw. nicht mehr wolle, dass dieser ihm weh tue), so kann nach der gut dargelegten Ansicht der Sachverständigen in Bezug auf die Bindungsforschung davon ausgegangen werden, dass dieser plötzliche Bindungsabbruch für … ein einschneidendes und möglicherweise traumatisierendes Ereignis gewesen sei, das bis heute noch nachhaltig in ihm wirke, zumal seine Mutter, da sie (offiziell) an dem sexuellen Missbrauchsverdacht festhalte, ihm nicht über den Verlust des Vaters und die Trauer darüber angemessen hinweghelfen und ihn für sich erklärbar machen könne.

Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass … zusätzlich zu dem Bindungsverlust zu seinem Vater und dessen Familie den (überraschenden) Umzug nach Süddeutschland sowie den Verlust seiner bisherigen X-Kita in Hannover habe verarbeiten müssen, die er ohne Verabschiedung verließ und in der er trotz aller Schwierigkeiten doch zwei Freunde hatte. Es könne davon ausgegangen werden, dass … durch den Wechsel seines Lebensumfeldes, zumal dieser nicht der erste gewesen ist, destabilisiert worden und überfordert gewesen sei. Dafür spreche, dass … in der neuen Kita in Bayern durch Verhaltensweisen wie Aggressionen und unkontrollierbare Gewalt sowohl gegen Kinder als auch Erwachsene auffällig geworden sei. Solche Verhaltensweisen seien aus der vorherigen hannoverschen X-Kita nicht berichtet worden. Die Mutter subsumiere … Verhaltensweisen unter die (vermeintlich) erlebten Übergriffe durch seinen Vater. Kindliche Verhaltensweisen nach erlebten sexuellen Übergriffen, so die Sachverständige, würden sich sehr unspezifisch äußern, mehrere Ursachen könnten den auffälligen Verhaltensweisen zugrunde liegen. Diese Ausschließlichkeit, wie sie die Mutter vornehme, könne aus sachverständiger Sicht vor dem Hintergrund der Befundlage nicht geteilt werden.

Die Sachverständige hat in ihrem gut nachvollziehbaren und begründeten Gutachten zudem weiter ausgeführt, … eigenen Erinnerungen an den Vater seien inzwischen fast verblasst, so dass der Inhalt der Erinnerungen durch Dritte leicht zu verändern sei. … habe positive Gefühle, wenn sie mit der Erinnerung an den Vater verbunden seien, bereits abgespalten. Da … emotional den Verlust des Vaters erfahren habe, sei es ihm umso wichtiger, seine Mutter und deren Lebensgefährten Herrn …, den „lieben Papa“, nicht zu verlieren. … sei von der mütterlichen Zuwendung, Liebe und Fürsorge existentiell abhängig. Sollte … seinen Wunsch, den Vater wiederzusehen, aussprechen oder auch nur verspüren, befürchte er möglicherweise den Verlust (der Zuwendung und Liebe) der Mutter, was er durch die bestmögliche Anpassung zu verhindern suche. Die Sachverständige hat dabei auch betont, dass die benannten Prozesse auf der unbewussten Ebene abliefen und weniger eine kognitiv reflektierte denn eine emotionale (Entscheidungs-)Grundlage hätten.

Aus sachverständiger Sicht ergebe sich aus … verbalem Verhalten in Bezug auf seinen Vater sowie dessen Ablehnung der Hinweis auf eine induzierte kindliche Rollenübernahme zugunsten der mütterlichen Zuwendung. Daraus werde auch … geäußerter Wille, seinen Vater auf keinen Fall wiedersehen zu wollen, deutlich. Der geäußerte Wille entspreche aus sachverständiger Sicht nicht dem wahren kindlichen Willen, sondern resultiere aus anderen dynamischen Konstellationen und sei Ausdruck eines Loyalitätsdruckes, den er gegenüber der Mutter verspüre.

Dieser gut begründeten und wissenschaftlich belegten Sichtweise der Sachverständigen tritt das Gericht vollumfänglich bei.

Das Gericht hält die Kindeseltern insgesamt für in der Lage, bei entsprechenden Bemühungen miteinander zu kommunizieren und die Belange ihres Kindes gemeinsam zu regeln. Von einer schwerwiegenden nachhaltigen Störung auf der Kommunikationsebene, die befürchten lässt, dass den Kindeseltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und … folglich erheblich belastet würde, wenn man ihre Eltern zwingen würde, die Sorge gemeinsam zu tragen, kann vorliegend weder nach dem Vortrag noch nach dem persönlichen Eindruck der Kindeseltern ausgegangen werden. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten ist bei entsprechenden Bemühungen beider Elternteile von einem Mindestmaß an Kommunikation – wie es sie in der Zeit bis Ende Dezember 2013 durchaus gegeben hat – und Kooperation auszugehen. Zudem kann der nunmehr mitsorgeberechtigte Vater künftig auch stabilisierend auf … bislang infolge diverser Umzüge instabile Lebenssituation einwirken, indem er – so auch die Sachverständige – sich nunmehr gegen einen eventuellen erneuten Umzug aussprechen und für … eintreten kann.

Dem Antrag des Kindesvaters war daher gemäß § 1626a Abs. 2 BGB stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

Die Entscheidung über den Verfahrenswert folgt aus § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FamGKG. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles wie hier der Miteinbeziehung eines umfangreichen Sachverständigengutachtens sowie der strafrechtlichen Ermittlungsakte und mehrere Verhandlungstermine war vorliegend ein höherer Verfahrenswert angemessen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Entscheidung findet die Beschwerde statt.

Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der durch die Entscheidung in eigenen Rechten beeinträchtigt ist.

Mit Vollendung des 14. Lebensjahres steht einem Kind, für das elterliche Sorge besteht, oder einem unter Vormundschaft stehenden Mündel in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten sowie in den Angelegenheiten, in denen das Kind oder der Mündel vor einer Entscheidung des Gerichts angehört werden soll, ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters das selbstständige Beschwerderecht zu.

Daneben steht dem zuständigen Jugendamt das Beschwerderecht zu.

Die Beschwerde ist innerhalb von einem Monat bei dem Amtsgericht – Familiengericht – Hannover, Volgersweg 1, 30175 Hannover einzulegen.

Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung.

Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt.

Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird.

Sie ist vom Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

Die Beschwerde soll begründet werden.

Dr. P.
Richterin am Amtsgericht

Siehe auch die Beschwerdeentscheidung des OLG Celle

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