SG Stade, Urteil vom 28.03.2019 – S 39 AS 235/16

Sozialgericht Stade

im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

C.O, Ottersberg

– Kläger –

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt Freddy Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen

gegen

Landkreis Verden, – Kommunales Jobcenter Verden Lindhooper Straße 67, 27283 Verden (Aller)

– Beklagter –

hat die 39. Kammer des Sozialgerichts Stade auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2019 durch den Richter am Sozialgericht B. sowie die ehrenamtliche Richterin S. und den ehrenamtlichen Richter S. für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 22.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2016 rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt.

Der Kläger befand sich im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Er ist mit Schreiben vom 31.01.2014, 03.04.2014, 08.01.2015, 04.06.2015 und 18.08.2015 vom Beklagten zu einem Gespräch eingeladen worden. In den Einladungen wurde jeweils angegeben, dass ein Gespräch zur beruflichen Eingliederung geführt werden solle. Auf den weiteren Inhalt dieser Einladungen wird ergänzend Bezug genommen. Der Kläger ist jeweils zu den Terminen nicht erschienen. Am 22.02.2016 erließ der Beklagte daraufhin einen Eingliederungsverwaltungsakt. Begründet wurde dies damit, dass er zu den Gesprächen nicht erschienen sei.

Am 14.03.2016 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch. Der Beklagte erließ daraufhin am 22.03.2016 einen Teil-Abhilfe- und Widerspruchsbescheid. Dem Widerspruch wurde dahingehend abgeholfen, dass die zeitliche Wirkung des Eingliederungsverwaltungsaktes auf April 2016 bis September 2016 beschränkt worden ist. Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 02.05.2016 Klage vor dem Sozialgericht Stade erhoben.

Er ist der Auffassung, dass der Eingliederungsverwaltungsakt inhaltlich rechtswidrig sei, da es an einer Individualisierung fehlen würde. Ein Feststellungsinteresse liege vor, da aufgrund des fortgesetzten Leistungsbezuges eine Wiederholungsgefahr bestehe.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 22.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2016 rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält seinen Eingliederungsverwaltungsakt für rechtmäßig. Da der Kläger zu keinem Beratungsgespräch erschienen sei, sei das Zustandekommen einer Eingliederungsvereinbarung nicht möglich gewesen. Wegen der fehlenden Mitwirkung des Klägers sei auch ein individualisiertes Leistungsangebot durch den Beklagten nicht möglich gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Feststellungsklage ist als Fortsetzungs-Feststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG zulässig. Der Eingliederungsverwaltungsakt hat sich nach Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, da aufgrund seines fortgesetzten Leistungsbezuges eine Wiederholungsgefahr besteht.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 22.02.2016 in Gestalt des Teil-Abhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 22.03.2016 ist rechtswidrig gewesen.

Der Beklagte ist vorliegend zum Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes nicht ermächtigt gewesen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II soll ein Eingliederungsverwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Vorliegend ist nicht erkennbar, dass versucht wurde, eine Eingliederungsvereinbarung zu schließen. Zwar ist der Kläger mehrfach erfolglos eingeladen worden. Dabei wurde ihm aber nicht mitgeteilt, dass der Abschluss einer Vereinbarung beabsichtigt sei. Bevor der Verwaltungsakt erlassen wird hätte der Beklagte dem Kläger zunächst eine Vereinbarung zur Unterschrift zuschicken müssen. Erst wenn dies erfolglos gewesen wäre, hätten die Voraussetzungen für einen Eingliederungsverwaltungsakt vorgelegen.

Des Weiteren ist der Verwaltungsakt auch inhaltlich rechtswidrig. Leistungen, die über die Übernahme der Bewerbungskosten hinausgehen, wurden dem Kläger nicht angeboten. Nach § 15 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II soll der Eingliederungsverwaltungsakt bestimmen, welche Leistung die leistungsberechtigte Person erhält. Dabei ist individuell auf die Lebenssituation des Leistungsberechtigten einzugehen (vgl. BSG Urteil vom 23.06.2016, Az. B 14 AS 42/15 R). Da die Vorschrift von „soll“ spricht, liegt ein sogenanntes intendiertes Ermessen vor. D.h. der Beklagte muss darüber grundsätzlich keine Ermessenentscheidung treffen, sondern in der Regel die Leistungen anbieten. Nur wenn in atypischen Fällen davon abgewichen werden soll ist eine Ermessensentscheidung nötig.

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob hier aufgrund der Weigerung des Klägers an Beratungsterminen teilzunehmen, bereits ein atypischer Fall vorliegt. Es fehlt auf jeden Fall an der Ausübung des dann notwendigen Ermessens über die Frage, ob in diesem Einzelfall auf individuelle Leistungsangebote verzichtet wird. Da der Beklagte somit nicht erkannt hat, dass ein Unterlassen von Eingliederungsangeboten nur bei Ausübung von Ermessen möglich ist, liegt ein Ermessensfehler in Form eines Ermessensausfalls vor (vgl. Urteil des BSG aaO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich o- der in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder

von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gern. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERW) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Stade, Am Sande 4a, 21682 Stade, schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte ein- gehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Stade, Am Sande 4a, 21682 Stade, schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei Einlegung der Berufung in elektronischer Form.

Erfolgt die Zustellung im Ausland, so gilt anstelle aller genannten Monatsfristen eine Frist von drei Monaten.