Amtsgericht Bremen, Beschluss vom 22.07.2015 – 67 F 394/15 SO

Amtsgericht Bremen
Beschluss

In der Kindschaftssache

betreffend die elterliche Sorge für T. D. G.

Beteiligte:
1. T. D. G., geboren am … in Bremen, wohnhaft: … Bremen
2. Rechtsanwältin J. L., Bremen
– Verfahrensbeiständin –

3. R. G., geb. S., Bremen
– Mutter –

Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. D. K., Bremen,

4. S. Z., Bremen
– Vater –

Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Heino Beier, Gröpelinger. Heerstr. 387, 28239 Bremen,

5. Amt für Soziale Dienste Sozialzentrum GröpelingenMalle Sozialdienst Junge Menschen, Hans-Böckler-Str. 9, 28217 Bremen, Geschäftszeichen:
– Antragstellerin und Jugendamt –

6. Amt für Soziale Dienste Sozialzentrum Mitte/Östliche Vorstadt/Findorff, Fachdienst Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft, Rembertistraße 39, 28203 Bremen.
– Amtspfleger –

hat das Amtsgericht Bremen durch den Richter am Amtsgericht Dr. U. am 22.07.2015 beschlossen:

1. Den Kindeseltern wird die elterliche Sorge für Teilbereiche

Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht der Gesundheitsfürsorge und Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen für das Kind T. D. G., geboren am …, entzogen und auf das Jugendamt Bremen als Pfleger übertragen

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben, Auslagen nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert wird festgesetzt auf 4.000,– €.

Gründe:

I.

Das Kind T. G. ist am … in Bremen geboren. Das Kind wuchs zunächst bei seiner Mutter auf, die die alleinige Sorgerechtsinhaberin war. Später wurde den Kindeseltern die Sorge für das Kind T. G. mit Beschluss des Amtsgerichtes Bremen vom 05.03.2015 (Geschäftsnummer: 67 F 2552/14 SO) zur gemeinsamen Ausübung übertragen. Die Vaterschaft des Kindesvaters hatte das Amtsgericht Bremen mit Urteil vom 27.08.2009 (Geschäftsnummer: 61 F 972/08) zuvor festgestellt.

Seit dem Jahr 2008 kam es zu einer Vielzahl von Maßnahmen seitens des Jugendamtes, deren Ausgangspunkt eine Inobhutnahme in der Zeit vom 28.03.2008 bis 20.06.2008 gewesen war. Diese war notwendig geworden, weil die Kindeseltern sich in einer Trennungskrise befanden und ein Drogen- und Alkoholkonsum angenommen wurde. Bei einer Haaranalyse wurden am 13.05.2008 sowohl bei Frau G. — der Kindesmutter – als auch bei Herrn Z. — dem Kindesvater – Cocain beziehungsweise Cannabis festgestellt. In der Zeit vom 21.06.2008 bis 31.07.2008 kam es im Anschluss an die lnobhutnahme zu Familienkriseninterventionen. Eine sozialpädagogische Familienhilfe wurde darüber hinaus in den Zeiten vom 02.08.2008 bis 31.07.2011 eingesetzt.

Während dieser Zeit zog T. am 09.03.2010 von seiner Mutter zu seinem Vater um. Die Kontakte zwischen den Kindeseltern waren nach der Trennung außerordentlich konfliktreich. T. war nach Auffassung des Jugendamtes zwischen seinen Eltern hin- und hergerissen, weil die heftigen Streitigkeiten zwischen den Eltern auch vor dem Kind ausgetragen wurden.

Daraufhin wurde in der Zeit vom 07.10.2013 bis 30.04.2014 ein begleiteter Umgang zu Gunsten der Kindesmutter eingerichtet. Dieser wurde schließlich beendet, weil T. seine Mutter nicht mehr sehen wollte. Es schloss sich vor dem Amtsgericht Bremen ein auf Antrag der Kindesmutter eingeleitetes Umgangsverfahren an (Geschäftsnummer: 67 F 2125/14 UG). Dieses Umgangsverfahren endete mit einer Vereinbarung vom 10.07.2014, in der ein begleiteter Umgang der Kindesmutter außerhalb von ihrer Wohnung vereinbart worden ist (BI. 48 dA 67 F 2125/14 UG).

Am 30.07.2014 kam es zu einer erneuten Haaranalyse sowohl bei dem Kindesvater als auch der Kindesmutter sowie einer erstmaligen Haaranalyse bei T. und seiner Großmutter.

Die Haaranalyse des Kindesvaters wies ausweislich der Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin an der Charite in Berlin vom 07.07.2014 eine Konzentration von 0,15 ng/mg Cocain sowie 0,02 ng/mg Benzoylecgonin auf. Der Nachweis lässt darauf schließen, dass in der Umgebung des Kindesvaters mit Cocain umgegangen wurde, wobei der sichere Rückschluss auf einen Konsum nicht möglich ist (BI. 86 ff. dA 67 F 2125/14 UG).

Die Haarprobe der Kindesmutter wies ausweislich der Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin an der Charite in Berlin vom 01.09.2014 eine Konzentration von folgenden Wirkstoffen beziehungsweise Metaboliten im Haar auf: Methadon 0,18 ng/,g, EDDP (Methadonmetabolit) 0,021 ng/mg, Morphin 0,029 ng/mg, 6-Acetylmorphin 0,21 ng/mg, Heroin 0,12 ng/mg, Cocain 0,05 ng/mg, Tertrahydrocannabinol (THC) 0,34 ng/mg, Cannabinol (CBN) 0,042 ng/mg sowie Diazepam 0,03 ng/mg und Nordazepam 0,01 ng/mg. Angesichts dieser Untersuchungsergebnisse geht das Labor von einer gelegentlichen Einnahme von Methadon und Heroin sowie einem gelegentlichen bis regelmäßigen Konsum von Cannabisprodukten aus. Die Konzentration von Cocain ist demgegenüber so niedrig, dass von einem Umgang mit diesem Betäubungsmittel im Umfeld der Kindesmutter auszugehen ist (BI. 102 ff. dA 67 F 2125/14 UG).

Auch bei T. wurde in der Haarprobe ausweislich der Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin an der Charite in Berlin vom 07.07.2014 eine Konzentration von Cocain in einer geringen Spur nachgewiesen, und zwar 0,055 ng/mg. Diese geringe Spur zeigt jedoch, dass auch in der Umgebung von T. mit Cocain umgegangen wurde (BI. 89 ff. dA 67 F 2125/14 UG).

Lediglich T. Großmutter zeigte hinsichtlich aller Betäubungsmittel ein negatives Testergebnis (BI. 99 ff dA 67 F 2125/14 UG).

Nachdem T. sich in der Schule aggressiv gegenüber seinen Mitschülern aber auch Lehrern verhielt, wurde seitens der Schulkonferenz am 18.01.2015 der Beschluss gefasst, dass T. dringend Unterstützung und Anleitung benötige, um sein unkontrolliertes und aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern und Erwachsenen zu steuern. Daraufhin wurde in Anwesendheit des Vaters und der Großmutter von T. — die Mutter war nicht anwesend — beschlossen, dass sich T. umgehend in der Tagesklinik Ost vorgestellt wird (BI. 8 dA).

Das Jugendamt nahm diesen Vorfall am 22.01.2015 zum Anlass, um eine Kindeswohlgefährdung beim Amtsgericht Bremen nach § 8a SGB VIII anzuzeigen und den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge, nämlich hinsichtlich der Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, Antragsstellung für öffentliche Hilfen und Leistungen sowie schulische Angelegenheiten zu beantragen.

Ebenfalls wurde beantragt, eine entsprechende einstweilige Anordnung zu erlassen. Das Verfahren wurde beim Amtsgericht Bremen zur Geschäftsnummer 67 F 393/15 EASO geführt. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde eine Kurzstellungnahme vom 10.03.2015 der sozialpädiatrischen Abteilung des Gesundheitsamtes Bremen vorgelegt. Danach leidet T. an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotion (F 92), Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (F 81), Adipositas. Zudem sei eine ernsthafte soziale Beeinträchtigung gegeben (BI. 58 dA 67 F 393/15 EASO). Angesichts des negativen Befundes der Haaranalyse bei T. G. vom 25.02.2015 und der laufenden psychiatrischen Untersuchung sah das Amtsgericht Bremen mit Beschluss vom 18.05.2015 (Geschäftsnummer: 67 F 393/15 EASO) von dem Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Im hier gegenständlichen Hauptsacheverfahren ist insbesondere durch Einholung, eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben worden. Die Akten der Verfahren 67 F 393/15 EASO, 67 F 2552/14 SO sowie 67 F 21257/14 UG haben bei der Entscheidung vorgelegen.

II.

Der Antrag des Jugendamtes vom 22.01.2015 ist — bis auf die Beantragung der Entziehung der elterlichen Sorge für die schulischen Angelegenheiten – begründet, so dass die Teile der  elterlichen Sorge gemäß §§ 1666, 1666a BGB zu entziehen sind. Im Einzelnen handelt es sich um die Teilbereiche des Aufenthaltsbestimmungsrechtes, der Gesundheitsfürsorge sowie der Antragsstellung. Nach § 1666 BGB hat das Familiengericht die elterliche Sorge zu entziehen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist, die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind die Gefahr abzuwenden und die Entziehung der elterlichen Sorge beziehungsweise Teilen der elterlichen Sorge zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist. Die Gefahr darf nicht mit anderen Mitteln — wie weiteren öffentlichen Hilfen — abzuwenden sein (OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2015 — II — UF 156/14, 8 UF 156/14, juris, Tz 67). Eine Gefährdung des Kindeswohls ist lediglich dann gegeben, wenn die weitere Entwicklung — ohne die gerichtliche Anordnung des Sorgerechtsentzuges — ziemlich sicher in eine erhebliche Schädigung des Kindes münden würde oder ein solcher Schaden bereits eingetreten ist (OLG Hamm aaO).

Das Vorliegen einer erheblichen Störung wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass das Kind sich auch vor dem Hintergrund des Milieus, aus dem es stammt, nachhaltig nachteilig entwickelt. Dies ist vor allem der Fall, wenn das Kind körperlich und emotional vernachlässigt wird und dies die Folge eines Erziehungsunvermögens der Eltern ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.01.2015 — 4 UF 255/14, juris, Tz. 8). In der obergerichtlichen Rechtspröchung wird eine solche fehlende Erziehungsfähigkeit in der Regel angenommen, wenn eine Betäubungsmittelabhängigkeit bei den Kindeseltern vorliegt (OLG Bremen, Beschluss vom 10.02.2014 — 4 UF 7/14 -, juris — Tz. 5).

Eine solche erhebliche Schädigung und Kindeswohlgefährdung sind bei dem Kind T. G. nach den sachverständigen Feststellungen bereits eingetreten, denen sich das Gericht aus eigener Prüfung anschließt. Diese beruht auf der Erziehungsunfähigkeit der Kindeseltern.

Der Sachverständige führte im Wesentlichen aus:

Die sozialpsychiatrische Praxis K. habe eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen diagnostiziert. Insbesondere liege auch eine Traumatisierung des Kindes durch seine Inobhutnahme 2008 vor. Es lägen in der Wahrnehmung von Dritten erhebliche unsichere Bindungsqualitäten des Kindes zu seinem Kindesvater vor. T. verfüge nur über geringe Kompetenzen, mit Konflikten umzugehen. Dies führe bei ihm zu Aggressivität oder Rückzug. Dies sei auch dadurch belegt, dass T. häufig sogar von Erstklässlern provoziert werde, weil er den Ruf „weghabe“. T. teile dann auch gelegentlich einen „Backs“ aus (Seite 34 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.- Psych. R.). Beispielhaft ist — aus Sicht des Gerichts – zudem der Vorfall am 15.01.2015, an dem T. einen Mitschüler während der Pause angriff und in das naheliegende Gebüsch warf (BI. 5 der Akte 67 F 394/14).

Es komme, führte der Sachverständige weiter aus, aufgrund von Trennungsängsten in Bezug auf seinen Vater dazu, dass er in der Schule oder bei seiner Großmutter weine (Seite 37 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Diese Verlustängste in Bezug auf wesentliche Bezugspersonen seien noch durch die Ankündigung des Kindesvaters gesteigert worden, dass die Kindesmutter bald sterben werde (Seite 39 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Zudem sei das Selbstwertgefühl so gering, dass das Kind T. G. Lob nur schwer annehmen könne (Seite 37 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Es komme auch zu Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen (Seite 47 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Die Klassenlehrerin habe insofern geschildert, dass es für T. von Beginn der Schulzeit an schwierig gewesen sei, sich an Regeln zu halten (Seite 33 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Es komme zu Situationen, die so gravierend seien, dass die Klassenlehrerin ihn teilweise habe festhalten müssen.

T. leide unter einer fehlenden Alltagsstabilität, die daraus entstehe, dass ihm wesentliche Entscheidungen überlassen blieben und erzieherische Verantwortung an ihn abgegeben werde (Seite 41 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Zudem bestehe eine erhebliche Belastung durch das Austragen lautstarker Auseinandersetzungen zwischen den Kindeseltern vor ihrem Sohn T. (Seite 41 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Es komme häufig zudem zu einer großen Müdigkeit bei T.

Es liege zudem eine konkrete Gefährdung der körperlichen und seelischen Entwicklung des Kindes darin, dass dieses in keiner drogenfreien Umgebung aufwächst. So zeige das Ergebnis der Haaranalyse bei dem Kindesvater noch im Frühjahr 2015 Cocain sowie Benzoylecgonin auf (BI. 76 der Akte 67 F 393/15 EASO). Von einem möglicherweise fortdauernden Drogenkonsum des Kindesvaters gehe eine Kindeswohlgefährdung in der Regel auch dann aus, wenn nicht in den Haaren des Kindes Drogen nachgewiesen werden könnten. Auch habe die Haaranalyse, die bei T. durchgeführt werden müssen, zu diffusen Verlustängsten geführt (Seite 41 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Auch sei eine Adipositas bei dem Kind T. G. eingetreten (Seite 41 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Das Übergewicht sei einerseits gesundheitsgefährdend (u.a. Gefahr von Gelenkschäden, Diabetes, Hormonstörungen und Fettleber), andererseits bestünden aber auch erhebliche psychosoziale Folgen, die insbesondere in der Pubertät auftreten würden (Seite 39 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Diese Kindeswohlgefährdung beziehungsweise bereits eingetretenen Schäden beruhten auf einem Erziehungsunvermögen der Kindeseltern.

Die Kindesmutter verfüge nicht über eine Erziehungskompetenz, die ausreiche, die dargestellte Kindeswohlgefährdungen abzuwenden. Zudem sei durch ihre fehlende Erziehungskompetenz auch die Kindeswohlgefährdung hervorgerufen worden. Die Kindesmutter habe gegenüber dem Sachverständigen sogar eingeräumt, dass sie eine „überzeugte“ Marihuanakonsumentin sei (Seite 18 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Eine Haarprobe vom 08.08.2014 zeige zudem, dass es zu einem gelegentlichen Konsum von Methadon und Heroin sowie einem gelegentlichen bis regelmäßigen Konsum von Cannabis gekommen sei. Eine weitere Probenentnahme habe zwar niedrigere Werte von Heroin und Diazepam auf der anderen Seite aber sehr stark erhöhte Werte an Cannabis beziehungsweise dessen Abbauprodukten ergeben.

Hinzu trete eine deutlich eingeschränkte psychische Stabilität der Kindesmutter (Seite 42 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Dies werde besonders plastisch daran, dass es die Gespräche mit dem Jugendamt eskalierten. Auch die wiederholte Eskalation von Konflikten mit dem Kindesvater zeige eine erhebliche psychische Instabilität.

Überdies sei es in der Vergangenheit mehrfach zu einem akut kindeswohlgefährdenden Verhalten der Kindesmutter gekommen. Beispielhaft hierfür sei die Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt in der Zeit vom 28.03.2008 bis zum 20.06.2008. Hintergrund dieser Inobhutnahme sei, dass die Kindesmutter eine deutlich wahrnehmbare Alkoholfahne gehabt und unruhig nervös und unsicher gewirkt habe. Vor diesem Hintergrund gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die lnobhutnahnne in einem relevanten Teil auf die Kindesmutter zurückzuführen sei (Seite 43 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R).

Die mangelnde Erziehungskompetenz zeige sich auch darin, dass die Kindesmutter ihr Kind nicht ausreichend fördern könne. So fördere die Kindesmutter ihren Sohn in schulischen Belangen nicht. Sie habe sich vielmehr nach eigenen Angaben gegenüber dem Sachverständigen bislang nicht um die schulischen Angelegenheiten gekümmert (Seite 42 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Sie habe zudem ihr Sorgerecht nur unzureichend wahrgenommen und sei für notwendige Unterschriften nicht oder nur schwer erreichbar gewesen (Seite 42 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Auch beim Kindegvater sei die Erziehungskompetenz so gering, dass hiervon eine Kindeswohlgefährdung ausgehe. Insbesondere sei es beim Kindesvater ebenfalls zu dem Nachweis von Betäubungsmitteln gekommen. In dem chemisch-toxikologischen Gutachten vom 16.03.2015 seien mittel der Methode LC/MS/MS 0,7 ng/mg Kokain sowie 0,22 ng/mg Benzoylegönin — einem Stoffwechselprodukt von Cocain — nachgewiesen. worden (vgl. auch: Bl. 63 ff d A 67 F 393/15 EASO). Nach diesem Gutachten ist von einem fortgesetzten Gebrauch von Betäubungsmitteln auszugehen (vgl.: Bl. 66 dA 67 F 393/15 EASO).

Zudem weise der Kindesvater eine nur wenig ausgeprägte psychische Stabilität nach den Sachverständigenfeststellungen auf, denen sich das Gericht ebenfalls anschließt. Beispielhaft für die hieraus folgende fehlende Erziehungsfähigkeit wird in dem Sachverständigengutachten ausgeführt, dass der Kindesvater sich gegenüber dem Sachverständigen häufig darauf berufen habe, dass T. eine bestimmte Verhaltensweise von ihm so gewollt habe (Seite 40 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Ebenfalls zeigten die häufigen Eskalationen von Konflikten mit der Kindesmutter, dass auch der Kindesvater keine genügende psychische Stabilität aufweise (Seite 40 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Neben diesem Beleg der Erziehungsunfähigkeit komme es auch zu einem kindeswohlgefährdenden Verhalten beim Kindesvater. So sei es problematisch, dass der Kindesvater das Verhalten seines Kindes in der Schule bagatellisiere (Seite 38 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Zudem löse der Vater durch seine Ankündigung, dass seine Mutter bald sterben werde, erhebliche Verlustängste bei dem Kind aus, so dass auch dieses Verhalten als kindeswohlgefährdend einzustufen sei.

Der väterliche Haushalt sei zudem unaufgeräumt und nicht gesäubert. Ein Zimmer in der Wohnung sei mit Kartons zugestellt. Ferner befinde sich in der Wohnung über Wochen Sperrmüll. Das Gericht schließt sich vor diesem Hintergrund den sachverständigen Feststellungen an, dass sich der Zustand der Wohnung an der Grenze der Verwahrlosung befinde (Seite 39 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Ein besonderes Gewicht erhielten diese Erziehungsdefizite beim Kindesvater, weil dieser keine ausreichenden Einsichts- und Reflexionsmöglichkeiten besitze. Belegt wird dies in dem Sachverständigengutachten etwa dadurch, dass er gegenüber dem Sachverständigen die Auffassung vertreten habe, dass er für die Erziehung keine fachliche Unterstützung benötige (Seiten 40 f des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Er sei daher nicht in der Lage, sich frühzeitig fachlich helfen zu lassen, um Gefahren abzuwenden (Seite 40 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Das Gericht hat sich davon überzeugt, dass der Sachverständige von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist und seine Schlussfolgerungen in sich schlüssig und nachvollziehbar abgeleitet hat. Das Gericht teilt daher aus eigener Prüfung die Schlussfolgerung des Sachverständigen, dass die Kindesmutter und der Kindesvater erziehungsunfähig sind und dies zu einer akuten Kindeswohlgefährdung bei dem Kind T. G. geführt hat, die sich bereits teilweise in eingetretenen Schäden verwirklicht hat. Die Verfahrensbeiständin trat in der mündlichen Erörterung und Anhörung vom 06.07.2015 den Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls bei (BI. 73 f dA).

Die Entziehung der elterlichen Sorge für die im Tenor genannten Teilbereiche genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach diesem Grundsatz sind zunächst alle Möglichkeiten der öffentlichen Hilfe zu ergreifen, etwa helfende oder auch unterstützende Maßnahmen aber auch Maßnahmen, die auf eine Wiederherstellung einer Erziehungsfähigkeit der Eltern gerichtet sind (BVerfG FamRZ 2010, 713; OLG Köln, Beschluss vom 16.01.2015 4 UF 255/14 – juris). Die Vertreterin des Jugendamtes führte hierzu in der mündlichen Anhörung insbesondere aus, dass in der Vergangenheit eine Kooperation mit den Kindeseltern nicht möglich gewesen sei (BI. 74 dA 67 F 394/15 SO).

Zunächst ist der Entzug für die Bereich Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und für den Bereich der Antragsstellung verhältnismäßig. Gegenüber dem Sachverständigen erläuterte die Vertreterin des Jugendamtes beispielsweise, dass die Kindesmutter sich beispielsweise im Februar 2015 weiteren Gesprächen mit dem Jugendamt verweigert habe (Seite 36 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). In Bezug auf ihren Cannabiskonsum bezeichnete sich die Kindesmutter als „überzeugte“ Cannabiskonsumentin.

Die Einschätzung des Jugendamtes, dass die Kindeseltern nicht kooperationsfähig sind, deckt sich mit den Äußerungen des Kindesvaters gegenüber dem Sachverständigen, als dieser erklärte, dass er einer fachlichen Unterstützung, seinen Sohn zu erziehen, nicht bedürfe (Seite 41 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Gegen Ende der Begutachtung kooperierte der Kindesvater sogar mit dem Sachverständigen nicht mehr (Seite 44 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Auch macht der Vater keine plausiblen Angaben dazu, wie es zu dem positiven Testergebnis gekommen ist. Er erläuterte gegenüber dem Sachverständigen lediglich, dass er keine Drogen mehr konsumiere und sich daher das Ergebnis nicht erklären könne (Seite 13 f. des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.).

Angesichts dieser Einstellungen teilt das Gericht trotz der Akzeptanz der etablierten ambulanten Hilfen seitens des Kindesvaters die Beurteilung des Sachverständigen, dass die Kindeseltern nicht hinreichend in der Lage sind, ambulante Hilfen anzunehmen (Seite 44 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass auch bei einer positiven Testung der Eltern, im Rahmen eines Verfahrens gemäß §§ 1666, 1666a BGB stets die Gewährung von öffentlichen Hilfen — etwa in Form einer Drogentherapie für den Kindesvater — vorrangig ist (OLG Bremen- Beschluss vom 10.02.2014 — 4 UF 7/14, juris — Tz. 7). Eine Therapie ist jedoch bei überzeugten Konsumenten von Betäubungsmitteln — wie die Kindesmutter sich selbst versteht – nicht erfolgsversprechend. Hinsichtlich des Kindesvaters ist insofern zu beachten, dass die Möglichkeit einer Therapie angesichts des Leugnens von Betäubungsmittelkonsum nicht in Betracht kommt.

Entgegen des Antrages des Jugendamtes war die Übertragung des Teilbereiches der elterlichen Sorge für die Teilbereiche der schulischen Belange nicht verhältnismäßig. Die tatsächlichen Feststellungen, dass der Kindesvater Post in einer Postmappe häufig nicht abzeichne oder ein Mitteilungsheft nicht zuverlässig führe, genügen hierfür nicht (Seite 34 deS Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Hierbei handelt es sich letztlich um Abläufe, die die Klassenlehrerin zur eigenen Arbeitsvereinfachung eingeführt hat. Es ist nicht ersichtlich, ob der Kindesvater sich einem persönlichen Gespräch verweigert hätte oder sonst nicht an der schulischen Entwicklung teilgenommen hat. So nahm der Kindesvater etwa an der Schulkonferenz am 18.01.2015 teil. Angesichts der Grundrechtsposition von Art. 6 GG kommt ein Entzug auch des Teilbereiches schulische Angelegenheiten aber nicht allein deshalb in Betracht, weil die Klassenlehrerin in ihren Arbeitsabläufen gestört wird. Vielmehr muss die schulische Entwicklung des Kindes durch das Elternverhalten empfindlich beeinträchtigt sein. Dies ist aber nicht ersichtlich.

Die elterliche Sorge war, soweit sie entzogen werden musste, dem Jugendamt Bremen als Pfleger zu übertragen. Eine Übertragung dieser Teilbereiche auf die Großmutter kam nicht in Betracht. Dabei war zu beachten, dass die Übertragung auf Großeltern und nahe Verwandte vorrangig erfolgen muss und nur dann unterbleiben darf, wenn konkrete Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer die Auswahl einer andere Person oder des Jugendamts als Pfleger dem Kindeswohl dienlicher ist (BVerfG FamRZ 2014, 1435; BVerfG FamRZ 2014, 1841; OLG Hamm aaO Tz 100).

Die Großmutter kümmert sich gegenwärtig aufopferungsvoll um ihren Enkel. Eine Betäubungsmittelproblematik besteht bei ihr nicht. Nach den sachverständigen Feststellungen, denen sich das Gericht anschließt, birgt eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Großmutter jedoch die Gefahr, dass diese in einen unnötigen Konflikt mit dem Kindesvater, ihrem Sohn, gerät (Ausführungen des Sachverständigen, Protokoll der mündlichen Anhörung vom 06.07.2015, BI. 75 dA). Diese müsste nämlich im Alltag durchsetzen, dass der Lebensmittelpunkt tatsächlich bei ihr liegt. Denn von einer faktischen Verlagerung des Lebensmittelpunktes auf den Kindesvater geht — angesichts der positiven Haaranalysen – weiterhin eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB aus. Dies gilt insbesondere für Übernachtungen. Das Gericht sieht die Gefahr, dass sich die Großmutter insofern, würde ihr das Sorgerecht übertragen werden, nicht zuverlässig gegen den Kindesvater und T. durchsetzen könnte. Aber auch ein Austragen der Konflikte würde — angesichts der seitens T. bereits erlebten Konflikte — zu einer zusätzlichen Belastung führen, die vermieden werden muss (Ausführungen des Sachverständigen, Protokoll der mündlichen Anhörung vom 06.07.2015, BI. 75 dA).

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass stets eine Unterbringung des Kindes bei Verwandten der Vorzug eingeräumt werden muss, sofern dies die Gefahr für das Kindeswohl ebenso verlässlich abwendet (BVerfG, FamRZ 2014, 907; OLG Hamm aaO Rz 100). Eine Übertragung der im Tenor bezeichneten Teilbereiche auf einen Amtspfleger steht aber nicht entgegen, dass der Lebensmittelpunkt des Kindes sich bei seiner Großmutter befinden kann. Dies entspricht nach den sachverständigen Feststellungen dem Kindeswohl gegenwärtig am besten (Seite 47 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. R.). Das Belassen des Lebensmittelpunktes bei der Großmutter genügt der Bedeutung der Grundrechtsposition von Art. 6. GG im konkreten Fall. Diesem Aufenthalt steht aber eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf das Jugendamt nicht entgegen. Vielmehr kann auch bei der Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf das Jugendamt das Kind bei Großeltern belassen werden und diese im Rahmen einer Vollmacht die alltäglichen Geschäfte ausüben.

Gegen die Verhältnismäßigkeit kann auch nicht angeführt werden, dass die Vertreterin des Jugendamtes in der mündlichen Anhörung die Unterbringung in einer Wohngruppe oder einer Wochengruppe als ihr Ziel angegeben hat (Protokoll der mündlichen Anhörung vom 06.07.2015, BI. 74 dA). Denn es ist nicht davon auszugehen, dass sich der Amtspfleger bei der Ausübung der elterlichen Sorge die sachverständigen Empfehlungen, die Auffassung der Verfahrensbeiständin, den erklärten Kindeswillen sowie die Ausführungen des Gerichtes zur Verhältnismäßigkeit ebenso außer Acht lässt, wie dies die Vertreterin des Jugendamtes in der Anhörung tat. Denn die Amtspflegschaft ist in besonderer Weise dem Wohl des einzelnen Kindes verpflichtet und es ist daher zu erwarten, dass diese bei der Ausübung der elterlichen Sorge von den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen leiten lässt, wie sie auch in den Empfehlungen des Sachverständigen zu Grunde gelegt sind. Schließlich hat auch das Gericht in seinen Überprüfungen des teilweisen Entzuges des Sorgerechtes gemäß § 166 Abs. 2 FamFG zu gewährleisten, dass diesen Wertentscheidungen Rechnung getragen ist, soweit sich dies mit der weiteren Entwicklung vereinbaren lässt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 80, 81 FamFG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 45 FamGKG.

Rechtsbehelfsbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb von einem Monat bei dem Amtsgericht Bremen, Ostertorstr. 25 – 31, 28195 Bremen, einzulegen.

Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Darüber hinaus können Behörden Beschwerde einlegen, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Ein Kind, für das die elterliche Sorge besteht oder ein unter Vormundschaft stehendes Mündel kann selbstständig ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters Beschwerde einlegen, wenn es über 14 Jahre alt und nicht geschäftsunfähig ist.

Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niedersäwift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung, des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen. Die Beschwerde soll begründet werden.

Dr. U.

Richter am Amtsgericht

Schreibe einen Kommentar