Amtsgericht Bremen, Beschluss vom 13.05.2016 – 69 F 3523/16 EASO

Amtsgericht Bremen

Beschluss

In der Kindschaftssache

betreffend die elterliche Sorge für 1. bis 7.

hat das Amtsgericht – Familiengericht – Bremen durch die Richterin am Amtsgericht K.-J. im Wege der einstweiligen Anordnung am 13.05.2016 beschlossen:

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 27.4.2016 wird aufgehoben. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder S., G., M., F., A. und S. steht mithin wieder den Kindeseltern gemeinsam zu. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind C. steht mithin wieder der Kindesmutter als dem allein sorgeberechtigten Elternteil zu.

2. Die vereinbarten ambulanten Maßnahmen, nämlich die Familienhilfe und die Erziehungsbeistandschaften für G. und S., sind unverzüglich zu reinstallieren.

3. Es wird davon abgesehen, Gerichtskosten zu erheben. Die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten trägt jeder Beteiligte selbst.

Gründe:

Der Beschluss vorn 27.4.2016 war aufzuheben, da die Gründe für seinen Erlass nicht länger bestehen.

Die hier betroffene Familie ist dem Jugendamt seit etwa zehn Jahren bekannt, da die Kindeseltern mit der Erziehung der zuletzt in dem Haus lebenden sechs minderjährigen Kinder überfordert ist und sich bei den Kindern in der Folge Entwicklungsverzögerungen und andere Defizite eingestellt haben.

Zu dem Aktenzeichen 69 F 4877/10 SO gab es auch bereits ein gerichtliches Verfahren, in welchem die Kindeseltern in den Jahren 2011 und 2012 begutachtet wurden. In den Gutachten der Sachverständigen Dr. C. wurden erhebliche Mängel in der Erziehungsfähigkeit beschrieben. Das Verfahren endete gleichwohl — den Empfehlungen der Gutachterin folgend — damit, dass ein Kind, C., im Einvernehmen mit der allein sorgeberechtigten Kindesmutter fremdplatziert wurde und die übrigen Kinder in der Familie belassen wurden. Gleichzeitig wurde besprochen, dass eine Familienhilfe installiert wird, was auch geschah.

Im Februar 2016 ging sodann eine § 8a Meldung ein, aufgrund derer ein Hauptsacheverfahren zu dem Aktenzeichen 69 F 2390/16 SO eröffnet wurde. Grund für die Meldung war im Wesentlichen die Weigerung der Kindesmutter, die Familienhilfe weiter zu tolerieren. Im März wurden den Kindeseltern, bzw. der Kindesmutter für das Kind C., sodann das Recht. der Gesundheitsfürsorge und das Recht der Beantragung öffentlicher Hilfen entzogen. Dies geschah Im Einvernehmen mit den Kindeseltern, bzw. — hinsichtlich des Kindes C. — mit Einverständnis der allein sorgeberechtigten Kindesmutter. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass erneut eine Familienhilfe eingerichtet wird und für zwei Kinder Erziehungsbeistände bestellt werden. Diese Maßnahmen wurden von allen Beteiligten als für zunächst ausreichend erachtet, wobei die im Termin anwesende Case-Managerin erst seit kurzer Zeit mit dem Fall betraut war. Nach dem Ablauf von 6 Monaten sollte besprochen werden, ob die Maßnahmen sich als ausreichend oder aber als unzureichend erwiesen haben.

Am 27.4.2016 erreichten das Gericht sodann die Meldungen der Case-Managerin, Frau E., und der eingesetzten Amtsvormündin, Frau B., in welchen desolate Zustände im Haus der Kindeseltern beschrieben wurden. Aufgrund dieser Meldungen wurde den Sorgeberechtigten sodann das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, da eine akute Gefährdung aller im Haus lebenden Kinder gesehen wurde. Die Kinder wurden in Obhut genommen.

Zwischenzeitlich sind die Missstände, soweit sie tatsächlich vorlagen, allesamt behoben, wovon sich das Gericht im Rahmen eines Ortstermins selbst überzeugt hat. Für alle Kinder stehen vernünftige Schlafplätze und Sitzplätze am Tische bereit, es gibt warmes Wasser und Strom. Die Verhältnisse sind naturgemäß etwas beengt, das Haus ist jedoch relativ sauber und recht ordentlich. Gefahrenquellen, wie etwa offene, ungesicherte Kabel, wurden nicht vorgefunden.

Nach Auffassung des Gerichts liegen daher die Voraussetzungen der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegen den Willen der sorgeberechtigten Eltern nicht länger vor.

Nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte kommt ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts gemäß §§ 1666, 1666a BGB nur bei einer akuten, unmittelbar bestehenden bzw. unmittelbare bevorstehenden akuten Gefahr des Kindeswohls in Betracht, bei denen ein Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann (vgl. nur OLG Schleswig, Beschluss vom 14.4.2014, NJW-RR 2015, 198). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in seinem Beschluss vom 29.9.2015 ausgeführt, dass ein Sorgerechtsentzug im Wege der einstweiligen Anordnung spezifischen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern setze voraus, dass ein Verbleiben des Kindes in der Familie eine Gefahr für das körperliche, seelische oder geistige Wohl darstelle. Dies sei dann der Fall, wenn bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße bestehe, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit Ziemlicher Sicherheit voraussehen lasse (BVerfG, Beschluss vom 29.9.2015, BeckRS 2016, 41034).

Eine akute Kindeswohlgefährdung in diesem Sinne besteht im vorliegenden Fall für keines der Kinder. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Kindeseltern in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt sind. Auch haben die Kinder hieraus resultierend besondere Bedürfnisse entwickelt. Jedoch können die Defizite in der Erziehungsfähigkeit für die Dauer der in der Hauptsache anstehenden Begutachtung durch ambulante Maßnahmen aufgefangen werden. Die Gefahr, dass sich die bereits bestehenden Entwicklungsrückstände bei den Kindern in den nächsten Monaten intensivieren, steht dem erheblichen Risiko gegenüber, dass die Kinder ohne Notwendigkeit von ihren Eltern getrennt werden, was für die Kinder deutlich schlimmer wäre. Ausreichende Anhaltspunkte für andere Gefahren liegen dem Gericht nicht vor. Es gibt kein aktuelles Gutachten oder sonstige fachliche Einschätzungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass das Kindeswohl bei den Kindeseltern – ambulante Unterstützungen vorausgesetzt – gefährdet ist.

Auch der Verfahrensbeistand, RA M., hat sich dafür ausgesprochen, dass die vier älteren Mädchen in die Familie zurückkehren. Bezüglich der dreijährigen. Tochter, A., hat er die Einschätzung abgegeben, dass sie unter der Trennung von den Eltern nicht so sehr leide, sondern recht offen mit der Situation umgehe. Bezüglich des Säuglings, S., hat er empfohlen, dass diese für die Dauer der Begutachtung in einer Pflegeeinrichtung verbleibt. Dabei wurde auf die besonderen Bedürfnisse des sehr kleinen, dünnen und blassen Säuglings hingewiesen.

Das Gericht teilt die Einschätzung des Verfahrensbeistandes insofern, als S. besonderer Pflege bedarf. Da S. aber nach der hausärztlichen Einschätzung noch am unteren Rande des Normalbereichs hinsichtlich Kopfumfang und Gewicht ist, die Kindeseltern mit ihr sehr regelmäßig beim Arzt waren, die Gesundheitsfürsorge ohnehin von der Amtsvormundschaft ausgeübt und eine Familienhilfe im Haus zu installieren ist, kann eine konkrete, akute Gefahr für das Wohl S. nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden. Auch ergibt sich aus dem Bericht der Hebamme und dem Erstbericht der Einrichtung, dass S. ein aufmerksames Kind ist, das sich gut entwickelt hat und sich altersgemäß verhält.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 80, 81 FamFG.

Rechtsbehelfsbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb von zwei Wochen bei dem Amtsgericht Bremen, Ostertorstr. 25 – 31, 28195 Bremen, einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung.

Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Darüber hinaus können Behörden Beschwerde einlegen, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Ein Kind, für das die elterliche Sorge besteht oder ein unter Vormundschaft stehendes Mündel kann selbstständig ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters Beschwerde einlegen, wenn es über 14 Jahre alt und nicht geschäftsunfähig ist.

Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der, Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

Die Beschwerde soll begründet werden.

K.-J.
Richterin am Amtsgericht

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