Amtsgericht Bremen, Beschluss vom 15.07.2015 – 69 F 1565/13 SO

In der Kindschaftssache
betreffend die elterliche Sorge für …

 …

hat das Amtsgericht – Familiengericht – Bremen durch die Richterin am Amtsgericht v. G. am 15.07.2015 beschlossen:

Der Mutter wird die elterliche Sorge für …, geboren am …, Bremen allein übertragen.

Die Gerichtskosten tragen die Mutter und der Vater je zur Hälfte.

Die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten trägt jeder Beteiligte selbst.

Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Kindeseltern sind seit dem Jahr 2006 geschiedene Eheleute. Bis auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das der Mutter allein übertragen wurde, üben sie die elterliche Sorge für … gemeinsam aus.

Zum Umgangsrecht des Vaters mit der Tochter wurden seit dem Jahr 2002 bereits diverse Verfahren geführt, zur elterlichen Sorge zwei Verfahren in den Jahren 2013 und 2014.

Die Mütter behauptet, dass eine Kommunikation zwischen den Eltern seit Jahren nicht zum Wohle der Tochter möglich ist. Sie erklärt, dass die Tochter vielmehr immer wieder Eskalationen zwischen den Eltern miterleben musste. Sie ist der Auffassung, dass diese Situation für das Mädchen, das sich jetzt in der Pubertät befindet und eine regelrechte Angst vor dem Vater entwickelt hat, beendet werden müsse. Hierfür sei in diesem Fall ausnahmsweise die Übertragung der kompletten elterlichen Sorge auf die Mutter allein erforderlich, um den Einfluss des Vaters auf die Erziehung des Kindes gänzlich zu unterbinden.

Die Mutter beantragt (im Mai 2013), die elterliche Sorge für das Kind auf sich allein zu übertragen.

Der Vater beantragt, den Antrag der Mutter zurückzuweisen.

Er behauptet, sämtliche Entscheidungen der elterlichen Sorge seien in den letzten Jahren gemeinsam getroffen worden. Erst seit Februar 2013 gebe es für ihn keinen Kontakt mit der Tochter mehr. Zu Auseinandersetzungen zwischen den Eltern könne es in letzter Zeit gar nicht gekommen sein, da beide seit Monaten keinen Kontakt mehr pflegten.

Im Termin zur mündlichen Erörterung in den Parallelverfahren 59 F 1372/13 und 59 F 1374 /13 am 11.07.2013 erteilte der Vater der Mutter eine Vollmacht für die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Antragsrecht für öffentliche Hilfen und schulische Angelegenheiten. … wurde in diesem Termin angehört. Zum Ergebnis der Anhörung wird auf die Kopie des Protokolls vom 11.07.2013 (BI. 35 d.A.) Bezug genommen. Außerdem wurde das Ruhen des vorläufigen Verfahrens vereinbart.

Nachdem die Mutter ihren Antrag im Juni 2014 mit der Begründung erneuerte, der Tochter gehe es schlecht, sie lehne jeglichen Kontakt zum Vater ab, fühle sich unter Druck gesetzt, auch Therapiegespräche hätte insofern keine Änderung herbeizuführen vermocht, ,zog der Vater die erteilte Vollmacht zurück. Mit Beschluss vom 13.08.2014 wurde das vorliegende Verfahren wieder aufgenommen.

Dem Kind wurde Frau Rechtsanwältin … als Verfahrensbeiständin bestellt. Das Gericht hat die Eltern und … persönliche angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird Bezug genommen auf die Protokolle vom 29.09.2014 (BI. 96ff.d.A.) und vom 21.04.2015 (BI. 166 ff.d.A.). Das Jugendamt wurde angehört. Das Gericht hat ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge, dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Sachverständigengutachten der Dipl.-Psych. D. vom 06.02.2015.

II.

Der Antrag ist begründet. Die elterliche Sorge war der Mutter allein zu übertragen, da zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die Mutter dem Wohl des Kindes am besten entspricht ( § 1671 Abs. .1 Nr. 2 BGB).

Das Wohl … orientiert sich in diesem Fall insbesondere an ihrem Willen.

Die Sachverständige beschreibt … als eine sozialkompetente Jugendliche, bei der sich die ablehnende Haltung gegenüber dem Vater zu einem autonomen, nachvollziehbaren Willen entwickelt hat.

Der Kindeswille, der sich als Ausübung des Rechts des Kindes auf Selbstbestimmung darstellt, ist zu berücksichtigen (OLG BremenNZFam 2014, 914).

… ist 14 Jahre alt. Ihr wiederholt geäußerter Wille ist aufgrund ihrer individuellen Reife beachtlich. … befindet sich jedenfalls jetzt mit 14 Jahren in einem Alter, in dem sie zu einer eigenen Willensbildung fähig ist und es verdient, dass ihre Vorstellungen und Wünsche beachtet werden.

Der von … geäußerte Wille erfüllt auch alle Kriterien, die für einen beachtlichen Kindeswillen maßgeblich sind. Erforderlich ist insoweit, dass der Wille autonom, intensiv, stabil und zielorientiert ist (zu den Kriterien vgl. Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, Anm. 2.6.2.2.). Kennzeichnend für einen autonomen zielgerichteten Willen ist, dass er Ausdruck der eigenen Bedürfnisse und nicht nur Reaktion auf die – auch nur vermeintlichen – Wünsche eines Elternteils ist. Auch muss das Kind eine bestimmte Vorstellung von den Folgen seines Wunsches haben. Ein stabiler Wille setzt voraus, dass eine Willenstendenz über eine gewisse Zeit, auch unter unterschiedlichen Umständen, beibehalten wird. Intensiv ist der Wille, wenn er Ausdruck eines Herzenswunsches, d. h. dem Kind wichtig, ist.

… hat ihre ablehnende Haltung gegenüber ihrem Vater und insbesondere den Wunsch, dass der Vater keinen Einfluss mehr auf sie ausüben möge, seit ihrer richterlichen Anhörung im Juli 2013 konstant gegenüber verschiedenen professionell in das Verfahren involvierten Personen, nämlich der Casernanagerin des Jugendamts, der Erziehungsbeiständin, der Verfahrensbeiständin, dem Berater in der Erziehungsberatungsstelle, der Sachverständigen und in den gerichtlichen Anhörungen den zuständigen Richter/innen gegenüber geäußert. Über einen Zeitraum von zwei Jahren änderte sich dieser Wille nicht. Die Sachverständige bewertet dabei als nachrangig, ob … bei der Entwicklung ihres Willens durch die Haltung der Mutter oder den elterlichen Konflikt beeinflusst wurde. Vielmehr beurteilt sie diesen Willen auch als Ausdruck einer stärkeren emotionalen Verbundenheit und Identifikation mit der Kindesmutter als Hauptbezugsperson. Dass … Wille Ausdruck eines, zumindest inzwischen dazu herangereiften, Herzenswunsches ist, zeigte sich in der letzten gerichtlichen Anhörung. Auch als ihr verdeutlicht wurde, dass bis zu ihrem 18. Lebensjahr wahrscheinlich nicht mehr viele wesentliche Entscheidungen zu treffen seien, an denen ihr Vater zu beteiIigen wäre und trotz des Hinweises, dass sie auch in den zurückliegenden Jahren keinen Kontakt zum Vater hatte, war sie sich sicher, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf ihre Mutter gut „für die Basis ihrer Gefühle“ wäre.

Bei der Überprüfung, ob der entscheidungsrelevante Wille der Jugendlichen auch ihrem Wohl entspricht, kommt die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass … Wille dem Vater keinen weiteren Einfluss auf ihr Leben zu gewähren, das Kindeswohl nicht gefährdet, sondern bezüglich ihrer Autonomiebestrebungen und ihres Selbstbestimmungsrechts sowie dem Bedürfnis nach Entspannung und Entlastung im Alltag den Kindesinteressen entspricht. Sie erklärte die Abkehr … vom Vater mit Hinweisen dafür, dass der Vater in einer Phase der Adoleszenz seiner Tochter keine Toleranz gegenüber ihren Autonomiebestrebungen aufbringen und nicht durch eine angemessene Ausweitung der Grenzen reagieren konnte. Daraus resultierten insbesondere die Angaben …, sich vom Vater eingeengt und kontrolliert zu fühlen.

Ausdrücklich erklärte die Sachverständige in der Anhörung, dass im Umkehrschluss ein Übergehen des Willens der Vierzehnjährigen, ihr Wohl erheblich beeinträchtigen würde. Sie betonte dabei, dass es bei … jeweils in den Zeiten, da ein Gerichtsverfahren angestanden habe, bei dem es um Umgang mit dem Vater gegangen sei, körperliche Auswirkungen, wie „Schlafstörungen, Alpträume und Verschlechterung der schulischen Leistungen gegeben hebe.

Das Gericht ist davon  überzeugt, dass es dem Kindeswohl entspricht die gemeinsame elterliche Sorge zu beenden, da es dem ausdrücklichen Wunsch … entspricht.

Zudem haben die Eltern zuletzt im Jahr 2014 den Versuch unternommen über Elterngespräche beim Kinderschutzbund und beim Jugendamt, sich über wesentliche Belange … zu verständigen. Eine Möglichkeit zu einer fruchtbaren Kommunikation haben sie dabei nicht gefunden.

Der Kindesvater erkennt keinerlei eigene Anteile an der Situation zwischen ihm und seiner Tochter. Die Sachverständige beschreibt seine Haltung als egozentrisch, bei der Selbstreflexion selbst ansatzweise fehlen mit der Neigung der Kindesmutter und involvierten Hilfepersonen die Verantwortung dafür zuzuweisen, dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter habe. Bei dieser Haltung ist es für das Gericht auch nicht zu erwarten, dass die Eltern in naher Zukunft eine Ebene der Elternkommunikation erreichen, die für die Erziehung … fruchtbar wäre.

An der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter, die sich als bindungstolerant und in allen Belangen der Erziehung kompetent gezeigt hat, besteht kein Zweifel.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 80, 81 FamFG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 45 FamGKG.

Rechtsbehelfsbelehrüng

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats bei dem Amtsgericht Bremen, Ostertorstr. 25 – 31, 28195 Bremen, einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung.

Beschwerdeberechtigt ist, wer durch die Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Darüber hinaus können Behörden Beschwerde einlegen, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Ein Kind, für das die elterliche Sorge besteht oder ein unter Vormundschaft stehendes Mündel kann selbstständig ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters Beschwerde einlegen, wenn es über 14 Jahre alt und nicht geschäftsunfähig ist.

Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

Die Beschwerde soll begründet werden.

v. G.
Richterin am Amtsgericht

Ausgefertigt
Amtsgericht Bremen, 03.08.2015

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