Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.04.2015 – VIII ZR 80/14

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat am 15.04.2015 entschieden, dass die Käuferin eines Gebrauchtwagens, dem am Tag des Kaufvertrages wie vereinbart eine neue TÜV-Plakette erteilt worden war, gegenüber dem beklagten Gebrauchtwagenhändler ohne vorherige Fristsetzung zum Rücktritt berechtigt war, weil eine Nacherfüllung aufgrund des desolaten und für den Händler ohne Weiteres erkennbaren, massiv korrodierten Zustands des Kfz unzumutbar i. S. v. § 440 S. 1 Alt. 3 BGB war.

Amtlicher Leitsatz:

a) Den Gebrauchtwagenhändler trifft keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen. Vielmehr kann er zu einer Überprüfung des Fahrzeugs nur aufgrund besonderer Umstände, die für ihn einen konkreten Verdacht auf Mängel begründen, gehalten sein. Abgesehen von diesen Fällen ist der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung („Sichtprüfung“) verpflichtet (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 19. Juni 2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211 Rn. 24; vom 7. Juni 2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 15; vom 3. November 1982 – VIII ZR 282/81, NJW 1983, 217 unter II 2 b; vom 21. Januar 1981 – VIII ZR 10/80, WM 1981, 323 unter II 3 b aa; vom 11. Juni 1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383, 388 f.; vom 16. März 1977 – VIII ZR 283/75, NJW 1977, 1055 unter III 1 a; vom 21. Januar 1975 – VIII ZR 101/73, BGHZ 63, 382, 386 f.; st. Rspr.).

b) Die im Kaufvertrag enthaltene Eintragung „HU neu“ beinhaltet bei interessengerechter Auslegung die stillschweigende Vereinbarung, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befinde und die Hauptuntersuchung durchgeführt sei (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteil vom 24. Februar 1988 – VIII ZR 145/87, BGHZ 103, 275, 280 ff. [„TÜV neu“]).

c) Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer gemäß § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers, diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist.

Aus den Gründen:

(…) Hiernach steht fest, dass das als verkehrssicher verkaufte Fahrzeug massive Mängel in Form fortgeschrittener Korrosion an sicherheitsrelevanten Bauteilen aufwies, die bereits bei einer ordnungsgemäß durchgeführten einfachen Sichtprüfung ohne weiteres erkennbar gewesen wären. Der Beklagte hat das Ausmaß des von ihm – nach seinem eigenen Vorbringen – bemerkten „vordergründigen Rosts“ zumindest fahrlässig verkannt (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 2004 – VIII ZR 386/02, NJW 2004, 1032 unter III 1, 2 mwN). Angesichts dieser Umstände hat die Klägerin nachvollziehbar jedes Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Fachkompetenz des Beklagten verloren. Der Umstand, dass der TÜV das Fahrzeug nicht beanstandet hat, rechtfertigt mit Blick auf die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung keine andere Betrachtung. Darauf, ob der TÜV als Erfüllungsgehilfe des Beklagten anzusehen war oder diesem etwaige Versäumnisse des TÜV bei der Hauptuntersuchung mit Rücksicht auf den hoheitlichen Charakter der dem TÜV übertragenen Fahrzeugüberwachung nicht zugerechnet werden können, kommt es insoweit nicht an.

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