KG Berlin, Beschluss vom 10.01.2011 – 17 UF 225/10 –

Leitsatz

1. Der Regelumgang umfasst regelmäßig auch dann Übernachtungen beim umgangsberechtigten Elternteil, wenn dessen häuslichen Verhältnisse – beengte Wohnverhältnisse, fehlendes Kinderbett, kalter Zigarettenrauch – ungünstig sein sollten.

2. Der Regelwert von 3.000 EUR kann um ein Drittel gekürzt werden, wenn nur ein untergeordneter Einzelaspekt des Umgangs in Streit steht, der Sachverhalt einfach gelagert ist und die wirtschaftlichen Verhältnisse der beteiligten Eltern beengt sind.

In der Familiensache betreffend die Kinder


Antragsteller und Beschwerdegegner,

wegen Regelung des Umgangs

hat der 17. Zivilsenat des Kammergerichts – Senat für Familiensachen – durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht L., die Richterin am Kammergericht K. und den Richter am Kammergericht Dr. M.

am 10. Januar 2011

beschlossen:

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 26. November 2010 – 161 F 21735/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Mutter.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 2.000 €.

Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Mutter wird zurückgewiesen.

Gründe:

1. Die Beschwerde der Mutter, mit der diese sich gegen die Anordnung von Übernachtungen im Rahmen der Regelung des Umgangs wendet, ist zulässig (§§ 58ff. FamFG) und insbesondere form- und fristgerecht angebracht worden (§§ 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG).

2. In der Sache ist die Beschwerde indessen nicht begründet. Die Entscheidung des Familiengerichts, dass der Regelumgang an den Wochenenden Übernachtungen der Kinder beim Vater mit umfasst, ist nicht zu beanstanden und hält dem Beschwerdevorbringen stand:

Soweit die Mutter bezweifelt, dass der Vater eine größere Wohnung erhält, greift das nicht durch: Im Anhörungstermin hat der Vater erklärt, dass er im Falle eines Umgangsbeschlusses eine größere Wohnung erhalten und das JobCenter hierfür die Kosten übernehmen wird. Es ist nicht ersichtlich, dass die Mutter über bessere Erkenntnisquellen als der Vater verfügt oder ihre Erklärung glaubhafter als diejenige des Vaters sein sollte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Mutter einem Umgang der Kinder mit ihrem Vater offen ablehnt und damit deren Wohl und deren Recht auf Umgang mit dem Vater (§ 1684 Abs. 1, 2. Alt. BGB) missachtet: Das Familiengericht hat im angefochtenen Beschluss überzeugend dargelegt, weshalb davon auszugehen ist, dass die Mutter die Kinder gegen den Vater beeinflusst; auch der Verfahrensbeistand hat in dem sehr ausführlichen, gut nachvollziehbaren Bericht dargestellt, dass sich die Mutter einem Umgang im allgemeinen und Übernachtungen insbesondere ohne ersichtlichen Grund widersetzt, obwohl beide Kinder sich dem Verfahrensbeistand gegenüber eindeutig für einen Umgang einschließlich Übernachtungen ausgesprochen haben. L. reagierte hierauf sogar mit Begeisterung (Bericht vom 20. November 2010, dort S. 4, 5). Die Mutter ist in diesem Zusammenhang an ihre Loyalitätspflichten zu erinnern (§ 1684 Abs. 2 BGB): Von ihr kann danach nicht nur erwartet werden, dass sie die Kinder bei der Wahrnehmung des Umgangs positiv unterstützt, sondern darüber hinaus auch, dass sie den Umgang aktiv fördert (vgl. nur Handbuch Fachanwalt Familienrecht/Büte [7. Aufl. 2009], Rn. 4-411f.; Palandt/Diederichsen, BGB [70. Aufl. 2011], § 1684 Rn. 7, 10). Dazu gehört insbesondere, dass sie es unterlässt, auf die Wohnungsgesellschaft oder das JobCenter einzuwirken.

Auch das weitere Argument der Beschwerde, dass sich in der Wohnung nur eine Schlafcouch befinde, greift nicht durch; vielmehr hat der Vater im Termin erklärt, dass das JobCenter die Erstausstattung der Räume übernehme. Darüber hinaus kommt aber auch in Betracht, dass sich der Vater auf eigene Kosten eine günstige Schlafgelegenheit, etwa in einem Gebrauchtwarenkaufhaus, besorgt. Im Hinblick auf den hohen, verfassungsrechtlich geschützten Rang des Umgangsrechts und der Bedeutung von Übernachtungen für die Erhaltung und Verbesserung der kindlichen Beziehungen zum Umgangselternteil (vgl. BVerfG, FamRZ 2007, 105; bei juris Rz. 20ff.) kann eine derzeit (noch) fehlende Schlafgelegenheit offensichtlich kein Gesichtspunkt sein, der Übernachtungen entgegensteht.

Letztlich gilt auch nichts anderes für das weitere Argument der Beschwerde, der Aufenthalt beim Vater berge, weil dieser Raucher sei und seine derzeitige Wohnung nach kaltem Zigarettenrauch rieche, insbesondere für den unter Asthma leidenden L. Gesundheitsgefahren: Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Mutter jedenfalls während der Ehezeit, in der die Kinder ebenfalls dem Passivrauchen ausgesetzt gewesen sein müssen – dass der Vater erst nach der Trennung mit dem Rauchen angefangen haben sollte, ist von der Mutter nicht behauptet worden – hierin keine Gesundheitsgefahr gesehen hat. Weiter stünde dieser Einwand, nähme man ihn ernst, nicht nur einem Umgang mit Übernachtungen entgegen, sondern grundsätzlich auch dem Umgang insgesamt; dies insbesondere während der kalten Jahreszeit, in der der Umgang nur in geschlossenen Räumen stattfinden kann: Insoweit sieht die Mutter jedoch ganz offensichtlich ebenfalls keine Gefahren, da sie einem Umgang ohne Übernachtungen, wie sie in der Beschwerdeschrift vortragen lässt, zustimmt. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an, weil der Vater mit dem angegriffenen Beschluss – im Einklang mit seiner diesbezüglichen Erklärung im Termin – verpflichtet wurde, während der Umgangszeiten das Rauchen in geschlossenen Räumen zu unterlassen. Etwa verbleibenden Bedenken der Mutter im Hinblick auf kalten Zigarettenrauch kann unschwer durch kräftiges Lüften begegnet werden.

Die entscheidungserheblichen Feststellungen sind in verfahrensfehlerfreier Weise getroffen worden; die Beschwerde erhebt insoweit auch keine Bedenken.

Kinder, Eltern und Jugendamt wurden angehört; den Kindern wurde aufgrund des zu Tage getretenen Konflikts zwischen ihren Interessen und denjenigen der Mutter zu Recht ein Verfahrensbeistand bestellt (§ 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

3. Eine erneute Anhörung der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz erscheint dem Senat nicht geboten, weil dies bereits in der ersten Instanz ausführlich geschehen ist. Die Standpunkte der Beteiligten sind bekannt; neue Gesichtspunkte sind weder mit der Beschwerde vorgetragen noch lässt eine neuerliche Anhörung dies erwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 45 FamGKG. Dem Senat erscheint die Festsetzung des Regelwertes von 3.000 € aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles unbillig (§ 45 Abs. 3 FamGKG): Aufgrund des – von der Beschwerde ausdrücklich hervorgehobenen – Umstandes, dass nicht der Umgang insgesamt, sondern lediglich ein untergeordneter Einzelaspekt – die Übernachtungsregelung – angegriffen werden soll (vgl. OLG Schleswig, FamRZ 2002, 1578: Kürzung des Regelwertes um ca. ein Drittel, wenn der Streit nur den Umfang des praktizierten Umgangs betrifft), der Sachverhalt darüber hinaus sehr einfach gelagert ist (vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 21. Dezember 2009 – 8 WF 270/09 -, bei juris: Herabsetzung des Gegenstandswerts auf 1.000 € bei unterdurchschnittlichem Bearbeitungsaufwand) und aufgrund der wirtschaftlich beengten Verhältnisse der Beteiligten – beide sind auf staatliche Transferleistungen angewiesen – sowie des insgesamt geringen Aufwandes – die Beschwerdeschrift besteht aus lediglich 1½ Seiten, der Aktenumfang beträgt gerade einmal 40 Seiten – ist eine Kürzung des Wertansatzes um ein Drittel angezeigt.

Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein Anlass (§ 70 Abs. 2 FamFG).

Der Antrag der Mutter auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe war zurückzuweisen, weil das von ihr eingelegte Rechtsmittel aus den dargelegten Gründen keine Erfolgsaussichten hat (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 114, 119 ZPO).

Fundstelle
FamRZ 2011, 825-826

Verfahrensgang
AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschluss vom 26. November 2010, Az: 161 F 21735/10

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