KG, Beschluss vom 15. Januar 2016 – 13 UF 202/14

1. Eine Kindeswohlgefährdung, die Anlass zu einem familiengerichtlichen Eingriff in das elterliche Sorgerecht gibt, kann sich auch aus der Summe einer Vielzahl von Einzelaspekten ergeben.

2. Ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung ist nicht bereits dann ohne sorgerechtliche Maßnahmen einzustellen, wenn ein beteiligter Elternteil sich weigert, an der vom Familiengericht angeordneten Begutachtung mitzuwirken. Vielmehr sind in diesem Fall zunächst alle zulässigen Möglichkeiten für eine weitere Tatsachenermittlung auszuschöpfen. Gelingt es dadurch nicht, den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung auszuräumen oder zu bestätigen, ist eine Risikoabwägung auf der Grundlage aller bekannten Hinweise und Indizien vorzunehmen.

Tenor

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 27. Mai 2014 – 155 F 19415/13 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Mutter die Personensorge für das am … Januar 2013 geborene Kind E … … entzogen und das Bezirksamt … B… – Jugendamt – als Pfleger ausgewählt wird.

Von der Erhebung von gerichtlichen Kosten für das Verfahren der Beschwerde und der Rechtsbeschwerde wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind von jedem Beteiligten selbst zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Mutter wendet sich gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 27. Mai 2014. Mit diesem Beschluss wurde ihr die elterliche Sorge für ihre Tochter entzogen und auf einen Vormund, das Bezirksamt … B…, übertragen.

Das Familiengericht führte zur Begründung der Entscheidung, der Mutter die elterliche Sorge zu entziehen, aus, dass diese – sei es aufgrund ihrer eigenen Persönlichkeit oder sei es aufgrund des beherrschenden, schädlichen Einflusses der Großmutter des Kindes, Frau …, – im Ergebnis nicht in der Lage sei, Hilfen oder auch nur Ratschläge anzunehmen und umzusetzen, die zur Sicherung des Wohls des Kindes unabweisbar erforderlich seien. Vielmehr habe sie die vom Jugendamt wiederholt angebotenen Hilfen zurückgewiesen und jegliche Zusammenarbeit verweigert. Der Mutter, beeinflusst durch die Großmutter, fehle die Erziehungsfähigkeit und sie sei nicht in der Lage, sich um das Kind ausreichend zu kümmern: Ungeachtet der Tatsache, dass das Kind bereits wenige Wochen nach der Geburt Anfang April 2013 vom Jugendamt W… in Obhut habe genommen werden müssen und die Mutter das Kind bis heute noch nie längere Zeit hinweg betreut habe, sondern nur einige wenige Stunden pro Woche begleiteten Umgang mit ihm gehabt habe, gehe diese – be- bzw. verstärkt durch die Großmutter – unbeirrt davon aus, dass nur sie (bzw. die Großmutter) wüsste, was für das Kind gut sei. Die Mutter sei nicht in der Lage, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen, sich und ihr Verhalten darauf einzustellen und mit dem Helfersystem zu kooperieren, sondern beharre – unterstützt durch die Großmutter – in obstruktiv-querulatorischer Weise auf vermeintlich ihr zustehenden Rechtspositionen. Anstatt ihr Verhalten an den (Elementar-) Bedürfnissen von E… auszurichten, beschränke sie sich darauf, anderen – insbesondere dem Jugendamt – die Verantwortung für die entstandene Situation zuzuschreiben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die familiengerichtliche Entscheidung Bezug genommen.

Die ergangene Entscheidung ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: E… kam am … Januar 2013 in W… zur Welt; bei ihr wurde ein neonatales Entzugssyndrom aufgrund des mütterlichen Methadonkonsums und deren Nikotinmissbrauchs diagnostiziert. Aufgrund des Entzugssyndroms musste das Kind zunächst auf der Intensivstation mit Polamidon/Methadon substituiert werden; es blieb bis Ende März 2013 in einer W… Klinik. Die Mutter war drogen-, nikotin- und alkoholabhängig; aufgrund ihrer Suchtmittelabhängigkeit und ihres selbstverletzenden Verhaltens (“Ritzen”) wurde sie vom Jugendamt W… intensiv betreut. Bereits vor der Geburt von E… wurde die Mutter in ein Substituierungsprogramm aufgenommen. Nach anfänglichem Beikonsum von Drogen hält sie sich heute gut an die ärztlichen Vorgaben, ist drogenfrei und kooperiert mit der Drogennachsorgeeinrichtung.

Bereits vor der Geburt von E… haben sich Mutter und Großmutter im November 2012 an das Jugendamt W… gewandt und um Hilfe gebeten. Daraufhin versorgte das Jugendamt W… die Mutter mit einer Hebamme. Mit der Arbeit der Hebamme war die Mutter nicht zufrieden; die Zusammenarbeit wurde von ihr beendet. Die von ihr stattdessen gewünschten Hilfen wurden vom Jugendamt W… nicht gewährt. Bei den regelmäßigen Besuchen des Kindes in der Klinik durch die Mutter fiel ihre große Ungeschicklichkeit und Unsicherheit auf. Die W… Klinik verlangte daher, dass sie sich mehrere Tage vor der geplanten Entlassung des Säuglings in ihren Haushalt – den Haushalt der Großmutter, in dem sie seinerzeit lebte – in die Klinik einweisen lässt, um die Interaktion Mutter/Kind beobachten und den Hilfebedarf festlegen zu können. Dem kam die Mutter nicht nach. Ende März 2013 wurde E… daher nur deshalb zur Mutter entlassen, weil die Mutter versicherte, für das Kind beim Jugendamt Hilfen zu beantragen. Das erfolgte nicht. Vielmehr weigerte sich die Mutter, einen Hilfeantrag zu unterzeichnen oder Helfer in die Wohnung zu lassen. Entgegen den mit der Klinik getroffenen Abreden hat sie E…, obwohl gerade erst aus der stationären Behandlung entlassen, nicht mehr dem Arzt vorgestellt. Nachdem sie auch für das Jugendamt W… nicht mehr erreichbar war, erfolgte durch das Jugendamt ein Hausbesuch, bei dem die von der Mutter genutzte Wohnung in einem katastrophalen Zustand vorgefunden wurde. Daraufhin wurde das Kind am gleichen Tag, am 5. April 2013 vom Jugendamt W… in Obhut genommen und zunächst in einer Pflegefamilie in Nordrhein-Westfalen untergebracht. In dieser Zeit hatte die Mutter zu E… keinen Kontakt.

In einem vom Jugendamt eingeleiteten Verfahren hat das Familiengericht W… (Amtsgericht W… – 61 F 43/13) der Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung, nach mündlicher Erörterung der Sache, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung mit Beschluss vom 3. Mai 2013 entzogen. Zur Begründung wurde auf die fehlende Einsicht der Mutter in Bezug auf ihre Hilfsbedürftigkeit bei der Versorgung eines Säuglings mit Entzugserscheinungen verwiesen und ihre Weigerung, vom Jugendamt angebotene Hilfen anzunehmen. Die von der Mutter hiergegen geführte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf (II-6 UF 104/13) mit Beschluss vom 25. Juni 2013 zurückgewiesen.

Im Mai 2013 zog die Mutter, wie bereits vor der Geburt beabsichtigt, nach B… . Daraufhin organisierte das Jugendamt W… im Juni/Juli 2013 die Verlegung des Kindes in eine Bereitschaftspflegestelle nach B…; den Bezirk, in den die Mutter verzogen ist. Das Jugendamt L… hat der Mutter Hilfsangebote unterbreitet und ihr insbesondere vorgeschlagen, sie in einer Mutter-Kind-Einrichtung unterzubringen, um auf diese Weise die Möglichkeiten einer Rückführung von E… prüfen zu können. Das wurde von der Mutter abgelehnt. Das Jugendamt bemühte sich daraufhin, in Zusammenarbeit mit dem Träger der Kurzzeitpflege einen hochfrequenten Umgang Mutter/Kind von dreimal wöchentlich jeweils eine Stunde einzurichten. Die Termine wurden von der Mutter zwar zuverlässig wahrgenommen, aber der Umgang selbst – bei dem sich eine deutliche Unsicherheit und Ungeschicktheit der Mutter herausstellte – wurde häufig dadurch gestört, dass die Großmutter die Mutter während der Umgangszeit auf dem Mobiltelefon anrief und auf diese Weise die Interaktion Mutter/Kind empfindlich störte. Um die Mutter zum Umgang mit E… besser zu befähigen, empfahl das Jugendamt im Herbst 2013 schließlich die Einrichtung eines begleiteten Umgangs zwischen Mutter und Kind. Der Umgang sollte in einer speziell auf Kinder mit Bindungsstörungen ausgerichteten Krabbelgruppe stattfinden mit dem Ziel, E… den Kontakt zu gleichaltrigen Kindern zu verschaffen, der Mutter Umgänge mit E… auch außerhalb der Räume des Pflegekinderdienstes zu ermöglichen, sie zu beraten und sie in Kontakt zu anderen Müttern zu bringen. Der Träger der Krabbelgruppe wurde von der Mutter im Januar 2014 abgelehnt; sie weigerte sich, einen entsprechenden Hilfeantrag zu unterzeichnen. Stattdessen veränderte sie auf Geheiß der Großmutter den Hilfeantrag so stark, dass das Jugendamt sich nicht mehr in der Lage sah, dem Antrag zu entsprechen. Auch fehlten dem von der Mutter gewünschten Träger für die Umgangsbegleitung die jugendhilferechtlich erforderlichen Erlaubnisse. Daher verblieb es zunächst bei dem bisherigen, hochfrequenten Umgang in den Räumen des Pflegekinderdienstes. Nachdem E… ab April 2014 auf die dreimal wöchentlichen Besuche der Mutter zu jeweils einer Stunde zunehmend auffällig reagierte, wurde der Umgang Mutter/Kind mit Beschluss des Familiengerichts vom 19. Mai 2014 (Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg – 155 F 3400/14) auf eine Stunde wöchentlich reduziert. Die hiergegen geführte Beschwerde der Mutter wurde vom Senat mit Beschluss vom 3. September 2014 (13 UF 190/14) zurückgewiesen. Mit der Reduzierung des Umgangs gingen die bei E… festgestellten Auffälligkeiten zurück. Parallel hierzu verhärtete sich das Verhältnis zwischen der Mutter und der Bereitschaftspflegefamilie mehr und mehr. Im Dezember 2013 kam es zum Streit zwischen der Mutter und dem Pflegevater; später kam es auch zum Streit der Mutter mit der Pflegemutter. Im Sommer 2014 kam es erneut zu Auseinandersetzungen, deren genauer Hergang unklar blieb. Seit dem 13. August 2014 nahm die Mutter den Umgang mit E… nicht mehr wahr; zwischen ihr und ihrer Tochter gibt es seither überhaupt keine Kontakte mehr. Die Bitte des Jugendamts, den Umgang weiter wahrzunehmen, wies sie zurück. In einem Bericht vom 24. März 2015 gelangt das Sozialpädiatrische Zentrum der C…, B…, zu der Einschätzung, dass E… aufgrund des mehrfachen Wechsels der Bezugspersonen an einem Mangel an Zuwendung leidet; bei ihr wurde ein unsicheres, zwischen gehemmt und ungehemmt pendelndes Kontaktverhalten festgestellt. Etwa im Mai 2015 wurde E…, nachdem das Jugendamt keine Rückführungsperspektive mehr sah, vom Vormund schließlich in einer unbefristeten Dauer-/Vollzeitpflegestelle bei einer alleinstehenden Pflegemutter in B… untergebracht, die außer E… keine weiteren Kinder versorgt. Seit April 2015 besucht das Kind einen Kindergarten; mit den anderen Kindern kommt E… gut klar.

Bereits im Oktober 2013 regte das Jugendamt L… die Einleitung des vorliegenden (Hauptsache-)Verfahrens mit dem Ziel ein, die Mutter auf ihre Erziehungsfähigkeit hin sachverständig begutachten zu lassen, um die familiären Strukturen besser erfassen und die Hilfeplanung an den Ergebnissen der Begutachtung ausrichten zu können. Nachdem der seinerzeitige Verfahrensbevollmächtigte der Mutter, ein Rechtsanwalt, im Dezember 2013 eine Zustimmung zur Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens zur Erziehungsfähigkeit signalisierte, entzog die Mutter diesem das Mandat. Die Zusammenarbeit mit der vom Familiengericht mit Beschluss vom 6. Januar 2014 bestellten Sachverständigen, der Diplom-Psychologin … B…, verweigerte sie und brachte bereits vor Aufnahme der Tätigkeit einen Befangenheitsantrag gegen die Sachverständige an, der vom Familiengericht mit Beschluss vom 17. Januar 2014 zurückgewiesen wurde. Nachdem der Senat auf die Beschwerde der Mutter den familiengerichtlichen Beschluss bestätigt hatte (Beschluss vom 26. Februar 2014 – 13 WF 49/14), setzte das Familiengericht Anhörungstermin auf den 26. März 2014 an, zu dem die Mutter unter Androhung von Ordnungsgeld sowie die bestellte Sachverständige geladen wurden. Diesem Termin blieb die Mutter unentschuldigt fern. Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Beschluss vom 27. Mai 2015 hat das Familiengericht der Mutter die elterliche Sorge entzogen und auf einen Vormund – das Jugendamt L… – übertragen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter wurde vom Senat aus verfahrensrechtlichen Gründen mit Beschluss vom 8. August 2014 (FamRZ 2014, 69) verworfen. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der Bundesgerichtshof die Senatsentscheidung mit Beschluss vom 18. März 2015 (XII ZB 424/14, FamRZ 2015, 919) auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an den Senat zurück.

Die Mutter meint, die Vorwürfe, die das Jugendamt ihr mache, seien frei erfunden; eine Gefährdung des Wohles von E… läge nicht vor und die Wegnahme des Kindes sei grob unverhältnismäßig. Es fehle an einer gesetzlichen Grundlage hierfür; das Kind leide an einer “traumatisch grundlos veranlassten Inobhutnahme”. Sowohl die (Jugend-)Behörden als auch die Gerichte missachteten das Gesetz; sie seien zu einer Rückführung des Kindes längst verpflichtet gewesen. Deshalb könne von ihr auch keine Kooperation erwartet werden; vielmehr käme dies einer “Unterwerfung” gegenüber dem Jugendamt gleich. Hierzu sei sie nicht bereit. Zu einer Begutachtung durch die vom Familiengericht bestellte Sachverständige sei sie ebenfalls nicht bereit; die Nichtteilnahme sei ihr gutes Recht. Die Aufforderung, an einer Begutachtung mitzuwirken, sei unberechtigt, weil es zunächst am Gericht sei, die konkrete Kindeswohlgefährdung zu benennen. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vortrags wird auf die Beschwerdeschrift vom 4. Juni 2014 und eine Vielzahl von weiteren Schriftsätzen und Eingaben der Mutter Bezug genommen.

Das Jugendamt und die Vormünderin verteidigen die familiengerichtliche Entscheidung als fachlich zutreffend und eindeutig richtig. Vom Jugendamt wird hervorgehoben, dass die Mutter die eigenen Persönlichkeitsrechte höher bewerte als die Bedürfnisse und Rechte ihres Kindes. Es verweist weiter darauf, dass jegliche Bemühungen, zu der Mutter eine Arbeitsbeziehung aufzubauen, durch deren uneinsichtiges Verhalten unterlaufen würden. Dadurch habe sie auch die Prüfung von Rückkehroptionen vereitelt. Von der Vormünderin wurde berichtet, E… habe sich in der Dauerpflegestelle gut eingefunden; die frühkindliche Entwicklung verlaufe insgesamt gut. Eine eingeschränkte Begutachtung allein von E…, nachdem die Mutter sich der Begutachtung verweigere, wird von Jugendamt und Vormünderin als weder sinnvoll noch notwendig erachtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen vom 30. Juli 2014, vom 21. Juli 2015 (zwei Schriftsätze) und vom 8. Dezember 2015 verwiesen.

Die Verfahrensbeiständin befürwortet den Entzug der Personensorge. Der Mutter konzentriere sich allein auf den Konflikt mit den fachlich beteiligten Behörden, Trägern und Einrichtungen und sei weder in der Lage noch Willens, im Interesse des Kindes und zur Sicherstellung dessen Wohls mit dem Jugendamt oder den weiteren Fachkräften zu kooperieren. Für E… müsse dringend eine Perspektive geschaffen werden, weil sie aufgrund ihres fortschreitenden Alters mittlerweile eine Bezugsperson benötige, an die sie sich zuverlässig binden könne. Die Mutter komme hierfür nicht in Betracht, zumal sie nicht in der Lage sei, sich von dem schädlichen Einfluss der Großmutter, die für sie die Schriftsätze verfasse, frei zu machen. Gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter bestünden erhebliche Bedenken; die von der Mutter beständig wiederholte Forderung nach einer sofortigen Rückführung von E… in ihren Haushalt gehe an den Bedürfnissen des Kindes völlig vorbei. Seit der Unterbringung bei der Pflegemutter in einer Dauerpflegestelle im Mai 2015 erlebe E… erstmals Kontinuität. Aufgrund des Kontaktabbruchs seitens der Mutter im August 2014 stelle diese für E… inzwischen eine fremde Person dar. Eine isolierte Begutachtung allein von E… werde nicht gutgeheißen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 25. Juli 2014, vom 12. und 22. August 2015 sowie vom 24. September 2015 Bezug genommen.

Der Senat hat zu Informationszwecken die Akten des Amtsgerichts W… aus dem Sorgerechtsverfahren 61 F 43/13 (= Oberlandesgericht Düsseldorf – II-6 UF 104/13) sowie des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg aus den Umgangsverfahren 155 F 13732/13 (= Senat, 13 UF 236/13) und 155 F 3400/14 (= Senat, 13 UF 190/14) beigezogen. Weiter wurde vom Senat der Versuch unternommen, über das Umfeld der Mutter, ihre Persönlichkeit und den Vater des Kindes (ergänzende) Informationen zu erlangen; auf das Anschreiben an Jugendamt, Vormund und die Verfahrensbeiständin vom 17. Juni 2015 (IV/72 ff.) wird verwiesen. Das Jugendamt berichtete hierzu unter dem 21. Juli 2015 (IV/98 ff.), dass die Mutter sich jeglichen Fragen zu ihrer eigenen Vergangenheit einschließlich ihrer Zeit in der stationären Jugendhilfe verweigere. Über das Jugendamt wurden Berichte des Kindergartens von E… und des Sozialpädiatrischen Zentrums der C… eingeholt (V/62 ff.). Die C… berichtete unter dem 24. März 2015, bei der Mutter seien transgenerationelle psychosoziale Belastungsfaktoren – gemeint ist die Belastung/Hörigkeit der Mutter durch bzw. gegenüber der Großmutter – bekannt. Zum Vater sei bekannt geworden, dass dieser die Mutter im Drogensubstitutionsprogramm kennengelernt habe, beide sich aber alsbald wieder getrennt hätten. Auf mehrere Anschreiben des Senats an den Vater erfolgte keine Reaktion. Im Zuge der Ermittlungen des familiären Hintergrundes bzw. der Vergangenheit der Mutter wurden vom Senat weiter drei Akten aus gegen sie vor dem Amtsgericht W… geführten Strafverfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Amtsgericht W… – 325 Js 3840/10 83 Ds 266/10), wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (622 Js 5350/11 12 Cs 331/11) und wegen Beleidigung (422 Js 2881/11 12 Ds 106/11) ermittelt und zu Informationszwecken beigezogen. Der Senat hat schließlich versucht, die Mutter zur Mitwirkung an der Begutachtung zu bewegen und um eine diesbezügliche Stellungnahme gebeten. Auf das entsprechende Schreiben des Senats vom 17. Juni 2015 (IV/71) wird Bezug genommen. Die Mutter hat hierzu unter dem 6. Juli 2015 erklärt, das Verlangen nach einer (Erziehungsfähigkeits-) Begutachtung sei unberechtigt und stelle “eine weitere Verzögerungstaktik” dar (IV/76 f.). Vom Jugendamt und der Verfahrensbeiständin wurden Stellungnahmen eingeholt. Über das Jugendamt wurde die Stellungnahme des Sozialpädiatrischen Zentrums der C… vom 24. März 2015, dem E… vorgestellt wurde, eingeholt (V/62 ff.). Ärztlicherseits wurde dort eingeschätzt, dass weitere Wechsel der Pflegesituationen kontraindiziert seien; vielmehr sei eine stabile Langzeitperspektive notwendig. Bei einem vollständigen Wechsel des Milieus von E… sei bei ihr die Herausbildung einer Bindungsstörung und damit eines erheblichen Risikofaktors für schwere kinder- und jugendpsychiatrischer Folgestörungen wahrscheinlich. Schließlich hat der Senat die Mutter in Begleitung der Großmutter sowie die Vormünderin, das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin persönlich angehört.

II.

A.

Die Beschwerde der Mutter ist im Ergebnis zulässig:

1. a) Problematisch ist – wie der Senat bereits im Beschluss vom 8. August 2014 (FamRZ 2014, 69; II/139f.) dargelegt hat – allein die Frage, ob das von der Mutter innerhalb der offenen Rechtsmittelfrist mit E-Mail vom 25. Juni 2014 eingereichte elektronische Dokument in gehöriger Form unterzeichnet ist. Der Bundesgerichtshof hat im Beschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 424/14 (FamRZ 2015, 919 [bei juris Rz. 10, 14]) dargelegt, dem Rechtsmittelführer stünde es frei, eine im Original von ihm eigenhändig unterzeichnete Rechtsmittelschrift mittels eines Scanners in eine elektronische Datei zu verwandeln und diese Datei sodann auf elektronischem Wege an das Gericht zu übermitteln. Unzulässig sei es dagegen, wenn die Beschwerdeschrift nicht mit einer von Hand gezeichneten Originalunterschrift, sondern lediglich mit einer maschinellen, eingescannten oder hineinkopierten Unterschrift versehen werde und sodann dieses Dokument an das Gericht elektronisch übermittelt werde.

b) Nach den dem Senat möglichen Feststellungen lag der elektronisch übermittelten Beschwerde ein im Original unterschriebenes Dokument zu Grunde:

(aa) Die Mutter weigerte sich zunächst, der Aufforderung des Senats vom 23. April 2015 (IV/30) zu folgen und das unterzeichnete Original der von ihr gescannten und sodann als pdf-Datei elektronisch beim Gericht eingereichten Beschwerdeschrift zur Akte zu reichen. Erst auf den Hinweis des Senats, dass andernfalls ihr Rechtsmittel erneut zu verwerfen sei (Schreiben vom 27. April 2015; IV/33), legte sie den betreffenden Schriftsatz vor. Der mehrfachen Aufforderung, genau zu erläutern, welche Bearbeitungsschritte von ihr im Einzelnen unternommen wurden, um die Unterschrift auf der Beschwerdeschrift anzubringen und sodann den Schriftsatz elektronisch an das Gericht zu senden, ist die Mutter nur unzureichend nachgekommen: Im Schriftsatz vom 17. Mai 2015 (IV/57) hat sie sich auf die Wiederholung ihrer nichtssagenden Behauptung aus der Rechtsbeschwerdeschrift (dort S. 3; III/65) beschränkt, wonach die erzeugte pdf-Datei mit ihrer eigenen handschriftlichen Unterschrift versehen gewesen sei; das überreichte Originaldokument trage eine blaue, mit Kugelschreiber gefertigte Unterschrift. Der rechtlich allein entscheidenden Frage, ob es sich dabei um eine von Hand auf dem Papier aufgebrachte Unterschrift handelt oder um eine Unterschriftsdatei (“Faksimilestempel”), die von ihr in das Dokument hineinkopiert und sodann ausgedruckt wurde, bevor es gescannt und auf elektronischem Wege an das Gericht versandt wurde, ist sie ausgewichen. Das nährt unverändert Bedenken, ob die Beschwerdeschrift tatsächlich von der Mutter im Original handschriftlich gezeichnet wurde. Eine weitere Verstärkung erfahren die Bedenken, weil die Mutter im Verfahren Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg – 155 F 13732/13 (= Senat, 13 UF 236/13) im familiengerichtlichen Anhörungstermin vom 4. September 2013 (64), bei dem die Großmutter nicht anwesend war (sondern lediglich vor dem Saal wartete) erklärt hatte, die Schriftsätze stammten nicht von ihr, sondern von der Großmutter (“Sie hat immer nur so viel geschrieben”).

(bb) Nach weiterer Sachaufklärung hat der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür finden können, dass anstelle einer handschriftlichen Zeichnung der Beschwerdeschrift im Original, vor dessen elektronischen Übermittlung, eine “Unterschriftendatei” zum Einsatz kam, die anstelle eines manuellen Schriftzuges auf die elektronisch übermittelte Rechtsmittelschrift aufgebracht worden wäre. Eine Inaugenscheinnahme der von der Mutter eingereichten Beschwerdeschrift, die als Grundlage für die als Scan übersandte pdf-Datei gedient haben soll, ergibt keine Anhaltspunkte für einen möglichen Einsatz einer “Unterschriftendatei”. Von einer Untersuchung der Beschwerdeschrift mit kriminaltechnischen Mitteln hat der Senat – auch im Hinblick auf die dadurch eintretende Verfahrensverzögerung (§ 155 Abs. 1 FamFG) – daher abgesehen: Der Grad der Gewissheit, mit dem ein Schriftsachverständiger verbindliche, belastbare Aussagen über die Herstellung der Unterschrift hätte treffen können, wäre aller Voraussicht nur sehr vage und mit einem hohen Unsicherheitsfaktor belastet gewesen. Im Ergebnis ist das Rechtsmittel der Mutter deshalb als formal ordnungsgemäß unterzeichnet anzusehen (§ 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG).

2. Die weiteren Beschwerdevoraussetzungen (§§ 58f., 63, 64 FamFG) liegen unproblematisch vor, so dass die Beschwerde der Mutter zulässig ist.

B.

In der Sache selbst ist dem Rechtsmittel der Mutter im Kern der Erfolg zu versagen: Die vom Familiengericht verfügte Entziehung der elterlichen Sorge ist im Interesse des Kindeswohls mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Mutter nicht die elterliche Sorge insgesamt, sondern lediglich die Personensorge zu entziehen ist. Daher ist keine Vormundschaft, sondern (lediglich) Pflegschaft anzuordnen (§§ 1773 Abs. 1, 1909 BGB) und das Jugendamt L… wird nicht als Vormund, sondern als Pfleger ausgewählt (§§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1779, 1791b Abs. 1 BGB):

1. Der rechtliche Ausgangspunkt ist klar: Die elterliche Sorge darf der Mutter teilweise oder vollständig nur entzogen werden, soweit eine Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes im Sinne von § 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 6 BGB besteht. Voraussetzung für die Annahme einer derartigen Gefährdung ist dabei, dass die dem Kind drohende Gefahr bereits gegenwärtig in einem solchen Maß besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussagen lässt. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern darf dabei allerdings nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. März 2014 – 1 BvR 160/14 -, JAmt 2014, 223 = FamRZ 2014, 1005 [LS] [bei juris LSe 2b, 2c und Rz. 28ff., 37ff.]; BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Februar 2012 – 1 BvR 3116/11 -, FamRZ 2012, 1127 [bei juris LS 2 und Rz. 16ff.] sowie Völker/Clausius, Sorge- und Umgangsrecht [6. Aufl. 2014], § 1 Rn. 191 [Fn. 540 und Text]). Die Voraussetzungen für einen derartigen Eingriff in das elterliche Sorgerecht sind auch vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens der Mutter zu bejahen, weil bei einem Aufenthalt des Kindes im Haushalt der Mutter dessen seelisches Wohl konkret gefährdet ist und mildere Maßnahmen als ein (Personen-)Sorgerechtsentzug nicht gegeben sind:

2. Das Familiengericht ist zutreffend zu der Annahme gelangt, dass das Kindeswohl gefährdet ist:

a) Der Senat schließt sich nach Überprüfung der Auffassung des Familiengerichts an, wonach sich die konkrete Gefährdung des Kindes bei der Mutter aus einer Vielzahl von Einzelaspekten ergibt, die in ihrer Summe zu dem Schluss führen, dass sie durch ihr Verhalten das Wohl von E… unmittelbar gefährdet. Allerdings ist der Mutter beizupflichten, dass dieser Schluss weniger aus den verschiedenen Vorkommnissen in W… resultiert, die im Frühsommer 2013 zu den – vom Oberlandesgericht Düsseldorf seinerzeit bestätigten – sorgerechtlichen Maßnahmen des Familiengerichts W… in dem dort geführten einstweiligen Anordnungsverfahren geführt haben: Denn die seinerzeitigen Ereignisse und Fehlentwicklungen sind aufgrund des Zeitablaufs im Wesentlichen überholt, zumal die Mutter inzwischen auch nicht mehr in W…, sondern seit Mai 2013 in B… lebt. Die damaligen Ereignisse sind jedoch auch heute noch von Belang, soweit darin allgemeine, auch heute noch fortwirkende Einstellungen und Persönlichkeitsakzentuierungen der Mutter zum Ausdruck kommen. Bei näherem Hinsehen zeigen sich Umstände, die gravierende Defizite in ihrem Erziehungsverhalten erkennen lassen:

(aa) Die Mutter ist nicht in der Lage, sich um E… ausreichend zu kümmern und sich auf die Bedürfnisse des Kindes einzulassen, sondern stellt ihre eigenen Interessen konsequent und rücksichtslos über diejenigen des Kindes, die deshalb auch dann zurückstehen müssen, wenn dies mit Gefahren oder gar einer Schädigung des Kindes verbunden ist. In chronologischer Reihenfolge sind hierbei zu nennen:

  • In W… missachtete die Mutter im März 2013, nach der Entlassung von E… aus der Klinik in den mütterlichen Haushalt, wiederholt Termine zur Wiedervorstellung des Kindes. Das ist deshalb besonders schwerwiegend – und zeugt daher von entsprechend geringem Verantwortungsbewusstsein der Mutter -, weil E… noch kurz zuvor aufgrund des mütterlichen Methadonkonsums und deren Nikotinmissbrauchs während der Schwangerschaft mit einem Entzugssyndrom auf der Intensivstation behandelt worden war (Beiakte 61 F 43/13; I/14 ff);
  • ohne dass hierfür zwingende Gründe ersichtlich wären, zog die Mutter im Mai 2013 von W… nach B… . Das ist besonders gravierend, weil der Säugling zu diesem Zeitpunkt erst wenige Wochen alt und gerade aus der Klinik entlassen worden war und die Mutter den Umzug gleichwohl weder abgebrochen noch zeitlich verschoben hat. Dadurch gefährdete sie letztlich das Wohlergehen und die (seelische) Gesundheit des Kindes, weil sie zu E… – diese war zu diesem Zeitpunkt bereits in einer Pflegefamilie in Nordrhein-Westfalen untergebracht – weder Kontakte hatte noch etwas unternahm, um den Kontakt zum Kind herzustellen (Beiakte 61 F 43/13);
  • nach Verlegung des Kindes nach B… im Sommer 2013 lehnte die Mutter das Angebot des Jugendamts L… ab, sie gemeinsam mit E… in einer betreuten Mutter-Kind-Einrichtung unterzubringen, weil sie bereits die Wohnung in der G… straße hatte und diese nicht aufgeben wollte. Stattdessen nahm sie lieber in Kauf, dass E… vom Jugendamt L… in B… in einer Kurzzeitpflegestelle untergebracht werden musste und dadurch bei E… letztlich die frühkindliche Bindungsentwicklung nachhaltig belastet wurde (Beiakte 61 F 43/13; I/64, I/97; I/191 und Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums der C… vom 24. März 2015; V/62ff.);
  • nach Unterbringung von E… in der Kurzzeitpflegestelle nutzte die Mutter in der Folgezeit die allemal nur spärlich bemessenen Umgangsstunden dazu, mit der Großmutter über das Mobiltelefon zu telefonieren, anstatt sich dem Kind zuzuwenden. Die Entwicklung eines gesunden Mutter/Kind-Kontaktes wurde dadurch empfindlich gestört;
  • in der Zeit, in dem der Umgang in den Räumen des Pflegekinderdienstes begleitet wurde, zeigte sich die Mutter nicht willens oder nicht in der Lage, die regelmäßigen Wiedervorstellungstermine bei ihrem B… Substitutionsarzt zu verlegen, um im Interesse ihrer Tochter in deren Tagesablauf besser passendere, optimalere Umgangszeiten zu erreichen. Die Möglichkeit, die Wiedervorstellungstermine beim Arzt zeitlich zu verschieben, wurde von der Mutter offenbar noch nicht einmal in Erwägung gezogen;
  • weil der von ihr vorgeschlagene Träger “W… ” mangels Vorliegens der nötigen Erlaubnisse für eine Umgangsbegleitung nicht in Betracht kam, verweigerte die Mutter im Januar 2014 endgültig die Teilnahme an der vom Jugendamt vorgeschlagenen speziellen Krabbelgruppe für bindungsgestörte Kinder: Sie vereitelte dadurch, dass eine Betreuung ihres (stundenweisen) Umgangs mit der Tochter auch außerhalb der Räume des Pflegekinderdienstes erfolgen konnte, E… in Kontakt zu anderen, gleichaltrigen Kindern hätte kommen können und insgesamt die Mutter/Kind-Bindung gezielt gefördert und ausgebaut werden konnte (I/190);
  • die Mutter ließ es vor dem Kind zu Streitigkeiten zwischen ihr und den Pflegeeltern kommen: Dadurch signalisiert sie non-verbal gegenüber dem Kind, dass sie als Mutter gegenüber der Pflegestelle Bedenken und Vorbehalte hegt, was bei dem Kind natürlich Verunsicherungen auslösen musste (I/190);
  • durch ihr Gesamtverhalten und ihre fehlende Kooperation vereitelte sie es, dass für E… eine Rückkehrperspektive erarbeitet werden konnte: Sie verunmöglichte den Bindungsaufbau zwischen dem Kind und ihr, in dem sie spezielle Hilfsangebote (Krabbelgruppe) ausschlug etc.; aufgrund ihres Verhaltens musste der Umgang von drei auf eine Stunde wöchentlich reduziert werden und sie verweigerte die Kooperation mit dem Jugendamt;
  • ab August 2014 brach sie schließlich jeglichen Kontakt zu E… völlig ab und reagierte auch nicht auf die Aufforderungen des Jugendamtes, den Umgang mit dem Kind wieder aufzunehmen. Insbesondere dieses Verhalten ist als gravierendes Versagen anzusehen, weil sie es auf diese Weise geradezu verhindert, dass E… die erforderliche emotionale Bindung zu ihr aufbauen und sie als die Mutter wahrnehmen kann (vgl. nur Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten. Rechtliche Vorgaben und sachverständiges Vorgehen [6. Aufl. 2015], Rn. 1200 ff.). Ihr Verhalten hat im Ergebnis dazu geführt, dass sie für E… mittlerweile zu einer fremden Person geworden ist. Aus der Sicht des Kindes ist das besonders schwerwiegend, weil damit jegliche Verbindungen zur leiblichen Familie – ihren Vater kennt E… überhaupt nicht – abgebrochen sind. Das Verhalten der Mutter hat das Wohl von E… nicht nur gefährdet, sondern sogar bereits geschädigt: Das Sozialpädiatrische Zentrum der C…, dem E… vom Vormund vorgestellt wurde, berichtete am 24. März 2015, dass das Kind aufgrund des mehrfachen Wechsels der Bezugspersonen an einem Mangel an Zuwendung leide; das Kontaktverhalten sei unsicher und pendele zwischen gehemmt und ungehemmt (V/64 ff.). Letztlich ist auch das ein Beleg dafür, dass die Mutter nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen und diesen gerecht zu werden. Sie hat auch keine Versuche unternommen, den Kontakt wieder anzubahnen (bzw. anbahnen zu lassen). Die angesichts der Bedürfnisse des Kindes unangemessene Verweigerung des Kontakts zu einer Bezugsperson des Kindes stellt aber sowohl nach der Auffassung der Rechtsprechung (vgl. beispielsweise OLG Köln, Beschluss vom 16. April 2010 – 4 UF 47/10, NJW-RR 2010, 1375 [bei juris LS 1,2 zum rechtlich ähnlich gelagerten Fall, dass ein Elternteil den Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil vereitelt] sowie Palandt/Götz, BGB [75. Aufl. 2016], § 1666 Rn. 19) als auch der Meinung der Kinder- und Jugendpsychologie (vgl. Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten [6. Aufl. 2015], Rn. 1198ff sowie die Stellungnahme des Sozialpädiatrischen Centrums der C… vom 24. März 2015; V/64ff.) eine gravierende Beeinträchtigung des kindlichen Wohls dar, weil dadurch die Entwicklung von Bindungen des Kindes beeinträchtigt und die Gefahr der Herausbildung von Bindungsstörungen oder anderen Risiken für das seelische Wohl des Kindes begründet wird.

(bb) Wie wenig die Mutter in der Lage ist, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen – auch dies führt zu einer konkreten Gefahr für das Kindeswohl -, ergibt sich auch aus der nach dem Kontaktabbruch von der Mutter verweigerten Umgangsanbahnung: E… sieht aufgrund des vollständigen Kontaktabbruchs in der Mutter inzwischen eine fremde Person; der Kontakt Mutter/Tochter müsste zunächst erst einmal wieder angebahnt werden (Bericht der Verfahrensbeiständin vom 24. September 2015; V/1 ff.). Das lehnt die Mutter jedoch ausdrücklich ab: Im Senatstermin vom 3. Dezember 2015 sowie in ihrem Schriftsatz vom 4. Dezember 2015 (V/54ff.) forderte sie eine bedingungslose, sofortige Rückführung des Kindes in ihren Haushalt; besonderer Eingewöhnungsmaßnahmen des Kindes in ihren Haushalt bedürfe es ihrer Ansicht nach grundsätzlich nicht. Auf die Frage des Senats, wie sie sich – unterstellt, ihr Rechtsmittel erweise sich als erfolgreich – den weiteren Gang der Dinge und die künftige Entwicklung vorstelle, konnte sie keine Angaben machen; vielmehr meinte sie lediglich, es reiche aus, wenn sich das Jugendamt davon überzeuge, dass ihre Wohnung sich nunmehr in einem ordnungsgemäßen Zustand befände. Die Möbel kenne E… ja von früher. Das Kind würde sich mit der Zeit schon an sie gewöhnen und eine Mutter/Tochter-Beziehung würde sich früher oder später schon von alleine wieder einstellen. Daher bedürfe es – wie sie im Anhörungstermin bekundet hat – keiner weiteren Hilfen, sondern es reiche aus, wenn das Kind unverzüglich in ihren Haushalt zurückgeführt würde. Sie wäre, wie sie im Schriftsatz vom 4. Dezember 2015 (dort S. 2 unten; V/55) ausdrücklich erklärt hat, noch nicht einmal bereit, mit dem Jugendamt in Bezug auf eine Umgangsbegleitung “zur Eingewöhnung” zu kooperieren, sondern sie stellt von vornherein die Bedingung, dass wenn schon eine “Umgangsbegleitung zur Eingewöhnung” erforderlich sei, diese von vornherein nur zu “ihren” Bedingungen erfolgen könne und ausschließlich mit dem von ihr vorgeschlagenen Umgangsbegleiter.

Hier unterliegt die Mutter – möglicherweise beeinflusst durch ihre eigenen transgenerationellen Belastungsfaktoren – indessen einem schweren Irrtum: Aus dem Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums der C… vom 24. März 2015 (V/64 ff.) geht hervor, dass die von ihr angestrebte “unverzügliche, bedingungslose Rückführung” des Kindes, also der Wechsel von der Pflegefamilie zurück in ihren Haushalt, bei E… wahrscheinlich die Entwicklung einer Bindungsstörung erwarten lassen wird. Eine Bindungsstörung gilt als erheblicher Risikofaktor für schwerwiegende kinder- und jugendpsychiatrische Folgestörungen. E… hat bereits mehrfach Beziehungsabbrüche hinnehmen müssen; nämlich durch die Inobhutnahme aus dem Haushalt der Mutter im März 2013 und in der Folgezeit durch die Weigerung der Mutter, mit dem Jugendamt zu kooperieren und unter Anleitung der Fachkräfte eine tragfähige Beziehung zu dem Kind aufzubauen. Das hat bereits heute bei E…, ausweislich des Berichts des Sozialpädiatrischen Zentrums der C… (V/65 f.), zu einem unsicheren Kontaktverhalten und zu einem Zuwendungsmangel – Störung der Deprivation: Gemischtes Muster – geführt, so dass nicht mehr nur eine bloße Gefährdung des kindlichen Wohls vorliegt, sondern bereits dessen Schädigung eingetreten ist.

(cc) Die Mutter ist schließlich nicht in der Lage, sich von dem schädlichen Einfluss der Großmutter frei zu machen, die das (Enkel-) Kind als Spielball bzw. Objekt in ihrer Auseinandersetzung mit dem Jugendamt missbraucht und die, wie ihre Bekundungen im Anhörungstermin vor dem Senat belegen, einen rücksichtslosen “Privatkrieg” gegen Jugendämter und sonstige Behörden führt: Die Großmutter erläuterte hierzu, dass es in dem Verfahren aus ihrer Sicht allein darum ginge, zu klären, dass die im April 2013 erfolgte Inobhutnahme des Kindes rechtswidrig gewesen sei.

b) Die Mutter hat eine weitergehende Aufklärung des Sachverhalts nicht ermöglicht. Sie war nicht bereit, an der vom Familiengericht angeordneten sachverständigen Begutachtung ihrer Erziehungsfähigkeit mitzuwirken:

(aa) Die Mutter hat im familiengerichtlichen Verfahren erklärt, mit der vom Familiengericht bestellten Sachverständigen, der Diplompsychologin … B…, B…, nicht zusammenarbeiten zu wollen; einer Begutachtung stimme sie nur zu, wenn sie den Sachverständigen auswählen könne und ein “ihr genehmer” Sachverständiger bestellt werde. Nachdem das von ihr gegen die Sachverständige bereits vor Aufnahme der Tätigkeit angebrachte Ablehnungsgesuch vom Familiengericht zurückgewiesen wurde (Beschluss vom 17. Januar 2014; I/112) und der Senat diese Entscheidung als zutreffend bestätigt hatte (Beschluss vom 26. Februar 2014 – 13 WF 49/14; I/145ff.), blieb die Mutter dem familiengerichtlichen Anhörungstermin vom 26. März 2014, zu dem das Familiengericht neben der Mutter auch die Sachverständige geladen hatte, um den Versuch einer Begutachtung der Mutter anhand ihres Verhaltens in der Sitzung zu unternehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2010 – XII ZB 68/90, BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 [bei juris Rz. 23f., 32]) bewusst unentschuldigt fehl und verhinderte auf diese Weise die Begutachtung.

Bereits das Familiengericht hat hierzu zutreffend vermerkt (Vermerk vom 4. März 2014; I/166), dass die Weigerung der Mutter, sich durch die bestellte Sachverständige explorieren zu lassen, in rechtlicher Hinsicht beachtlich ist: An der Begutachtung muss sie nicht mitwirken und ihre fehlende Mitwirkung kann auch nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung gewürdigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2010 – XII ZB 68/90, BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720). Die rechtlich einzig verbleibende Möglichkeit, die Sachverständige zum Anhörungstermin zu laden, damit sie dort die Mutter begutachtet, wurde von der Mutter – durch unentschuldigtes Fernbleiben vom Termin – unterlaufen. Von der – jedenfalls in theoretischer Hinsicht – noch verbleibenden Möglichkeit, die Mutter zwangsweise vorführen zu lassen und auf diese Weise den Kontakt Sachverständige/Proband zu “erzwingen”, hat das Familiengericht nach dem Dafürhalten des Senats ohne Rechtsfehler abgesehen: Denn auch eine zwangsweise Vorführung ändert nichts daran, dass die Mutter im Anhörungstermin nicht zum Reden bzw. zu Erklärungen über ihre Person oder die Sache gezwungen werden kann.

Auch die vom Senat unternommenen Versuche, die Mutter zur Teilnahme an einer Exploration zu bewegen, sind fehlgeschlagen: Die Mutter hat die entsprechenden Versuche (Schreiben des Senats vom 17. Juni 2015; IV/68) als “unberechtigte Forderung” und “weitere Verzögerungstaktik” abgetan (Schriftsatz vom 6. Juli 2015; IV/76). Eine isolierte Begutachtung von E… hat der Senat zwar zunächst in Erwägung gezogen, letztlich aber als nicht zielführend erachtet. Denn bei einer Begutachtung allein des Kindes blieben ganz wesentliche, entscheidende Aspekt, nämlich Person und Persönlichkeit der Mutter, ihre Interaktion mit dem Kind und eine vertiefte, fachlich fundierte Untersuchung ihrer Erziehungsfähigkeit ungeklärt. Die weiteren Ermittlungen des Senats, über das Jugendamt an weitere Informationen in Bezug auf die Mutter und deren persönlichen Verhältnisse zu gelangen, haben letztlich ebenfalls keinen Erfolg gezeigt; weitere entscheidungserhebliche Informationen über diejenigen hinaus, die sich bereits aus den Akten oder den Beiakten ergeben haben, sind nicht bekannt geworden; auch hat die Mutter sich geweigert, auf entsprechende Fragen des Jugendamts Auskunft zu erteilen (Bericht des Jugendamts vom 21. Juli 2015, a.a.O.). Unergiebig blieben auch die Versuche des Senats im Anhörungstermin, näheres über die persönlichen Verhältnisse der Mutter in Erfahrung zu bringen. Zur Person des Vaters konnte ebenfalls nichts in Erfahrung gebracht werden: Der Vater hat weder auf Anschreiben des Senats reagiert noch ist er zum Anhörungstermin erschienen. Auch der Versuch des Senats, über eine Anfrage beim Bundesamt für Justiz/Bundeszentralregister Kenntnis von eventuellen gegen die Mutter geführten Strafverfahren zu erlangen und damit auf in den Strafakten möglicherweise enthaltene Berichte der Jugendgerichtshilfe zuzugreifen, haben gleichfalls zu keinen verwertbaren Ergebnissen geführt. Einen (erneuten) Versuch, die bestellte Sachverständige zu einem Anhörungstermin hinzuzuladen, hat der Senat nicht unternommen, weil die Mutter bereits einmal einem entsprechenden Anhörungstermin unentschuldigt ferngeblieben ist und sie sich nachdrücklich geweigert hat, an jeglicher Exploration mitzuwirken. Die von der Mutter – jedenfalls anfangs – in Aussicht gestellte Möglichkeit, an einer Begutachtung teilzunehmen, soweit vom Gericht ein “ihr genehmer” Sachverständiger bestellt würde, hat der Senat aus Rechtsgründen nicht näher in Erwägung gezogen: Bei dem Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung handelt es sich um ein von Amts wegen geführtes Verfahren, bei dem das Gericht und nicht der Beteiligte bestimmt, welche Beweise erforderlich sind und in welcher Weise sie erhoben werden (§§ 26, 29 Abs. 1 FamFG). Die Auswahl des Sachverständigen obliegt dem Gericht; der Beteiligte kann allenfalls Anregungen vorbringen (§§ 30 FamFG, 404 Abs. 1, 3 ZPO). Aber selbst dann, wenn man einem derartigen Ansinnen näher treten würde, bestünde keine Gewähr dafür, dass der Beteiligte sich an seine Ankündigung, mit einem ihm genehmen Sachverständigen zusammenarbeiten zu wollen, später auch tatsächlich hält. Von der Möglichkeit, ein Gutachten allein auf der Grundlage der Akten und Beiakten erstellen zu lassen, hat sich der Senat – im Einklang mit der Auffassung von Jugendamt, Vormund und Verfahrensbeiständin – keinen weiteren, zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprochen.

(bb) Aber die Weigerung der Mutter, an einer sachverständigen Begutachtung mitzuwirken, führt nicht dazu, dass das Verfahren – weil ihre Mitwirkung weder erzwungen werden kann noch aus der Weigerung Schlüsse gezogen werden dürfen – eingestellt werden müsste: Die Mutter verkennt, dass es sich bei dem Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls gerade nicht um ein Verfahren handelt, in dem etwa wie im Strafverfahrensrecht der (in dubio-) Satz “im Zweifel für den Angeklagten” gelten würde. Die Mutter ist weder angeklagt noch Gegenstand des Verfahrens. Gegenstand des Verfahrens ist vielmehr lediglich die Abklärung (und Bewertung) der dem Wohl des Kindes E… drohenden Gefahren und die Klärung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um erkannte Gefahren für das Wohl von E… abzuwenden (§ 1666 Abs. 1 BGB). Die Maßstäbe für die gebotene Sachverhaltsaufklärung sind, da möglicherweise ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht in Rede steht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), sehr hoch. Tatsächlich verlangt das Bundesverfassungsgericht (vgl. Kammerbeschluss vom 7. April 2014 – 1 BvR 3121/13, FamRZ 2014, 907 [bei juris Rz. 19]), dass bei einer Sorgerechtsentziehung das Verfahren von seiner Ausgestaltung her geeignet sein muss, um eine möglichst zuverlässige Grundlage zu treffen; aufgrund des vom Gericht gewählten Verfahrens muss gewährleistet sein, dass sich eine hohe Prognosesicherheit erzielen lässt. Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht aber auch hervorgehoben (Kammerbeschluss a.a.O. [bei juris Rz. 21]), dass umso eher auf ungesicherter Tatsachengrundlage entschieden werden kann, je schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist. Im vorliegenden Fall ist dieser Satz nach Dafürhalten des Senats dahingehend zu ergänzen, dass das Gericht zuvor alle zulässigen Möglichkeiten versucht haben muss, um sich eine möglichst breite Tatsachengrundlage in dem erforderlichen Ausmaß zu verschaffen.

Nach Auffassung des Senats entspricht das hier zu beachtende Vorgehen letztlich demjenigen, dass beispielsweise vom Familiengericht zu befolgen ist, wenn in einer Kindschaftssache der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs des Kindes nach Ausschöpfung aller zulässigerweise zu nutzenden Erkenntnisquellen weder ausgeräumt noch bestätigt werden kann: In diesem Fall ist eine Risikoabwägung unter Berücksichtigung des Kindeswohls vorzunehmen, bei der sämtliche Indizien und Hinweise, auch wenn sie nur schwach sein mögen, Eingang finden müssen (vgl. KG, Beschluss vom 5. April 2012 – 17 UF 50/12, FamRZ 2013, 46 [LSe] (Volltext nur bei juris; dort Rz. 26] sowie im Ergebnis ähnlich auch schon MünchKommBGB/Hennemann [6. Aufl. 2012], § 1671 Rn. 84; § 1684 Rn. 67). In diesem Sinne ist der Senat auch hier vorgegangen; die Risikoabwägung geht klar zugunsten des Kindes und der Gewährleistung seines Wohls aus. Das Elternrecht der Mutter hat dahinter zurückzutreten.

3. Eine andere, mildere Möglichkeit, die Gefahr abzuwenden, als der Mutter die Personensorge für das Kind zu entziehen, ist nicht ersichtlich (§ 1666a BGB):

a) Nach dem ärztlichen Befund bedarf E… einer stabilen Langzeitperspektive; weitere Wechsel der Pflegesituation sind kontraindiziert und würden die Gefahr der Entstehung einer Bindungsstörung beinhalten. Nachdem die Mutter nicht bereit ist, mit dem Jugendamt zu kooperieren und sich auf eine verlässliche Anbahnung einer Rückführungsperspektive einzulassen, sondern auf der sofortigen, bedingungslosen Rückgabe von E… besteht, gibt es keine andere Möglichkeit, als der Mutter die (Personen-) Sorge zu entziehen.

b) Nach dem Dafürhalten des Senats genügt hierfür zum derzeitigen Zeitpunkt allerdings – entgegen der Einschätzung des Familiengerichts im angegriffenen Beschluss – der Entzug allein der Personensorge. Dafür, dass die Mutter mit der Vermögenssorge für E… verbundene Pflichten verletzt (§ 1666 Abs. 2 BGB) ist nichts ersichtlich: Weder besitzt E… besonderes Vermögen wie Geld, Wertpapiere oder gar Immobilien noch ist ersichtlich, vorgetragen oder bekannt geworden, dass die Mutter ihren diesbezüglichen Pflichten nicht nachkäme. Allein die fehlende Kooperation der Mutter mit dem Jugendamt, die sich – jedenfalls derzeit – allein auf Aspekte der Personensorge bezieht, rechtfertigt noch nicht die Annahme, die Mutter werde, falls sich eine Notwendigkeit hierfür ergeben würde, auch in vermögensrechtlichen Belangen mit dem Jugendamt nicht kooperieren. Sollte sich diese Einschätzung im weiteren Verlauf als unzutreffend herausstellen, mag die Frage einer Entziehung der Vermögenssorge – die auch im Wege einer einstweiligen Anordnung verfügt werden kann – erneut geprüft werden. Die familiengerichtlich verfügte Entziehung der elterlichen Sorge insgesamt ist daher mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Mutter lediglich die Personensorge, aber nicht auch die Vermögenssorge für E… entzogen wird. Damit ist keine Vormundschaft, sondern lediglich Pflegschaft anzuordnen (§§ 1773 Abs. 1, 1909 BGB).

c) Der Entzug der Personensorge ist insgesamt betrachtet auch verhältnismäßig, weil die Mutter sich milderen Maßnahmen konsequent verschlossen hat und darauf beharrt, das Wohl der Tochter ihren egoistischen Eigeninteressen in jeder Hinsicht unterzuordnen: Jegliche Hilfsangebote des Jugendamtes L…, begonnen über die angebotene Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung über spezielle, auf die besonderen Bedürfnisse des Kindes abgestimmte Angebote wie die Krabbelgruppe für bindungsgestörte Kinder bis hin zu der Begleitung des zuletzt nur noch wenige Stunden umfassenden “Basalumgangs” wurden von der Mutter abgelehnt, verweigert oder widerrufen, so dass das Jugendamt jeweils gezwungen war, im Interesse des Kindes Maßnahmen mit einer größeren Eingriffsintensität zu ergreifen bzw. fortdauern zu lassen. Die diesbezüglichen “Mechanismen”, die insoweit bei der Mutter abzulaufen scheinen, werden bei der Umgangsfrage in besonderem Maße offensichtlich und sind dort geradezu handgreiflich: Lieber verzichtet die Mutter auf den Umgang mit ihrer Tochter als dass sie bereit wäre, im Interesse des Kindes mit dem Jugendamt zu kooperieren. Aus Sicht des Senats scheint es der Mutter wichtiger zu sein, auf ihrem vermeintlichen “Recht” zu beharren anstatt den Kontakt zu E… (wieder) anzubahnen. Bei dieser Sachlage ist ein milderes Mittel als der Entzug des Personensorgerechts nicht ersichtlich: Der Senat sieht keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, die Mutter wäre bereit, mit dem Jugendamt zu kooperieren und gemeinsam mit diesem eine kindeswohlgerechte Rückführungsperspektive zu entwickeln und umzusetzen. Die Ablehnung jeglicher Kooperation seitens der Mutter steht dem entgegen.

4. Die Beschwerde ist daher im Ergebnis mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 81 Abs. 1 FamFG: Nach dem Dafürhalten des Senats entspricht es der Billigkeit am besten, wenn in Bezug auf die Kosten – sowohl die Kosten des Beschwerdeverfahrens als auch des Rechtsbeschwerdeverfahrens – zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten differenziert wird. Von einer Erhebung von gerichtlichen Kosten ist aus Billigkeitsgründen abzusehen. Dagegen sind die außergerichtlichen Kosten von jedem Beteiligten selbst zu tragen. Die Wertfestsetzung beruht auf § 45 Abs. 1 FamGKG; es war der Regelwert für eine Kindschaftssache von 3.000 € festzusetzen. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür offensichtlich nicht vorliegen (§ 70 FamFG). Vielmehr sind alle wesentlichen, entscheidungserheblichen Fragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.

Anmerkung von Prof. Dr. Michael Coester, München (Fundstelle: FamRZ 2016, 641-647)

„Auch wenn die Entscheidung des KG im Ergebnis als alternativlos erscheinen mag, hinterlässt die Lektüre von Fallgeschichte und Entscheidungsbegründung doch gemischte Gefühle.

(1) Dies gilt schon für die Frühphase des Konflikts zwischen Mutter und Jugendamt. Immerhin hatte die Mutter schon vor der Geburt um jugendamtliche Hilfe gebeten – eine strikte und prinzipielle Ablehnungshaltung bezüglich Hilfen Dritter bestand also nicht von Anfang an (1). Eine solche Haltung hat sich aber im konkreten Kontakt mit Hilfspersonen offenbar schnell herausgebildet und verfestigt. Dabei bleibt offen, inwieweit – neben der Aufhetzung durch die Großmutter – möglicherweise auch ein autoritäres Forderungsverhalten der staatlichen Stellen (statt um Einsicht werbender Überzeugungsversuche) eine Rolle gespielt hat. Die spätere Äußerung der Mutter gegenüber dem OLG, eine Kooperation mit dem Jugendamt käme einer „Unterwerfung“ ihrerseits gegenüber diesem Amt gleich und komme deshalb nicht in Frage, deutet in diese Richtung.

Aber selbst eine unbegründete elterliche Verweigerung von Hilfsmaßnahmen und Kooperation stellt als solche noch keinen Grund für einen Eingriff in die elterliche Sorge dar – insofern ist allein das Eingriffsmerkmal der „Kindeswohlgefährdung“ (§ 1666 Abs. 1 BGB ) maßgeblich. Der vom Jugendamt und auch vom FamG offenbar in den Mittelpunkt gestellte Aspekt der mütterlichen Verweigerung von Kooperation und jugendhilferechtlicher Unterstützung befriedigt deshalb nicht – eine rechtliche Pflicht der Eltern zur Inanspruchnahme von Angeboten der Jugendhilfe besteht nicht. Es gibt auch zu denken, dass die Herausnahme des Säuglings aus dem Haushalt der Mutter nur wenige Tage nach ihrer Sorgeübernahme – retrospektiv gesehen – die dauerhafte Trennung von Mutter und Kind einleitete – mag die Mutter selbst auch Schuld an dieser Entwicklung haben.

Statt der Betonung mangelhafter mütterlicher Einsicht und Kooperationsbereitschaft hätte man sich schon in der Vorinstanz konkretere Belege für eine akute Gefährdung des Kindes gewünscht. Die Hinweise auf „große Ungeschicklichkeit und Unsicherheit“ der Mutter im Umgang mit dem Kind sowie auf den „katastrophalen Zustand“ der Wohnung befriedigen insoweit jedenfalls noch nicht. Hier hätten die besondere Verletzlichkeit von Säuglingen im Allgemeinen sowie bei pränatalen Vorschädigungen im Besonderen hervorgehoben werden müssen sowie die sich daraus ergebenden besonderen Pflege- und Behandlungsnotwendigkeiten – einschließlich der konkret und akut drohenden Schädigungen.

(2) Auch die Beschwerdeentscheidung des KG vermag – jedenfalls in der Begründung – nicht vollständig zu überzeugen. Zutreffend ist allerdings der Grundansatz, wonach eine Gefährdung des Kindeswohls nicht notwendig auf einer einzelnen Handlung oder Unterlassung beruhen muss, sondern sich auch aus zahlreichen Einzelaspekten ergeben kann, die erst in ihrer Gesamtschau den Befund einer Gefährdung zu tragen geeignet sind. Suboptimale Kindessorge oder „ein geringes Maß an elterlicher Feinfühligkeit“ (so das KG) erreichen die hohe Interventionsschwelle des § 1666 BGB noch nicht (2) – wohl aber möglicherweise im Zusammenwirken mit anderen Sorgedefiziten. Hierzu gehören aber nicht schon elterliche Entscheidungen oder Verhaltensweisen, die aus Kindessicht nicht optimal sind, aber zum legitimen Entscheidungsspektrum von Eltern gehören – wie im Ausgangsfall etwa der (schon länger geplante) Umzug der Mutter von W. nach B.; die Ablehnung des Hilfsangebots des Jugendamts (Unterbringung in Mutter-Kind-Einrichtung), um die gerade bezogene Wohnung nicht aufgeben zu müssen; Streitigkeiten mit den Pflegeeltern (ohne Angabe, worüber und von wem verursacht); mangelnde Flexibilität in der Organisation eigener Arzttermine und von Umgangsterminen mit dem Kind.

Kindeswohlrelevant sind hingegen andere Aspekte des Falles – vor allem die offenbare Unfähigkeit der Mutter, elementare Bedürfnisse des Kindes, wie insbesondere nach einer zugewandten, verlässlichen Bezugsperson, zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Jedenfalls in der Schlussphase des Konflikts zwischen Mutter und staatlichen Institutionen (Gerichte, Jugendamt) drängt sich der Eindruck auf, dass die Mutter die Kindessorge vor allem als Trophäe im Kampf mit den staatlichen Instanzen anstrebte (3). Das KG hat sich nicht nur bemüht, diesen Befund ausführlich zu belegen; es hat auch – entsprechend den Vorgaben des BVerfG (4) – die schädlichen Auswirkungen des mütterlichen Verhaltens auf das Kind als letztlich entscheidenden Aspekt im Rahmen des § 1666 BGB plausibel dargelegt (5).

(3) Weniger überzeugend ist allerdings die Parallele, die das KG zu seinem früheren Beschluss vom 5.4.20126 zieht: Dort ging es um das Entscheidungsdilemma, wenn ein sexueller Missbrauch in Frage steht, aber weder festgestellt noch ausgeschlossen werden kann: Dann dürfe auf der Grundlage einer umfassenden Risikoabwägung entschieden werden (7). Das müsse – so jetzt das KG – auch gelten, wenn das Gericht wegen der Blockadehaltung eines Elternteils den Tatbestand einer Kindeswohlgefährdung i. S. des § 1666 Abs. 1 BGB nicht vollständig aufklären kann (hier wegen der Blockadehaltung der Mutter). Der Vergleich passt nicht: Im früheren Fall ging es um die Unaufklärbarkeit einer Tatsache (Kindesmissbrauch). Im jetzt zu entscheidenden Fall ging es hingegen um die Rechtsfrage, ob aus dem erkennbaren Tatsachenmaterial auf eine „Kindeswohlgefährdung“ i. S. des § 1666 Abs. 1 BGB geschlossen werden kann. Eine solche Gefährdung ist nicht ein im Wege der Beweiserhebung feststellbares Faktum. Vielmehr enthält der Gefährdungsbegriff des § 1666 Abs. 1 BGB den generalklauselartigen Auftrag an den Richter, die allgemeinen Wertungsvorgaben des Grundgesetzes und des einfachen Rechts soweit wie möglich zu verifizieren und die Demarkationslinie zwischen Elternautonomie und staatlichem Wächteramt für diesen Einzelfall zu konkretisieren (8). Unverzichtbar ist nach den Vorgaben des BVerfG und des BGH dabei, dass sich eine (weitere) Schädigung des Kindes „mit ziemlicher Sicherheit voraussehen“ lässt bzw. mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ abzeichnet (9). Eine „Patt-Situation“ als Ergebnis der gerichtlichen Aufklärungen genügt insoweit nicht; auch begründen nur „mögliche“ oder erst „künftige Gefährdungen“ noch keine staatliche Eingriffslegitimation (10). Da jedoch das KG im Ausgangsfall die nicht nur mögliche, sondern konkrete und durch bereits eingetretene Schädigungen belegte Gefährdung des Kindes bereits dargelegt hatte, war sein zusätzlicher Verweis auf die frühere Entscheidung nicht nur verfehlt, sondern auch von vornherein überflüssig.

Prof. Dr. Michael Coester, München

Fußnoten
1) Auch im Verfahren vor dem FamG in Berlin (AmtsG Tempelhof-Kreuzberg v. 27.5.2014 – 155 F 19415/13 –, juris) hatte sich die Mutter anfangs noch gesprächsbereit gezeigt (dort Rz. 38).
2) BVerfG, FamRZ 2015, 112 Rz. 46.
3) Im Gegensatz zum Sachverhalt in BVerfG, NJW 2014, 2936 Rz. 34 ff., 41, wo die Mutter zur Kooperation bereit war.
4) FamRZ 2007, 1626, m. w. N.; FamRZ 2009, 189 f.; BVerfG, FamRZ 2015, 112 Rz. 38; vgl. auch OLG Saarbrücken, FamRZ 2008, 711, 712.
5) Insbesondere Verweis auf Bericht der Charité v. 24.3.2015; ebenso die Verfahrensbeiständin im Verfahren vor dem FamG (oben Fn. 1).
6) 17 UF 50/12 –, juris Rz. 26 = FamRZ 2013, 46 [LSe].
7) Dazu auch Staudinger/Coester, BGB, 2016, § 1671 Rz. 201a.
8) Staudinger/Coester [Fn. 7], § 1666 Rz. 82, 83.
9) BVerfG, NJW 2014, 2936 Rz. 29; BGH, FamRZ 1956, 350; FamRZ 2012, 99 Rz. 25.
10) BVerfG, FF 2014, 295 Rz. 34 f. = FamRZ 2014, 1005 [LS.]; FamRZ 2014, 907 Rz. 28; FamRZ 2014, 1772 Rz. 31 f.

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