OLG Bremen, Beschluss vom 29.02.2016 – 5 UF 5/16

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Beschluss
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für …

hat der 5. Zivilsenat – Senat für Familiensachen – des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht L., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht von G.

am 29.02.2016 beschlossen:

Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Bremen-Blumenthal vom 17.12.2015 sowie ihr Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden zurückgewiesen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Auf Antrag des Jugendamtes vom 02.12.2015 (BI. 1 ff. d. A.) hat das Familiengericht mit Beschluss vom selben Tag (BI. 12 ff. d. A.) der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht, öffentliche Hilfen zu beantragen, für … vorläufig entzogen und diese Teilrechte der Personensorge dem Jugendamt Bremen als Pfleger übertragen. Das Kind wurde daraufhin vom Jugendamt in Obhut genommen und ist seitdem fremdplatziert. Das Amtsgericht hörte … am 15.12.2015 (BI. 31 d. A.) persönlich an. Nach mündlicher Erörterung vom 17.12.2015 (BI. 44 ff. d. A.) hielt das Familiengericht mit Beschluss vom selben Tag (BI. 39 ff. d. A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, den Beschluss vom 02.12.2015 im Wege einstweiliger Anordnung aufrecht.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Kindesmutter mit ihrer am 29.12.2015 eingelegten Beschwerde, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Rückgabe ihres Kindes erreichen will. Sie macht geltend, dass eine akute Kindeswohlgefährdung nicht zweifelsfrei nachgewiesen sei und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt sei.

Es wurde dem Kind eine Verfahrensbeiständin bestellt. Aus ihrem Bericht ergibt sich, dass … von vielfachen Schlägen der Eltern berichtet und die Eltern solche, wenn auch in abgeschwächter Form, ihr gegenüber eingeräumt hätten.

Im Hauptsacheverfahren zur Gesch.-Nr. 71 a F 20/16 hat das Familiengericht die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens u. a. zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter veranlasst, dessen Ergebnis noch aussteht.

II.

Die statthafte (§§ 57 S. 2, 58 FamFG), form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindesmutter ist zulässig aber unbegründet.

Das Amtsgericht hat zu Recht der Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung wesentliche Teile der elterlichen Sorge für ihren Sohn … als gerichtliche Maßnahme gem. § 1666 BGB entzogen.

Gemäß §§ 1666, 1666a BGB kann das Familiengericht immer dann, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, Maßnahmen bis hin zur Entziehung der Personensorge treffen. Die Trennung eines Kindes von den sorgeberechtigten Eltern darf nach § 1666a Abs. 1 BGB nur erfolgen, wenn das Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht hat, dass das Kind in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist und dieser Gefahr nicht auf andere Weise — auch nicht durch öffentliche Hilfen — begegnet werden kann (BVerfG, FamRZ 2002, 1021). Ein Sorgerechtsentzug mit dem Ziel einer Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß §§ 49, 157 Abs. 3 FamFG erfordert zudem die zeitliche Nähe einer schweren Kindeswohlgefahr, die ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung ausschließt (BVerfG, FamRZ 2014, 907 Rn. 26).

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die angefochtene Entscheidung auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Kindesmutter in der Beschwerdeinstanz nicht zu beanstanden.

Die Aufrechterhaltung der Sorgerechtsentziehung bezüglich … wurde damit begründet, dass aus seinen Aussagen deutlich geworden sei, dass er unter der durch seine Mutter ausgeübten Gewalt leidet. Er habe auch nicht den Willen, schnell zu seiner Mutter zurück zu kehren.

In der Anregung des Jugendamtes vom 02.12.2015 war angeführt worden, dass die Schule, die … und sein jüngerer Halbbruder … besuchen, gemeldet habe, dass beide Kinder unabhängig voneinander von erneuten und immer wiederkehrenden körperlichen Übergriffen der Eltern berichteten. So habe … erzählt, dass der Vater, nachdem sie zu diesem ca. sechs Wochen keinen Kontakt gehabt hatten, ohne Vorankündigung … und ihn aus der Schule abgeholt habe. Darüber habe er sich zunächst sehr gefreut, am Abend habe ihn der Kindesvater jedoch auf den Kopf geschlagen. Am 01.12.2015 berichtete die Schule davon, dass … erzählt habe, er sei von seiner Mutter an diesem Morgen zweimal mit dem Besen auf den Kopf geschlagen worden. In der gerichtlichen Anhörung erster Instanz und bei der Verfahrensbeiständin hatte … von wiederkehrenden Schlägen durch die Eltern berichtet. Gegenüber dem Amtsrichter hatte er erklärt, dass seine Mutter ihn seit fast fünf Jahren fast jeden Tag schlage. Er wolle gern länger in der Einrichtung bleiben, denn er sei ein bisschen froh, dass er von den Eltern weg sei.

Aus diesen Angaben ergibt sich ohne weiteres, dass eine akute Kindeswohlgefährdung, nämlich bereits eine Verletzung des Kindeswohls vielfach eingetreten ist. Das körperliche und seelische Wohl des Kindes wird durch die Schläge der betreuenden Mutter unmittelbar beeinträchtigt. In diesem Fall beschreibt die Schule deutliche Verhaltensauffälligkeiten …, so dass möglicher Weise sein seelisches Wohl schon nachhaltig Schaden genommen hat.

Dagegen spricht auch nicht der Beschwerdevortrag, in dem die Schläge durch die Mutter bezeichnender Weise nicht bestritten werden, sondern lediglich darauf hingewiesen wird, die Kindeswohlgefährdung sei nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Die übereinstimmenden Angaben der Kinder gegenüber Lehrern, der Verfahrensbeiständin und dem Amtsrichter lassen bei dem Senat keinerlei Zweifel an deren Richtigkeit aufkommen. Dabei spielt es auch keine Rolle, an wie vielen Tagen in der Woche und mit welcher Heftigkeit die Schläge ausgeteilt wurden, da jedenfalls feststeht, dass … darunter so stark leidet, dass er sich erneut Hilfe außerhalb des Elternhauses holen musste.

Die Maßnahme ist auch verhältnismäßig, da ohne die im Hauptsacheverfahren durch das zu erwartende Sachverständigengutachten zu gewinnenden näheren Erkenntnisse nicht festgestellt werden kann, ob und ggf. welche Hilfemaßnahmen eine das Kindeswohl nicht gefährdende künftige Betreuung und Versorgung des Jungen durch die Kindesmutter ermöglichen können. Denn im Jahr 2014 wurden die drei älteren Kinder der Familie bereits einmal in Obhut genommen, nachdem sie von den Eltern regelmäßig körperlich gezüchtigt worden waren, was die Eltern auch eingeräumt hatten. Im Anschluss an die Rückführung der Kinder nach dieser Inobhutnahme hatte die Familie sozialpädagogische Familienhilfe erhalten. Trotzdem ist es zu wiederholten und regelmäßigen erneuten körperlichen Züchtigungen gekommen.

Die Kindesmutter hat auch während der Fremdunterbringung der Kinder bis zur Erstellung des Sachverständigengutachtens in der Hauptsache einen Anspruch auf regelmäßigen Umgang, der nach Ansicht des Senats, bei dem vorliegenden Alter des Kindes, eine Entfremdung … gegenüber seiner Mutter weitgehend verhindern wird. Ein milderes Mittel zum Schutz des Kindes als die Trennung von der Mutter, ist für das Gericht ohne gutachterliche Stellungnahme nicht ersichtlich.

Dabei berücksichtigt das Gericht auch den Einwand der Beschwerde, … könnte vorübergehend beim Vater seiner Geschwister, der für ihn auch der soziale Vater ist, leben. Aus den Aussagen der Kinder und des Vaters selbst gegenüber der Verfahrensbeiständin wird deutlich, dass auch der Vater die Kinder, wenn auch weniger häufig als die Mutter, geschlagen hat. … berichtete davon, dass ihn der Vater mit einem Handbesen geschlagen habe. … berichtete davon, dass der Vater voller Wut zuschlage, wenn er sauer sei. Der Vater selbst empfindet nach seinen Angaben gegenüber der Verfahrensbeiständin nicht die Schläge als Problem für die Kinder, sondern den Streit der Eltern. Damit verkennt er in den Augen des Senats, dass die Kinder eben gerade doch unter der gegen sie verübten Gewalt leiden.

Es ist nicht ersichtlich, dass es andere geeignete Familienmitglieder gibt, die, wie in der Beschwerde zwar angeführt aber nicht namentlich benannt, bereit gewesen wären, das Kind aufzunehmen.

Der Senat konnte gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von der Durchführung eines Termins absehen, weil erst am 17.12.15 ein Erörterungstermin mit persönlicher Anhörung der Kindeseltern beim Familiengericht stattgefunden hat und von der erneuten Durchführung eines Termins keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Aus eben diesem Grund wurde von einer Anhörung des Kindes abgesehen, das zuletzt am 15.12.2015 richterlich angehört wurde. In der gerichtlichen Anhörung und im Gespräch mit der Verfahrensbeiständin berichtete … von den körperlichen Züchtigungen durch die Eltern. Eine weitere Wiederholung ist dem Jungen im Hinblick auf den nicht zu erwartenden Erkenntnisgewinn nicht zuzumuten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs.1, 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1 S. 1, 41, 45 Abs, 1 Nr. 1 FamGKG.

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