OLG Bremen, Beschluss vom 22.03.2016 – 4 WF 2/16

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Geschäftszeichen: 4 WF 2/16 = 62 F 3721/12 Amtsgericht Bremen

Beschluss
in der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für …

hat der 4. Zivilsenat – Senat für Familiensachen – des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. als Einzelrichterin

am 22.3.2016 beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts — Familiengericht – Bremen vom 3.12.2015 wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Es liegt ein Verfahren wegen Kindeswohrgefährdung gemäß § 1666 BGB vor. Die Kindeseltern haben Zwillingssöhne, die am … geborenen … und …, die seit der Trennung der Eltern im Jahre 2007 zusammen mit der Kindesmutter in Bremen leben, während der Kindesvater weiterhin in Hamburg wohnhaft ist. Nach Scheitern eines Vermittlungsverfahrens nach § 165 FamFG im Oktober 2012 hat das Amtsgericht — Familiengericht — Bremen ein Verfahren nach § 1666 BGB eröffnet, da der Kindesvater Misshandlungen von … durch die Kindesmutter behauptet hat. Mit Beschluss vom 28.11.2012 hat das Amtsgericht die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den Fragen beschlossen, wo sich die Kinder künftig aufhalten sollten, ob insbesondere eine Fremdplatzierung aus Kindeswohlgründen angezeigt sei und wenn nicht, bei welchem Elternteil … und/oder … leben sollten. Außerdem sollte die Frage beantwortet werden, wie der Umgang mit dem jeweils anderen Elternteil ausgestaltet werden sollte. Der mit der Gutachtenerstellung beauftragte Diplom-Psychologe W. hat im Jahre 2013 eine ergänzende Begutachtung durch einen entsprechend spezialisierten Arzt hinsichtlich der Frage vorgeschlagen, ob … unter Klaustrophobie leide. Mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 23.10.2013 ist angeordnet worden, dass in Ergänzung des Beweisbeschlusses vom 28.11.2012 ein psychiatrisches Gutachten zu der Frage eingeholt werden soll, ob … an einer klinisch relevanten Klaustrophobie leidet oder in der Vergangenheit litt. Sollte eine solche Störung bei ihm diagnostiziert werden, solle geklärt werden, ob diese Störung ursächlich auf ein eventuelles Einsperren des Kindes durch die Kindesmutter zurückzuführen sei. Mit der Begutachtung ist Dr. D., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im Klinikum Bremen-Ost, beauftragt worden. Der gegen diesen Sachverständigen am 6.3.2014 vom Kindesvater eingereichte erste Befangenheitsantrag war unzulässig (vgl. Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 10.7.2014 — 4 WF 72/14).

Das Gutachten des Sachverständigen Dr. D. datiert vom 15.6.2015 und ist dem Kindesvater am 1.7.2015 mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen zugestellt worden. Am 17.7.2015 hat der Kindesvater die Ablehnung des Sachverständigen Dr. D. wegen Besorgnis der Befangenheit beantragt. Zur Begründung dieses Befangenheitsantrags hat er insbesondere geltend gemacht, das Gutachten vom 15.6.2015 sei mit mangelnder Sorgfalt erstellt worden. Dies ergebe sich aus der von ihm eingeholten methodenkritischen Stellungnahme des Sachverständigen Professor Dr. H. D. vom 7.8.2015 (131. 297 ff. d.A.).

Das Amtsgericht — Familiengericht — Bremen hat mit Beschluss vom 3.12.2015 das Gesuch des Kindesvaters, den Sachverständigen Dr. D. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, zurückgewiesen. Gegen diesen, ihm am 8.12.2015 zugestellten Beschluss hat der Kindesvater am 22.12.2015 beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen Beschwerde eingelegt und zur Begründung dieser Beschwerde am 21.1.2016 weiter vorgetragenen.

II.

1.
Die statthafte (§ 30 Abs. 1 FamFG, § 406 Abs. 5 ZPO), form— und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 3.12.2015 ist zulässig.

Während das erste Ablehnungsgesuch des Kindesvaters bereits unzulässig, weil verfristet war, scheitert das vorliegende nicht an der Regelung des § 406 Abs. 2 ZPO. Eine Ablehnung im Sinne des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO deshalb möglich, weil der Kindesvater die Ablehnung insbesondere auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens stützt, das ihm erst am 1.7.2015 mit Gelegenheit zur Stellungnahmen binnen drei Wochen übersandt worden ist. In einem derartigen Fall ist dem Beteiligten eine nach Kenntnisnahme vom Gutachten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles angemessene Überlegungsfrist zuzugestehen, innerhalb derer er das Ablehnungsgesuch anbringen muss. Ob diese Überlegungsfrist der vom Gericht eingeräumten Stellungnahmefrist entspricht oder kürzer sein sollte (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 30 Rn. 104), kann hier offen bleiben, da das Ablehnungsgesuch des Kindesvaters bereits am 17.7.2015 und damit zeitnah bei Gericht eingegangen ist.

2.
Das somit form- und fristgerecht angebrachte Ablehnungsgesuch, das auch durch die Vorlage der schriftlichen Stellungnahme des Prof. Dr. D. hinreichend substantiiert worden ist, ist aber unbegründet. Die Amtsrichterin hat das Befangenheitsgesuch des Kindesvaters gegen den Sachverständigen Dr. D. zu Recht zurückgewiesen.

a) Ein Befangenheitsgesuch gegen einen Sachverständigen ist gemäß §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 ZPO aus denselben Gründen gegeben, die für die Ablehnung eines Richters gelten (vgl. Keidel/Sternal, a.a.O., § 30 Rn. 101). Wie bereits vom Amtsgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, reicht es für die Annahme einer Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich aus, wenn bei dem ablehnenden Beteiligten (hier dem Kindesvater) der Anschein einer Parteilichkeit geweckt wird. Dieser Anschein muss sich allerdings auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (so auch KG, FamRZ 2016, 483). Inhaltliche Mängel einer gutachterlichen Äußerung oder mangelnde Sachkunde des Sachverständigen sind grundsätzlich nicht geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen (BGH, NJW 2005, 1869 sowie NJW-RR 2011, 1555; OLG Karlsruhe, MDR 2010, 230). Mängel der Begutachtung können allenfalls dann Zweifel an der Neutralität des Sachverständigen rechtfertigen, wenn sie nach Art oder Häufung den Eindruck einer sachwidrigen Voreingenommenheit des Sachverständigen erwecken (OLG Brandenburg, FamRZ 2015, 68 m.w.N.). Ob die von einem Verfahrensbeteiligten im Rahmen des von ihm angestrengten Befangenheitsverfahrens gegen den Sachverständigen vorgebrachten Einwendungen inhaltlich zutreffen und ob das Gutachten verwertbar ist, ist somit nicht im Rahmen der Befangenheitsprüfung, sondern vielmehr im Rahmen der Sachentscheidung selbst zu klären (OLG Frankfurt, FamRZ 2015, 1414). Auch das Kammergericht weist in seiner vorgenannten Entscheidung vom 8.10.2015 unter Bezugnahme auf höchstrichterliche bzw. obergerichtliche Rechtsprechung zutreffend darauf hin, dass ein Befangenheitsgesuch gegen einen Sachverständigen gerade kein Mittel zur Fehlerkontrolle des Sachverständigengutachtens ist. Das Verfahrensrecht habe den Beteiligten mit den §§ 411, 412 ZPO ausreichende Mittel an die Hand gegeben, fehlerhafte Bewertungen, mangelnde Sorgfalt und Unvollständigkeiten eines Gutachtens zu beseitigen. Die auf derartige Mängel gestützte Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit sei dagegen nicht das geeignete Instrumentarium (FamRZ 2016, 483).

b) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Rechtsgrundsätze hat sich das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zum 3.12.2015 zu Recht nicht im Rahmen des vorliegenden Zwischenverfahrens über die Befangenheit des Sachverständigen Dr. D. mit den Ausführungen in der methodenkritischen Stellungnahme des Prof. Dr. D. inhaltlich im Einzelnen auseinandergesetzt. Es hat den Beschwerdeführer zutreffend darauf hingewiesen, dass eine derartige Kontrolle des gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens im Rahmen der Hauptsacheentscheidung durchzuführen ist.

Entgegen der vom Kindesvater vertretenen Auffassung gibt es hier auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eventuelle Fehler, die dem Sachverständigen Dr. D. nach den Ausführungen des Prof. Dr. D. unterlaufen sein sollen, die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen begründen könnten, weil sie nach Art und Häufung den Eindruck einer sachwidrige Voreingenommenheit des Sachverständigen gegenüber dem Kindesvater erwecken.

Der von Prof. Dr. D. in seiner Stellungnahme vom 7.8.2015 ausgeführten Methodenkritik, so z.B. hinsichtlich der unterbliebenen Wiedergabe von Fragen und der Wiedergabe von Antworten in indirekter Rede statt in direkter, unterbliebene Konzentration der Untersuchung nur auf die Angst des Kindes vor geschlossenen Räumen, Durchführung von testpsychologischen Untersuchungen, die sich nicht speziell auf Klaustrophobie beziehen etc., kann schon kein Mangel entnommen werden, der sich einseitig zulasten des Kindesvaters auswirkt und daher bei diesem einen Anschein der Befangenheit des Sachverständigen ihm gegenüber auslösen kann.

Auch die Tatsache, dass die Angaben der Kindesmutter nicht neutral sind, sondern geprägt durch den jahrelang ausgetragenen Familienkonflikt, ist — entgegen der Auffassung des Prof. Dr. D. — auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Gutachten jedem Verfahrensbeteiligten klar. Die Gelegenheit, seine — ebenso subjektive — Sicht der Situation von … darzustellen, hat der Kindesvater nicht genutzt, da er die Teilnahme an der Begutachtung abgelehnt hat. Diese Verweigerung der Mitwirkung kann nicht zur Unverwertbarkeit der Angaben der mitwirkenden übrigen Verfahrensbeteiligten führen, wie Prof. Dr. D. auf Seite 5 oben seiner Stellungnahme vom 7.8.2015 anzunehmen scheint.

Sofern es auf Seite 5 in der methodenkritischen Stellungnahme vom 7.8.2015 weiter heißt, das Gerichtsgutachten vom 15.6.2015 enthalte „Anzeichen von selektiver Informationsnutzung, die auf Befangenheit bzw. mangelnde Neutralität des Sachverständigen hinweisen könnten“, sind diese Ausführungen ebenfalls nicht dazu geeignet, der Beschwerde des Kindesvaters zum Erfolg zu verhelfen. Hier wird verkannt, dass die auf Seite 5 der Stellungnahme genannten Behauptungen des Kindesvaters, … habe – ausgelöst durch sein von der Kindesmutter mehrfach praktiziertes Einsperren ins Bad – während der Kindergartenzeit vermehrt unter Panikattacken und klaustrophobischen Verhaltensweisen gelitten, Grund für die Ergänzungsbegutachtung sind. Die Richtigkeit dieser Behauptungen des Kindesvaters gilt es mithilfe des Gutachtens des Sachverständigen Dr. D. zu überprüfen. Der in der Stellungnahme vom 7.8.2015 auf Seite 5 zu findende Satz, „diese Angaben aus der Vorgeschichte werden nicht berücksichtigt“, ist unzutreffend. Auch die dann folgenden Ausführungen zur weiteren Beweisfrage nach der Ursache für die festgestellte Störung, die der Gerichtssachverständige nicht beantwortet habe, erscheinen nicht nachvollziehbar. Weil der Gerichtssachverständigen keine klaustrophobische Störung bei … diagnostiziert hat, was er unter der zweiten Beweisfrage noch einmal wiederholt, kann er logischerweise auch keine Ursache für die nicht vorhandene Störung benennen. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die Ausführungen in der methodenkritischen Stellungnahme vom 7.8.2015 nicht dazu geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen Dr. D. zu begründen. Ob die methodischen Mängel vorliegen und das Gutachten inhaltlich richtig und verwertbar ist, ist im Rahmen der Sachentscheidung zu prüfen, wie vom Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt.

Sofern der Kindesvater selbst in seiner Beschwerdebegründung vom 21.1.2016 aus einem Buch des Diplom-Psychologen Dr. Dr. Josef Salzgeber zitiert, um hiermit den Anschein der Befangenheit des Gerichtssachverständigen zu belegen, liegen die dortigen Ausführungen neben der Sache. Von Herrn Dr. Dr. Salzgeber wird in dem Buchausschnitt nicht die Behauptung aufgestellt, dass jegliche fahrlässigen Versäumnisse des Sachverständigen bei der Gutachtenerstellung einen Befangenheitsgrund darstellen. Der Autor befasst sich — so bereits die Überschrift „5. Die Verpflichtung, sorgfältig zu handeln“ — vielmehr nur mit der Frage, wann nach seiner Auffassung von fahrlässigem Verhalten des Sachverständigen bzw. von einem „Kunstfehler“ auszugehen ist. Soweit in dem vorgelegten Buchausschnitt überhaupt auf das Thema Befangenheit eingegangen wird, geschieht dies nur durch einen pauschalen Hinweis darauf, dass nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg aus dem Jahre 1991 „fehlende Sorgfalt“ ein möglicher Befangenheitsgrund sein könne. In dieser Entscheidung geht es aber nicht um behauptete inhaltliche Mängel eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, sondern um die im konkreten Fall als begründet angesehene Besorgnis der Befangenheit eines Richters, der sich bei der Verfahrensführung so sehr von dem normalerweise geübten prozessualen Vorgehen entfernt hatte, dass bei der dadurch betroffenen Partei der Eindruck sachwidriger Voreingenommenheit habe entstehen können (vgl. FamRZ 1992, 192). Dieser Sachverhalt ist mit der vorliegenden Fallkonstellation in keiner Weise vergleichbar. Gleiches gilt für die vom OLG Karlsruhe entschiedene Fallkonstellation (vgl. MDR 2010, 230), bei der dem Sachverständigen bei der Sachverhaltsaufnahme etliche eklatante Fehler unterlaufen waren, so dass das OLG Karlsruhe den den Befangenheitsantrag ablehnenden landgerichtlichen Beschluss aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Landgericht zurückverwiesen hatte. In Art und Anzahl vergleichbare Fehler sind dem Sachverständigen Dr. D. im vorliegenden Verfahren selbst nach dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht unterlaufen.

3.
Die Bewilligung der vom Kindesvater für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 3.12.2015 beantragten Verfahrenskostenhilfe kommt schon allein deshalb nicht in Frage, weil für seine Beschwerde aus den vorstehenden Gründen keine Erfolgsaussicht besteht (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 114 ZPO).

gez. Dr. R.

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