OLG Bremen, Beschluss vom 08.12.2009 – Az.: 4 UF 86/09

Zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil, wenn eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern nicht mehr besteht und ein persönliches Gespräch zwischen ihnen nicht mehr möglich ist

OLG Bremen 4 UF 86/09 (69 F 1756/08 Amtsgericht Bremen)

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Beschluss

In der Familiensache

betreffend den mdj. X, geb. am .. 2005

Amt für Soziale Dienste, Sozialzentrum Gröpelingen/Walle, Hans-Böckler-Str. 9, 28217 Bremen, Geschäftszeichen:
Antragsteller,

XXX
Kindesmutter,

xxx
Kindesvater,

Beteiligte:
Amt für Soziale Dienste

hat der 4. Zivilsenat – Senat für Familiensachen – des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht X, die Richterin am Oberlandesgericht X und die Richterin am Oberlandesgericht X am 08.12.2009 beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremen vom 10.09.2009 wird zurückgewiesen.

2. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Kindesvater auferlegt.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kindeseltern waren miteinander verheiratet. Ihre Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – vom 26.11.09 (Gesch.-Nr. 69 F 3409/08) geschieden. Aus der Ehe ist das am X.X.2005 geborene Kind X hervorgegangen, das bei der Mutter lebt.

Nach der Trennung im Dezember 2007 schlossen die Eltern am 20.02.2008 vor dem Amtsgericht Wilhelmshaven (Gesch.-Nr. 16 F 925/07 SO) eine Vereinbarung über den Umgang zwischen Vater und Sohn. Gleichzeitig wurde der Kindesmutter mit Zustimmung des Kindesvaters durch Beschluss des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 20.02.2008 (Gesch.-Nr. 16 F 925/07 SO) das Aufenthaltsbestimmungsrecht für X übertragen (s. BI. 6 d.A.).

Durch Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremen vom 03.06.2008 (Gesch.-Nr. 69 F 1608/08) wurden gegen den Kindesvater Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz erlassen, weil er die Kindesmutter tätlich angegriffen hatte. Die bis zum 02.12.2008 befristeten Maßnahmen wurden dann durch Beschluss des Familiengerichts vom 02.12.2008 bis zum 02.06.2009 verlängert, nachdem der Kindesvater gegen das ausgesprochene Kontaktverbot verstoßen hatte. Wegen weiterer Verstöße gegen die vom Familiengericht getroffenen Anordnungen wurde gegen den Kindesvater durch Beschluss des Familiengerichts vom 05.02.2009 (Gesch.-Nr. 69 F 1608/08) ein Ordnungsgeld festgesetzt.

Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Bremen – Strafrichter – vom 10.12.2008 (Gesch.-Nr. 93 Ds 150 Js 36376/08) wurde der Beklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt (s. BI. 92 ff. d.A.), weil er die Kindesmutter im Zeitraum Februar 2007 bis Juni 2008 beleidigt, bedroht und wiederholt tätlich angegriffen und dabei verletzt hatte. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Im Juni 2008 stellte die Kindesmutter den Antrag, ihr die gesamte elterliche Sorge für X zu übertragen.

Das Familiengericht hat nach Anhörung der Eltern, der Verfahrenspflegerin und des Jugendamtes durch Beschluss vom 10.09.2009 (BI. 113 ff. d.A.) der Kindesmutter die elterliche Sorge für X insgesamt übertragen. Hiergegen wendet sich der Kindesvater mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Die gem. §§ 621e I, III, 621 I Nr. 1 ZPO zulässige Beschwerde des Vaters hat in der Sache keinen Erfolg. Das Familiengericht hat zu Recht der Kindesmutter unter (konkludenter) Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 20.02.2008 die gesamte elterliche Sorge für X übertragen. Der Senat schließt sich der Entscheidung des Familiengerichts an. Er folgt dem Familiengericht in allen in dem angefochtenen Beschluss angesprochenen Punkten.

Wenn – wie hier durch Beschluss des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 20.02.2008 – eine Entscheidung zur elterlichen Sorge bereits getroffen worden ist, kann die Entscheidung nach § 1696 BGB abgeändert werden, und zwar unabhängig davon, ob sie auf einem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern beruht (vgl. BGH FamRZ 1993, 314; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 2055; Staudinger/Coester (2006) § 1696 Rdnr. 54), wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Dies ist hier der Fall.

Nach Abschluss des vor dem Amtsgericht Wilhelmshaven geführten Verfahrens hat der Kindesvater ausweislich der im Strafverfahren getroffenen Feststellungen die Kindesmutter am 01.06.2008 erneut tätlich angegriffen und wiederholt auf das Übelste beschimpft und bedroht (s. Bl. 92, 94 f. d.A). Auch in der Folgezeit hat er seine verbalen Attacken gegen die Kindesmutter fortgesetzt (s. Protokoll vom 08.01.2009, BI. 86 ff. aus dem Gewaltschutzverfahren, Gesch.-Nr. 69 F 1608/08), so dass Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz angeordnet werden mussten. Die Kindeseltern sind nicht in der Lage einander zu begegnen, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung kommt. Dies zeigt beispielhaft der Vorfall anlässlich eines zufälligen Zusammentreffens der Eltern am 14.06.2009 in der Straßenbahn (s. Sitzungsniederschrift des Senats vom 27.11.2009 – BI. 173, 174 d.A.).

Hinzu kommt, dass der Kindesvater die Erziehungskompetenz der Kindesmutter in Frage stellt und sie mit Vorwürfen überzieht. So hat sich der Kindesvater nach den Angaben der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes, Frau X, während des gesamten Verfahrens fast wöchentlich an sie gewandt und behauptet, die Kindesmutter vernachlässige den gemeinsamen Sohn, indem sie X nicht zum Arzt bririge, wenn er krank sei, dass er zu kleine und schmutzige Kleidung trage etc. (s. Stellungnahme vom 30.03.2009 – BL 84 d.A. -, vom 16.10.2009 — BI. 145 d.A. – und Protokoll des Amtsgerichts vom 16.07.2009 – BI. 98 ff. d.A.); außerdem behauptete er, dass die Mutter mit ihrem jetzigen Lebensgefährten Drogen und übermäßigen Alkohol konsumiere. Keine der vom Kindesvater erhobenen Vorwürfe haben sich jedoch bestätigt. Die vom Kindesvater immer wieder vorgebrachten Anschuldigungen haben allerdings dazu geführt, dass die Kindesmutter nicht mehr wusste, wie sie sich verhalten soll. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes berichtete (s. Protokoll des Amtsgerichts vom 16.07.2009 – BI. 99 d.A.), dass die Kindesmutter beispielsweise gefragt habe, ob sie auch bei kleineren Verletzungen des Kindes sofort einen Arzt aufsuchen müsse, um sich nicht neuen Vorwürfen seitens des Kindesvaters auszusetzen. Obgleich der Einsatz einer Familienhelferin aufgrund der uneingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter nicht notwendig gewesen wäre, hat ihr das Jugendamt Anfang Juli 2009 eine Familienhelferin zur Seite gestellt, um der Verunsicherung auf Seiten der Kindesmutter zu begegnen.

Die Kindesmutter fürchtet, auch künftig vom Kindesvater beschimpft, bedroht und mit unberechtigten Vorwürfen überzogen zu werden, wie sie in der Anhörung vor dem Senat zu erkennen gegeben hat. Diese Ängste sind aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Senat vom Kindesvater während der Anhörung gewonnen hat, sowie im Hinblick auf das im Gewaltschutzverfahren und im Strafverfahren dokumentierte aggressive Verhalten des Kindesvaters der Mutter gegenüber auch nicht unbegründet. Dass der Kindesvater seine feindselige Haltung nach wie vor nicht abgelegt hat, lassen die Schriftsätze und die gegen die Mutter gerichteten abwertenden Äußerungen des Kindesvaters während der Anhörungen vor dem Amtsgericht und vor dem Senat sowie die vom Kindesvater an eine Freundin der Kindesmutter gerichteten E-Mails vom 06.11.2009 (BI. 179 d.A.) erkennen. Unter diesen Umständen ist eine Kommunikation zwischen den Eltern nicht mehr möglich. Der Senat ist davon überzeugt, dass dies auch künftig nicht möglich sein wird, solange der Kindesvater sein bisheriges Verhalten der Mutter gegenüber nicht ändert. Wenn – wie hier – eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern nicht mehr besteht (und zwar weder auf der Paar- noch auf der Elternebene) und ein persönliches Gespräch zwischen ihnen nicht mehr möglich ist, dann sind die Grundvoraussetzungen für die gemeinsame elterliche Sorge nicht mehr gegeben (vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 1015; BGH, FamRZ 2008, 592, 598). In einem solchen Fall widerspricht deren Aufrechterhaltung dem Kindeswohl (BGH, FamRZ 1993, 314, 316). Das Amtsgericht hat daher zu Recht die Entscheidung des Amtsgerichts Wilhelmshaven (konkludent) abgeändert und der Mutter die gesamte elterliche Sorge für Andalla übertragen. Die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf die Mutter ist im Interesse des Kindes auch dringend geboten, damit sie in Bezug auf die Erziehung des Kindes die hierfür notwendige Selbstsicherheit wieder zurückgewinnt.

Auch das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin, die zu Beginn des Verfahrens auf den Antrag der Mutter zunächst mit Zurückhaltung reagiert haben, befürworten aufgrund des vom Vater gezeigten Verhaltens nunmehr uneingeschränkt die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf die Mutter.

Entgegen der Ansicht des Kindesvaters spricht für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht der Umstand, dass die Eltern in der Vergangenheit das Umgangsrecht des Vaters einvernehmlich geregelt haben. Die vor dem Amtsgericht Bremen am 07.11.2008 getroffene Umgangsvereinbarung, in der sich die Eltern darauf verständigt haben, dass der Kindesvater X an den Besuchswochenenden am Freitagmittag vom Kindergarten abholt und ihn am Montagmorgen wieder zum Kindergarten bringt, war notwendig geworden, nachdem der Kindesvater nach einem Besuchswochenende anlässlich der Übergabe des Kindes die Mutter angespuckt hatte. Mit dieser Regelung sollte (und soll) sichergestellt werden, dass sich die Eltern bei der Kindesübergabe nicht mehr persönlich begegnen; dies hat der Kindesvater selbst eingeräumt. Was die anlässlich der Krankenhausaufenthalte der Kindesmutter getroffenen Absprachen anbelangt, sind diese über die Anwälte der Eltern erfolgt. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Eltern ohne Probleme in der Lage sind, einvernehmliche Regelungen zu treffen, wie dies der Kindesvater in der Beschwerdeschrift darzustellen versucht.

Der Einwand des Kindesvaters, es stünden derzeit keine wichtigen Entscheidungen an, greift ebenfalls nicht, da beispielsweise im Bereich der Gesundheitsfürsorge kurzfristig wichtige Entscheidungen zu treffen sein können, die eine ausreichende Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern erfordern. Auch der Hinweis des Kindesvaters auf die Vorschrift des § 1628 BGB ändert nichts an der Bewertung des Senats. Denn es kann nicht im Interesse des Kindes sein, dass das Gericht bei allen möglichen Fragen nach § 1628 BGB angerufen wird, was aufgrund des Verhaltens des Kindesvaters zu erwarten ist.

Der Senat hat von einer Anhörung X in der Beschwerdeinstanz abgesehen, weil aus einer Anhörung des erst vier Jahre alten Kindes keine für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Denn es steht außer Frage, dass die Eltern nicht mehr dazu in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, dass sie sich keinerlei Vertrauen mehr entgegen bringen und dass es dem Kindesvater an jeglichem Respekt der Mutter gegenüber fehlt und es daher für eine gemeinsame elterliche Sorge keine Basis mehr gibt.

Die Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 13a 1 S. 2 FGG. Gerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht entstanden (§ 131 III KostO).

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