OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2015 – II – 5 UF 254/14
42 F 151/13 AG Langenfeld
Oberlandesgericht Düsseldorf
BESCHLUSS
In der Familiensache
betreffend das minderjährige Kind …, geboren am …,
an der beteiligt sind:
…
hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. S.-F., den Richter am Oberlandesgericht G. und die Richterin am Oberlandesgericht B.-C. auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2015 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der am 9. Oktober 2014 erlassene Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Langenfeld (42 F 151/13) aufgehoben.
Der Kindesmutter wird nach Rückkehr von … in ihren Haushalt aufgegeben, unangemeldete Hausbesuche des Jugendamtes Langenfeld zu dulden.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens findet nicht statt.
Es bleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.
Gründe:
I.
Die am …. 2013 geborene … ist das nichteheliche Kind der Beteiligten zu 1) und 2). Die Kindeseltern haben keine gemeinsame Sorgerechtserklärung abgegeben. Das Kind lebte nach seiner Geburt mit seinen Eltern zusammen in einem gemeinsamen Haushalt in Langenfeld.
Nachdem … am 06.09.2013 vom Wickeltisch gefallen war, wurde bei dem sich anschließenden stationären Aufenthalt in der Uniklinik Köln vom 06.09.2013 bis 08.09.2013 der Verdacht eines Schütteltraumas diagnostiziert. Wegen des Verdachts einer Kindesmisshandlung wurde … am 13.09.2013 seitens des Jugendamtes in Obhut genommen und befindet sich seitdem in einer Bereitschaftspflegefamilie.
Durch Beschluss vom 16.09.2013 (42 F 143/13 – Amtsgericht Langenfeld) hat das Amtsgericht – ohne vorherige mündliche Verhandlung – im Wege der einstweiligen Anordnung der Kindesmutter die Personensorge für … entzogen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und Frau … vom … Langenfeld e.V. zur Ergänzungspflegerin bestellt. Nach mündlicher Verhandlung hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 08.10.2013 seine einstweilige Anordnung aufrechterhalten mit der Begründung, dass nach dem Ergebnis der ärztlichen Stellungnahmen eine Kindesmisshandlung durch die Eltern nicht auszuschließen und demzufolge die angeordnete Maßnahme zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich sei.
Im Hauptsacheverfahren hat das Amtsgericht ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten über die Ursachen der bei dem Kind festgestellten Verletzungen eingeholt.
Wegen des Ergebnisses der Begutachtung wird auf den Inhalt des Gutachtens des Universitätsklinikums Düsseldorf vom 13.08.2014 (Bl.130 ff GA) Bezug genommen.
Die Kindeseltern haben geltend gemacht, sie könnten sich die diagnostizierten Verletzungen des Kindes nicht erklären; sie hätten … niemals geschüttelt. Allenfalls bei einem Vorfall im April 2013 sei es möglicherweise zu einer Verletzung des Kindes gekommen, als der Kindesvater, während er das neugeborene Kind auf dem Arm hielt, die Mutter geschlagen habe. Die Kindeseltern haben eine rechtsmedizinische Stellungnahme des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 13.12.2013 zur Akte gereicht (Bl. 34 ff GA), nach dessen Inhalt die Befundlage nicht ausreiche, um zwingend vom Vorliegen eines Schütteltraumas auszugehen.
Ein gegen die Kindeseltern eingeleitetes Strafverfahren wegen des Verdachts einer Kindesmisshandlung wurde mittlerweile von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gemäß § 170 Abs. 2 StPO nach umfangreichen Ermittlungen eingestellt. Insoweit wird Bezug genommen auf die vom Senat beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, .. Js ../14.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Entzug der Personensorge auch im Hauptsacheverfahren angeordnet. Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen sei davon auszugehen, dass … in der Zeit, in der sie sich in der Obhut ihrer allein sorgeberechtigten Mutter befand, ein Schütteltrauma erlitten habe. Die attestierten Verletzungen seien durch einen Sturz vom Wickeltisch nicht erklärbar. Zwar sei der genaue Hergang, der zu den schweren Verletzungen des Kindes geführt habe, nicht mehr aufzuklären. Fest stehe allerdings, dass die Mutter als Hauptverantwortliche für das Kind die Verletzung nicht verhindert habe.
Demnach lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine das Wohl von … gefährdende Überforderung der Mutter vor, so dass das Wohl des Kindes bei Rückkehr in ihren Haushalt gefährdet wäre. Da weder eine Familienhilfe noch eine Mutter-Kind-Einrichtung eine 24-stündige Betreuung sicherstellen könnten, seien weniger einschneidende Maßnahmen als der angeordnete Eingriff in das Sorgerecht der Mutter zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung nicht ausreichend.
Gegen diesen Beschluss hat die Mutter Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch durch das eingeholte gerichtliche Sachverständigengutachten nicht bewiesen sei, dass … in ihrer Obhut ein Schütteltrauma erlitten habe. Im Übrigen habe sich der gerichtliche Sachverständige nicht mit dem von ihr vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt. Abgesehen davon komme als mildere Maßnahme zu einem Sorgerechtsentzug ihre Unterbringung mit dem Kind in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die Schriftsätze der Kindesmutter vom 11.11.2014 und 02.02 .2015 verwiesen.
Die Kindesmutter beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Die übrigen Beteiligten einschließlich des Kindesvaters haben zur Beschwerde der Kindesmutter keinen Antrag gestellt. Der Verfahrensbeistand hat mit Schreiben vom 25.02.2015 zur Beschwerde Stellung genommen.
Der Senat hat die Beteiligten am 11.03.2015 angehört.
II.
Die zulässige Beschwerde der Kindesmutter ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Senats liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die vom Amtsgericht angeordnete Entziehung der Personensorge nicht vor. Ein teilweiser oder vollständiger Entzug der elterlichen Sorge ist gemäß §§ 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr.6 BGB nur gerechtfertigt, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BGH FamRZ 2012,99, 101, Bundesverfassungsgericht FamRZ 2012, 1127, 1129). Eine solche den Entzug der Personensorge rechtfertigende Gefährdung des Wohls von … im Haushalt der Kindesmutter kann nicht festgestellt werden.
Dabei lässt der Senat offen, ob die von der Uniklinik Köln im September 2013 festgestellten Verletzungen von … einen hinreichend sicheren Schluss darauf zulassen, dass das Kind ein Schütteltrauma erlitten hat.
Auch wenn der Senat überdies nach der Anhörung der Kindeseltern am 11.03.2015 davon ausgeht, dass sie sich entgegen ihren Angaben nicht voneinander getrennt leben, so ist gleichwohl nicht mit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Sicherheit davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr von … in den Haushalt ihrer Mutter eine erhebliche Schädigung des Kindes eintritt. Allein die Tatsache, dass … unbestritten am 06.09.2013 vom Wickeltisch gefallen ist, vermag, wovon auch das Amtsgericht ausgeht, einen Eingriff in das Sorgerecht der Mutter nicht zu rechtfertigen. Auch der Umstand, dass möglicherweise … in der Zeit, in welcher sie sich in der Obhut der Kindesmutter – und auch des Vaters – befand, ein Schütteltrauma erlitten hat, rechtfertigt nach dem Ergebnis des Senatstermins vom 11.3.2015 nicht den Schluss, dass es bei einer Rückkehr von … in den Haushalt ihrer Mutter zu Misshandlungen des Kindes kommen wird. Beide Elternteile haben bei ihrer ausführlichen Anhörung durch den Senat nicht nur glaubhaft und nachvollziehbar versichert, … zu keinem Zeitpunkt körperlich misshandelt zu haben, sondern auch den glaubhaften Eindruck vermittelt, dass sie bereit und in der Lage sind, ihre Elternrolle verantwortungsbewusst wahrzunehmen. Abgesehen von dem Verdacht einer körperlichen Misshandlung bestehen keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Eltern, solche sind auch seitens der übrigen Beteiligten im Verfahren nicht geltend gemacht worden. Die Kindesmutter hat sodann, wie sich aus einem in der Ermittlungsakte befindlichen Aktenvermerk der Kreispolizeibehörde vom 19.09.2013 (Bl. 22 ff der Ermittlungsakte) ergibt, laut telefonischer Mitteilung des behandelnden Kinderarztes – Dr. V. – bis zur Inobhutnahme des Kindes sämtliche Untersuchungen für … wahrgenommen; überdies haben sich bei einer Untersuchung des Kindes am 29.08.2013 – also wenige Tage vor dessen Sturz vom Wickeltisch -, keine Auffälligkeiten bei … ergeben. Im Ergebnis ist der Senat davon überzeugt, dass die attestierten Verletzungen des Kindes keinen hinreichend sicheren Schluss auf eine stattgefundene und damit auch nicht den Schluss auf eine zukünftig wahrscheinliche Misshandlung von … durch die Eltern zulassen, so dass die Voraussetzungen für einen Eingriff in das Sorgerecht der Mutter gemäß § 1666 Abs. 1 BGB nicht vorliegen. Damit ist der angefochtene Beschluss aufzuheben mit der Folge, dass der Kindesmutter wieder die alleinige elterliche Sorge zusteht.
Nachdem die Vertreterin des Jugendamtes im Senatstermin erklärt hat, die vom Senat vorgeschlagene Unterbringung der Mutter in einer Mutter-Kind-Einrichtung komme deshalb nicht in Betracht, weil die Einrichtungen bei der gegebenen Sachlage keine Verantwortung für das Kind übernehmen wollten, kommt als Maßnahme zur Überprüfung des künftigen Verhaltens der Mutter nur die Erteilung der Auflage an sie in Betracht, unangemeldete Hausbesuche des Jugendamtes zu dulden. Sollten sich in den nächsten Monaten keine Beanstandungen des Jugendamtes ergeben, so hätte die Kindesmutter Gelegenheit, mit einem Abänderungsantrag die Aufhebung der Auflage durch das Amtsgericht zu beantragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG und entspricht billigem Ermessen.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, weil die Voraussetzungen gemäß § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 € festgesetzt (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG).
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