OLG Hamm, Beschluss vom 28.02.2011 – II-8 UF 227/10

Leitsätze:

Zum Umgangsrecht eines erziehungsungeeigneten Elternteils, dem es bisher trotz vielfacher begleiteter Umgangskontakte nicht gelungen ist, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 29. September 2010 verkündete Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Warendorf dahingehend teilweise abgeändert, dass der begleitete Umgang des Antragstellers mit dem Kind L2, geboren am 13.1.2007, monatlich ausgeübt werden kann. Im Übrigen verbleibt es bei den Regelungen des angefochtenen Beschlusses.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Hinsichtlich der Kosten der ersten Instanz verbleibt es bei der Kostenentscheidung des angefochtenen Beschlusses.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3000,– € festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Der antragstellende Kindesvater und das beteiligte Jugendamt streiten vorliegend darüber, in welchem Umfange dem Kindesvater ein Umgangsrecht mit seinem in einer Pflegefamilie lebenden Kind L2 einzuräumen ist.

Der am 13.03.1976 geborene Antragsteller ist Vater des am 13.01.2007 außerhalb einer Ehe geborenen Kindes L2. Er ist nigerianischer Staatsangehöriger, lebte zuletzt in Gabun und flüchtete im September 2000 nach Deutschland, wo er Asyl beantragte. Mutter des Kindes ist die am 21.12.1963 geborene Frau L, die auch allein sorgeberechtigt für dieses Kind war. Diese stand auf Grund einer eigenen geistigen Behinderung unter Betreuung und hat außer dem hier betroffenen Kind 6 weitere Kinder geboren. Auf Anregung des Jugendamtes des Kreises X vom 12.2.2007 wurde vom Amtsgericht Warendorf ein Verfahren zum Entzug der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB gegen die Kindesmutter eingeleitet. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 7.1.2008 den Antrag auf Entziehung des Sorgerechtes zurück.

Hiergegen legte der Kindesvater von L2 Beschwerde zum Senat ein, mit der er die Entziehung des Sorgerechtes der Kindesmutter sowie die Übertragung des alleinigen Sorgerechtes auf sich selbst verfolgte. Das beteiligte Jugendamt legte ebenfalls Beschwerde ein, mit der es die Entziehung des Sorgerechtes der Kindesmutter und dessen Übertragung auf das Jugendamt als Vormund verfolgte. Mit Beschluss vom 8.6.2008 entzog der Senat der Kindesmutter unter Zurückweisung der Beschwerde des Kindesvaters das Sorgerecht für L2 und übertrug dieses auf das Jugendamt des Kreises X als Vormund. Hierzu führte der Senat aus, es bestünden Zweifel daran, ob der Kindesvater angesichts seines bislang nach wie vor ungeklärten ausländerrechtlichen Statusses die für die positive Entwicklung eines Kindes erforderliche Kontinuität in der Betreuung und Erziehung L2s, die er bislang lediglich in Form von Umgangskontakten über wenige Stunden am Tag ausgeübt habe, auf Dauer sicherstellen könne. Vor dem Hintergrund des gesteigerten Erziehungs- und Betreuungsbedarfs des Kindes und der Tatsache, dass sich dieses derzeit im prägenden Kindesalter befinde, halte der Senat eine Übertragung des elterlichen Sorgerechtes auf den Kindesvater dem Kindeswohl nicht dienlich, zumal jener eine eigene Integration in das Leben der Bundesrepublik Deutschland bislang trotz eines bereits achtjährigen Aufenthaltes nicht vollzogen habe.

Seit dem 4.7.2008 lebt L2 in einer Bereitschaftspflegefamilie, wobei das Pflegeverhältnis inzwischen in eine Dauerpflege umgewandelt wurde.

Gegen die Entscheidung des Senats hat der Antragsteller erfolgreich Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Verfassungsgericht hat beanstandet, dass der Senat die Vorschrift des § 1680 Absatz 3 in Verbindung mit Abs. 2 S. 2 BGB nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 2 GG verfassungswidrig ausgelegt habe; diese Bestimmung sei vielmehr dahingehend auszulegen, dass eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater regelmäßig schon dann dem Kindeswohl diene, wenn er – wie vorliegend – über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge, die ursprünglich der Kindesmutter allein zugestanden habe, in tatsächlicher Hinsicht in Form von Umgangskontakten wahrgenommen habe. Etwas anderes gelte nur dann, wenn konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprechen würden, wobei – anders als im Rahmen der Eingriffsschwelle des § 1666 BGB – eine Kindeswohlgefährdung insoweit nicht erforderlich sei, vielmehr schon weniger gewichtige Nachteile für das Kind seine widersprechenden Interessen begründen und damit einer Sorgerechtsübertragung entgegenstehen könnten.

Der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erneut mit dem Verfahren befasste Senat hat den Sachverständigen I mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass der Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater Kindesinteressen entgegenständen. Es sei fraglich, ob der Kindesvater ausreichend stabil in seiner Persönlichkeit sei, um ein Kind eigenverantwortlich zu erziehen und ihm ausreichende Orientierung und Struktur zu geben. Er weise eine emotionale Labilität auf, die auch durch depressive Tendenzen geprägt sei. Er sei kaum in der Lage, sich in die Signale und Bedürfnisse eines Kleinkindes einzufühlen und diese adäquat zu interpretieren, um sie dann befriedigen zu können. Die Interaktionsbeobachtungen hätten ergeben, dass er kaum in der Lage sei, einen harmonischen und befriedigenden Kontakt zu L2 herzustellen. Er gehe weder auf dessen Bedürfnisse, Empfindungen und Signale ein, noch spreche er ihn altersgerecht an. Aufgrund seiner eklatanten Defizite, sich in die Signale und Bedürfnisse des Kindes einzufühlen, könne keine tragfähige Bindung zwischen beiden entstehen. Deshalb widerspräche eine Übertragung des Sorgerechtes auf den Kindesvater, die eine Zuführung des Kindes zu ihm beinhalten würde, massiv den Kindesinteressen, zumal eine zur derzeitigen Pflegemutter alternative Bezugsperson sehr hohen Anforderungen gerecht werden müsse. Mit Beschluss vom 30.11.2009 hat der Senat daraufhin seine frühere Entscheidung einschließlich der Zurückweisung der Beschwerde des Kindesvaters aufrechterhalten und sich hierbei den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen.

Das Jugendamt teilte dem Antragsteller Mitte Februar 2010 mit, dass ihm allenfalls ein Umgangsrecht einmal in 3 Monaten gewährt werden könne, da ein Umgang für die Entwicklung des Kindes nicht für förderlich gehalten werde. Daraufhin beantragte der antragstellende Kindesvater im vorliegenden Verfahren, ihm ein Umgangsrecht mit seinem Sohn L2 an jedem Samstag im Monat in der Zeit von 10:00 bis 12:00 Uhr beziehungsweise einmal in der Woche für 2 Stunden einzuräumen. Zur Begründung führte er aus, dass weder durch seine Persönlichkeit noch durch sein Verhalten das Kindeswohl gefährdet sei und er als Vater ein Recht habe, seinen Sohn zu sehen und Umgang mit ihm zu pflegen. Dies sei besser möglich, wenn er unbegleiteten Umgang mit seinem Sohn habe. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt eines Übergriffes oder auch nur einer Schädigung des Kindes schuldig gemacht. Er sei auch bereit, sich die europäische Kultur der Erziehung von Kindern beibringen zu lassen.

Das Jugendamt hat die Zurückweisung des Umgangsantrages beantragt. Es hat ausgeführt, dass dem Antragsteller bereits viermal jährlich ein Umgangskontakt im Jugendamt eingeräumt worden sei und dieser darüber hinaus selbstverständlich jederzeit hinsichtlich der Entwicklung seines Sohnes Rücksprache beim Jugendamt nehmen könne. Weitergehende Umgangskontakte seien nicht angebracht. L2 könne auf Dauer in seiner bisherigen Bereitschaftspflegefamilie verbleiben. Wie der Senat selbst festgestellt habe, sei der Kindesvater auch mit öffentlichen Hilfen nicht in der Lage, das bei ihm vorhandene Erziehungsdefizit dergestalt zu kompensieren, dass er seinem Sohn ein ausreichend tragfähiges Bindungs- und Erziehungsangebot unterbreiten könne. Er sei nicht in der Lage, eine ausreichende, der Beziehungsaufnahme mit seinem Sohn dienende Kommunikation stattfinden zu lassen. Dies gelte, obwohl der Antragsteller zuvor in der Zeit von Oktober 2008 bis Anfang 2010 sogar wöchentlich Kontakt zu seinem Kind gehabt habe. Es sei festzustellen, dass in dieser Zeit extrem wenig Interaktion zwischen Vater und Sohn stattgefunden habe. Die Kindesmutter ihrerseits habe zu L2 alle 3 Wochen Besuchskontakt. Während der Umgangskontakte beider Elternteile sei L2 ganz überwiegend auf seine Pflegemutter fixiert gewesen.

Im Termin vom 15.3.2010 hat das angerufene Amtsgericht Warendorf die Beteiligten angehört und sodann die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen I zur Frage der Häufigkeit der Umgangskontakte beschlossen. Weiterhin hat es dem Kindesvater zusätzliche Umgangskontakte am 21. April und 19. Mai – zusätzlich zu den bereits vom Jugendamt eingeräumten Kontakten am 17. März und 16. Juni 2010- für jeweils 2 Stunden im Jugendamt eingeräumt.

Der Sachverständige hat in seinem familienpsychologischen Ergänzungsgutachten vom 27.7.2010 ausgeführt, dass L2 bisher keine nennenswerten Verhaltensauffälligkeiten oder soziale Störungen aufweise. Bis Januar 2010 habe L2 wöchentliche Kontakte zum Kindesvater gehabt, ab dann seien die Kontakte auf einmal im Monat für 2 Stunden reduziert worden. Obwohl der Kindesvater angebe, regelmäßig eine Sprachschule zu besuchen, sei eine Verständigung mit ihm auf Deutsch nur begrenzt möglich. Er habe angegeben, nach wie vor große Angst zu haben, nach Nigeria abgeschoben zu werden. Er stelle grundlegend die weitere Perspektive L2s in seiner Dauerpflegefamilie infrage. Er wünsche sich eine baldige Rückführung L2s in seine Obhut und respektiere letztendlich nicht L2s Aufwachsen in der Dauerpflegefamilie. L2 sei jedoch dort fest integriert und sicher an die Pflegeeltern gebunden, die inzwischen seine psychologischen Eltern geworden seien. Das Kind habe keine Beziehung zu seinem Vater; trotz früherer wöchentlicher und nunmehr monatlicher Kontakte seien keinerlei Beziehungen zwischen dem Jungen und seinem leiblichen Vater entstanden. Es finde auch bei den Umgangskontakten so gut wie keine Interaktion, geschweige denn Kommunikation zwischen L2 und dem Kindesvater statt. Der Junge ignoriere zumeist die Anwesenheit seines Vaters und jener zeige sich so gut wie gar nicht in der Lage, auf die kindlichen Signale und Spielbedürfnisse seines Sohnes einzugehen. Vor diesem Hintergrund habe L2 keinerlei Gewinn aus den Besuchskontakten mit seinem Vater gezogen. Dieser habe weder ein Einfühlungsvermögen für die Signale und Empfindungen seines Sohnes, noch gelinge es ihm – nicht einmal in Ansätzen – eine befriedigende Interaktion zu seinem Sohn herzustellen. Da er selbst nach C umziehen wolle, fordere er, dass auch L2 in eine Pflegefamilie nach C wechsele, damit er weiterhin unbelastet sein Umgangsrecht ausüben könne, womit er jedoch ausdrücklich die Bindungsbedürfnisse seines Sohnes negiere. Nach der jetzt gegebenen Situation würden Besuchskontakte des Kindesvaters nicht mehr einer möglichen baldigen Rückführung L2 in die Obhut seines Vaters dienen. Die ergänzenden psychologischen Befunde der jetzigen Begutachtung würden bestätigen, dass der Kindesvater nicht in der Lage sei, auf die Belange und Bedürfnisse seines Sohnes einzugehen und dieser weiterhin als in seiner Erziehungsfähigkeit drastisch eingeschränkt zu beurteilen sei. Es sei ihm nicht möglich, Beziehungen zwischen Vater und Sohn zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund werde dem Recht des Vaters, sich persönlich von der Entwicklung seines Sohnes überzeugen zu können und für das Erleben seines Sohnes als leiblicher Vater präsent zu sein, durch 4 begleitete Kontakte im Jahr zu jeweils 2 Stunden ausreichend Rechnung getragen; eine höhere Frequenz werde auf Dauer das Kindeswohl belasten, zumal auch noch die Umgangskontakte mit der Kindesmutter zu bewerkstelligen seien.

Gegen dieses Gutachten hat der Antragsteller Einwendungen erhoben und ausgeführt, der Sachverständige habe seine Äußerungen nicht richtig wiedergegeben, offenbar hätten sprachliche Verständigungsschwierigkeiten vorgelegen. Er hat beantragt, noch ein psychoanalytisches wissenschaftliches Gutachten zu der Frage einzuholen, inwiefern er über Einfühlungsvermögen verfüge, welches ihn zur Kontaktaufnahme zu Kindern befähige. Eine wissenschaftlich anerkannte Feststellung seiner emotionalen Fähigkeiten sei dringend erforderlich.

Durch am 29.09.2010 verkündeten Beschluss hat das Amtsgericht Warendorf dem Antragsteller Umgangskontakte nach Maßgabe des Antragsgegners viermal im Jahr eingeräumt sowie ihn ermächtigt, brieflich Kontakt zu seinem Kind über den Vormund aufzunehmen und dem Kind regelmäßig Fotos von sich zu übermitteln. Zur Begründung hat es – insoweit dem Gutachten folgend – ausgeführt, es sei dem Kindesvater nicht möglich, Interaktionen zwischen sich und seinem Sohn stattfinden zu lassen. Die wesentlichen Erkenntnisse des Gutachtens, auf die sich die Entscheidung des Gerichtes stützte, würde nicht aus den sprachlichen Äußerungen des Antragstellers gegenüber dem Gutachter folgen, sondern aus der unmittelbar von diesem beobachteten Umgangsituation, in der es – wie bereits in früheren Zeiten- zu keiner maßgeblichen Kontaktaufnahme zwischen Vater und Kind gekommen sei. Die rein abstrakte Frage, ob der Antragsteller grundsätzlich in der Lage sei, einen Kontakt zu Kindern aufzunehmen, sei für die Entscheidung dieses Umgangsstreites nicht erheblich. Es gehe vielmehr darum, ob er konkret in der Lage sei, zu seinem Kind L2 altersangemessen in Interaktion zu treten, was aufgrund der überzeugenden Darstellungen des Sachverständigen derzeit verneint werden müsse.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, mit der er ein großzügigeres Umgangsrecht gewährt wissen will. Er rügt, dass die Feststellungen des Gutachters nicht auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgt, sondern willkürlich seien, jedenfalls ohne wissenschaftliche Basis. Insofern seien die Feststellungen zu seiner Persönlichkeit fehlerhaft und würde nicht die tatsächliche Persönlichkeit widerspiegeln. Auch werde gerügt, dass eine persönliche Anhörung des Gutachters zur Erläuterung seines Gutachtens nicht erfolgt sei. Unter Gesichtspunkten des Kindeswohls müsse ein Umgangsrecht mindestens einmal monatlich bestehen, wobei begleitete Umgangskontakte nicht der Förderung der Beziehungen zwischen ihm und seinem Sohn dienlich seien.

Der Antragsteller beantragt,

ihm ein Besuchsrecht mit L2 in der Form einzuräumen, dass er berechtigt sei, seinen Sohn jeden Samstag in der Zeit von 10 bis 12:00 Uhr zu sehen bzw. einmal in der Woche für 2 Stunden, mindestens jedoch einmal monatlich.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hält die Beschwerde für unbegründet. Maßgeblich sei, ob L2 durch Umgangskontakte mit seinem Vater in seiner Entwicklung gefördert werde, was nicht der Fall sei. Trotz intensiver Umgangskontakte in der Vergangenheit sei es dem Antragsteller nicht möglich gewesen, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, die eine angemessene Interaktion zu diesem ermögliche. Diese Erkenntnis beruhe auch nicht auf einer einmaligen Beobachtung, sondern auf einer langfristigen Beobachtung des Interaktionsverhaltens zwischen ihm und L2.

Die Ausländerbehörde des Kreises X hat mitgeteilt, dass der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und einer Duldung durch Ordnungsverfügung vom 14.10.2010 abgelehnt und der Antragsteller aufgefordert worden sei, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen, wobei ihm die Abschiebung angedroht worden sei. Im Rahmen eines gegen die geplante Abschiebung gerichteten Eilantrages an das Verwaltungsgericht Münster habe dieses dem Kreis die Abschiebung untersagt, solange die Entscheidung zum Umgangsrecht noch nicht rechtskräftig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 27. Oktober 2010 nebst Berichterstattervermerk Bezug genommen.

II.

Gemäß Art. 111 FGG-RG sind auf das vorliegende Verfahren die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Die demnach gemäß §§ 58,59, 63 und 64 FamFG zulässige – insbesondere form- und fristgerecht eingelegte – Beschwerde des beteiligten Kindesvaters hat auch in der Sache Erfolg, wenn auch nur ein eingeschränktes Umgangsrecht anzuordnen war. Denn dem Antragsteller ist gemäß § 1684 Abs. 1 BGB in weitergehendem Umfange ein Umgangsrecht mit seinem Sohn L2 einzuräumen, dessen nähere Ausgestaltung sich aus dem vorstehenden Beschlusstenor ergibt.

1. Regelungsgrundlage für den begehrten Umgangskontakt ist § 1684 BGB, wonach sowohl das Kind selbst einen Anspruch auf Umgang mit seinem leiblichen Vater als auch umgekehrt dieser mit seinen Kind hat. Dies gilt auch dann, wenn den Eltern oder einem Elternteil das Sorgerecht entzogen worden ist und der Vormund das Kind in eine Dauerpflegefamilie gegeben hat. Dieses Recht darf nur eingeschränkt werden, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit ausschließt oder auch nur einschränkt, darf nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Die Einschränkung oder sogar ein Ausschluss für längere Zeit kommt also nur als äußerste Maßnahme zur Abwendung einer konkreten gegenwärtigen Gefährdung der körperlich und geistig-seelischen Entwicklung des Kindes in Betracht. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ausübung des Umgangsrechtes mit einem Elternteil in der Regel zum Wohl des Kindes gehört. Wie der Senat wiederholt – so zum Beispiel in seinen Beschlüssen vom 10.11.2003 (8 WF 300/03- FamRZ 2004, 1310 folgende) und 30.12. 2003 (8 WF 383/03) – ausgeführt hat, darf die Inpflegenahme von Kindern nicht schematisch zu einem Kontaktabbruch mit den leiblichen Eltern führen. Denn grundsätzlich handelt es sich bei einer Inpflegenahme von Kindern nur um eine vorübergehende Maßnahme, die zu beenden ist, sobald die Umstände dies erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der Inpflegenahme müssen mit dem anzustrebenden Ziele der Zusammenführung von leiblichen Eltern mit ihren Kindern im Einklang stehen (EuGHMR FamRZ 2002,1393, 1397 Fall „Kutzner“). Hieraus folgt zugleich, dass den Vormund mit Beginn der Inpflegemaßnahme die Verpflichtung trifft, stets zu prüfen, ob eine Familienzusammenführung möglich ist und durch welche Maßnahmen diese erleichtert und gefördert werden kann. Einer wachsenden Entfremdung zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ist entgegenzuwirken. Nur im Interesse der Wahrung der Kindesbelange ist es dem Staat als Wächter über das Kindeswohl gestattet, derartige schwerwiegende Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht gemäß Artikel 6 II Satz 1 GG vorzunehmen.

2. Die dem Kindesvater vom Amtsgericht lediglich eingeräumten 4 Umgangskontakte im Jahr werden diesen Anforderungen nicht gerecht; vielmehr ist ihm ein Umgangsrecht einmal im Monat zu gewähren, um die Möglichkeit der Entwicklung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Antragsteller und L2 aufrecht zu erhalten.

a) Zwar ist bei allen Eingriffen in das elterliche Sorgerecht – wie bereits dargelegt – einer wachsenden Entfremdung zwischen leiblichen Eltern und Kindern entgegenzuwirken, was auch dann gilt, wenn das Kind selbst nicht den Wunsch äußert (und dies aktuell im Hinblick auf sein Alter und der damit verbundenen mangelnden Verstandesreife auch gar nicht kann), Umgang mit seinem Vater haben zu wollen. Die Besonderheit ist vorliegend jedoch, dass bisher eine enge emotionale Beziehung zwischen Vater und Kind unstreitig zu keinem Zeitpunkt bestanden hat, so dass schon begrifflich einer „wachsenden“ Entfremdung nicht vorgebeugt werden kann, vielmehr durch Umgangskontakte erst eine Annäherung herbeigeführt werden müsste. Zudem erscheint es auch ziemlich sicher, dass auf Dauer – also bis zur Volljährigkeit des Kindes L2 – eine generelle Erziehungsungeeignetheit des Antragstellers – die einer (erstmaligen) Übersiedlung des Kindes L2 in dessen Haushalt entgegensteht – angenommen werden muss. Dies ergibt sich bereits aus dem Vorverfahren, in dem der Senat eine generelle Ungeeignetheit des Kindesvaters zur Erziehung und Betreuung eines – zumindest eines sehr jungen – Kindes festgestellt hat. Es ist kaum vorstellbar, dass geänderte und über einen längeren Zeitraum stabile Lebensumstände des Kindesvaters zukünftig dazu führen könnten, dass dieser nicht mehr als ungeeignet zur Versorgung und Betreuung seines Kindes anzusehen ist. Obwohl mithin generell auf einen längeren Zeitraum hin gesehen eine Aufnahme des Kindes L2 in den väterlichen Haushalt – zumal bei realistischer Einschätzung der künftigen Entwicklung unter Berücksichtigung seiner immer enger werdenden Bindungen an die Pflegefamilie und dem damit voraussichtlich einhergehenden Erfordernis für eine Verbleibensanordnung – kaum zu erwarten ist, erscheint jedoch andererseits ein völliger Ausschluss des Umgangs gegenwärtig nicht gerechtfertigt, ebenso jedoch auch dessen Einschränkung auf ein Maß, welches tatsächlich einem Ausschluss sehr nahe kommt. Vielmehr ist ein – vorsichtig angebahnter und zunächst behutsam durchgeführter – Kontakt dringend erforderlich, um dem bestehenden „Fremdsein“ zwischen Vater und Kind entgegenzuwirken und langfristig eine Beziehung aufzubauen, die grundsätzlich zu der Erfahrung der Abstammung L2s vom Antragsteller führen kann. Denn für diesen ist es – allein schon aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes, aufgrund dessen er voraussichtlich durch Dritte zukünftig mit seinem „Andersaussehen“ konfrontiert werden wird – besonders wichtig, Kenntnis über seine Herkunft und seine kulturellen Wurzeln zu haben.

b) Besteht allerdings ein Pflegeverhältnis über einen längeren Zeitraum, entwickelt sich daraus gerade bei Inobhutnahme von Kleinkindern eine Beziehung, die alle psychologischen Elemente einer gut funktionierenden Eltern-Kind-Beziehung enthält. Für das Kindeswohl spielt nämlich die Art und Weise des Zustandekommens des Pflegeverhältnisses keine Rolle. Die existenzielle Eltern-Kind-Beziehung ist nicht an die leibliche Elternschaft gebunden und kann nach den Erkenntnissen moderner Kinderpsychologie zu Pflegeeltern ebenso tragfähig wie zu leiblichen Eltern sein. Denn eine solche Beziehung baut sich durch Pflege und Zuwendung auf, die eine Bezugsperson dem Kind über längere Zeit entgegenbringt (OLG Hamm FamRZ 1995, 1507). Die Herauslösung eines Pflegekindes aus einer Pflegefamilie, in der es durch längeren Aufenthalt verwurzelt ist, ist deshalb mit dem Kindeswohl nur zu vereinbaren und nur zulässig, wenn sie ohne die Gefahr einer erheblichen und nachhaltigen Störung der Kindesentwicklung durchgeführt werden kann. Dabei kann allein schon durch zu intensive Umgangskontakte mit dem leiblichen Vater, bei dem zu befürchten ist, dass er seine Vaterrolle gegenüber dem erst vierjährigen Kind herausstreicht und damit die Position des Kindes in der Pflegefamilie – bewusst oder auch nur unbewusst – infrage stellt, das Kindeswohl gefährdet sein. Ein Kind im Alter von 4 Jahren braucht eine feste Bindung. Wenn es – aus seiner kindlichen Vorstellungswelt heraus – befürchten muss, dass es aus seiner sozialen Familie herausgenommen und zu einem ihm völlig fremden „Vater“ übersiedeln muss, wird es in seiner Entwicklung erheblich gefährdet. Diese Angst vor einer Herausnahme kann bei dem Kind bereits entstehen, ohne dass dies von dem Antragsteller ausdrücklich ausgesprochen oder aktuell letztendlich gewollt wird. Ohne diese Einsicht steht das Kindeswohlinteresse auch auf längere Sicht einem unbegleiteten Umgang des Antragstellers mit seinem Kind entgegen. Das Kind befindet sich im Alter von nunmehr vier Jahren weiterhin in einer entscheidenden Entwicklungsphase, hat seine festen sozialen Bindungen gewonnen und kann auf diese aufbauend nunmehr langsam seine Umwelt erfahren, braucht jedoch noch ständig zur eigenen Rückversicherung diese nahe Bindungen. Dies ergibt sich gerade daraus, dass auch nach den Beobachtungen des Sachverständigen das Kind während der Umgangskontakte mit dem Antragsteller ständig den Kontakt zu seiner Pflegemutter sucht. Eine Kappung dieser Bindung zum jetzigen Zeitpunkt – und sei es auch nur über einen Zeitraum von mehreren Stunden – würde dem Kindesinteresse entgegenlaufen. Eine unkontrollierte Überlassung des Kindes an eine Person, zu dem das Kind bisher keine enge Beziehung und kein Vertrauen hat aufbauen können, für einen Zeitraum von mehreren Stunden würde lediglich zu einer Verunsicherung des Kindes und zur Gefahr des Verlustes seiner sozialen Bindungen und damit zu einer Gefährdung seiner allgemeinen Sozialisation mit den sich möglicherweise daraus ergebenden schwerwiegenden Folgen führen.

c) Andererseits kann aus den eingangs bereits dargelegten Gründen – auch wenn dies für die Stabilisierung der Lebensumstände und der hierauf fußenden Entwicklung des Kindes im gegenwärtigen Zeitpunkt möglicherweise besser wäre – eine Einschränkung des Umgangsrechtes zwischen dem Kind und seinem Vater in einem Maße, das letztlich einem gänzlichen Ausschluss des Umgangsrechts gleichkäme, nicht in Betracht kommen. Auch wenn das beteiligte Jugendamt in geringem Maße begleitete und stark eingeschränkte Umgangskontakte zugesteht und das Amtsgericht diesem folgend bewilligt hat, so lässt sich dieser Umfang jedoch nicht mit § 1684 IV Satz 2 BGB vereinbaren, da so dem tatsächlich bestehenden bisherigen Fremdsein von Vater und Kind nicht entgegengewirkt, sondern dieses weiterhin für die Zukunft festgeschrieben wird. Denn weder das Kind noch der Antragsteller erhalten im Rahmen einer derartigen Umgangsfrequenz eine realistische Möglichkeit, sich emotional näher kommen zu können. Es muss jedoch sowohl dem Kind als auch dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt werden, sich mit zunehmender Verstandesreife des Kindes einander anzunähern. Dies erfordert nach Einschätzung des Senates eine Erhöhung der vom Amtsgericht eingeräumten Umgangsfrequenz auf einen Umgang in jedem Monat nach Maßgabe des Jugendamtes in einer betreuten Umgebung, um überhaupt zu einer Anbahnung und Stabilisierung einer Vater-Kind-Beziehung zu gelangen.

d) Im Übrigen waren die Anordnungen des Amtsgerichtes hinsichtlich der brieflichen Kontakte zwischen Vater und Kind sowie der Übermittlung von Fotos aufrechtzuerhalten, um auch hierdurch die Anbahnung einer Vater-Kind-Beziehung zu fördern und zu unterstützen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG; die Festsetzung des Gegenstandswertes findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1 FamGKG.

Vorinstanz:
Amtsgericht Warendorf, 9F 134/10

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