SG Bremen, Beschluss vom 10.05.2017 – S 23 AS 880/17 ER

SOZIALGERICHT BREMEN
BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

Y. E., Bremen,
Antragsteller,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – F/2017/014 (EA2) –

gegen

Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.:

Antragsgegnerin,

hat die 23. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 10. Mai 2017 durch ihre Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht D., beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16.03.2017 gegen den Minderungsbescheid vom 03.03.2017 (dreißigprozentige Kürzung) wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

GRÜNDE

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Minderungsbescheides im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Am 27.12.2016 beantragte der Antragsteller telefonisch bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II (Verwaltungsakte (VA) Bd. II Bl. 12).

Mit Schreiben vom 24.01.2017 (VA Bd. II Bl. 99) schlug die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Stelle als Helfer im Metallbau in Vollzeit (40 Stunden) für 9,70 Euro/Stundenlohn vor. In dem Schreiben wurde der Antragsteller über die Rechtsfolgen bei Weigerung der Arbeitsaufnahme belehrt. Der Antragsteller bewarb sich daraufhin mit folgendem Wortlaut (VA Bd. II Bl. 105):

„Sehr geehrte Damen und Herren,

meine letzte Beschäftigung war als Fachkraft auf den Mercedes Benz Gelände Bremen, mit einen Stundenlohn von 19,76Euro (EG4+).

Auf ein gleichwertiges Angebot würde ich mich sehr freuen, ansonsten bitte ich um die vollständige Rücksendung meiner Bewerbungsunterlagen.

Mit freundlichen Grüßen Y. E.“

Dem Anschreiben war ein Lebenslauf beigefügt (VA Bd, II Bl. 105 Rückseite).

Die Firma erteilte dem Antragsteller am 30.01.2017 eine Absage für das Stellenangebot und begründete dies mit der Gehaltsforderung, dem lückenhaften Lebenslauf und der fehlenden Zeugnisse in den Bewerbungsunterlagen des Antragstellers (VA Bd. II Bl. 102).

Mit Schreiben vom 03.02.2017 hörte die Antragstellerin den Antragsgegner zu der mangelhaften Bewerbung und der deshalb beabsichtigten Sanktion an (VA Bd. II Bl. 101). Der Antragsteller nahm die Gelegenheit zur Stellungnahme wahr und behauptete, er habe sich ernsthaft beworben und wäre auch für weniger Geld bereit gewesen, die Arbeit anzunehmen. Dies hätte man aus seinem Lebenslauf erkennen können, aus dem hervorgehe, dass er schon „oft für ganz wenig Geld gearbeitet“ habe (VA Bd. II Bl. 107).

Mit Bescheid vom 01.03.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2016 bis zum 31.01.2017 dem Antragsteller gegenüber ab, weil dieser in dem genannten Zeitraum wegen des den Bedarf übersteigenden Einkommens nicht hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II gewesen sei (VA Bd. II Bl. 74 ff; auf die Berechnungsbögen wird Bezug genommen).

Mit Bescheid vom 02.03.2017 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II ab Februar bis einschließlich November 2017, in der Zeit von April bis November 2017 bewilligte sie dem Antragsteller Leistungen in Höhe von 836,00 Euro monatlich (Gerichtsakte (GA) Bl. 23).

Mit Bescheid vom 03.03.2017 minderte die Antragsgegnerin dann die Bewilligung des Arbeitslosengeldes II um 30% des für den Antragsteller maßgebenden Regelbedarfs, das heißt in Höhe von 122,70 Euro monatlich, für den Zeitraum von April bis Juni 2017, weil der Antragsteller durch sein Verhalten das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses von vornherein verhindert habe (GA Bl. 26).

Gegen den Bescheid legte der Antragsteller am 16.03.2017 Widerspruch ein (GA Bl. 28) und beantragte sogleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für den Fall, dass die Antragsgegnerin den Bescheid nicht bis zum 23.03.2017 aufheben würde. Andernfalls werde ein gerichtliches Eilverfahren eingeleitet (GA Bl. 12).

Nach fruchtlosem Verstreichen der Frist hat der Antragsteller am 26.04.2017 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Bremen gestellt.

Er ist der Auffassung, der Minderungsbescheid sei rechtswidrig, da er im Januar 2017 noch nicht im Leistungsbezug gestanden und ihn daher zu diesem Zeitpunkt auch keine Bewerbungspflicht getroffen habe.

Er beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16.03.2017 (30% Kürzung der Regelleistung im Zeitraum 01.04.2017 – 30.06.2017) anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, dass den Antragsteller die Bewerbungspflicht bereits mit Antragstellung getroffen habe. Es entspreche der Intention des Gesetzgebers, dass das SGB II nicht nur den Leistungsanspruch regele, sondern Leistungsberechtigten auch eine neue Beschäftigung zu vermitteln. Zudem hätte ein entsprechendes Verhalten bei Leistungen nach dem SGB III zu einer Sperrzeit geführt (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGB III).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zu diesem Aktenzeichen und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin zum Az.:  Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen – wie hier aufgrund von § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 2 SGB II – ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, diese ganz oder teilweise anordnen. Ob die Anordnung zu ergehen hat, ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen, bei der neben der allgemeinen Abwägung zwischen privatem Aussetzungs- und öffentlichem Vollzugsinteresse auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache in den Blick zu nehmen sind. Die Prüfung erfolgt nicht nach einem starren Schema, sondern beide Abwägungsgesichtspunkte sind aufeinander bezogen, wobei auch das gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten ist. Möglicher Hauptsacheerfolg und Grad des Aussetzungsinteresses korrespondieren dabei miteinander. Je mehr der Hauptsacherfolg wahrscheinlich erscheint, umso weniger Anforderungen sind an das (weitere) Aussetzungsinteresse zu stellen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 10. Auflage, § 86 b Rn. 12 e-f). Ist der in der Hauptsache zu beurteilende Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, der Hauptsacheerfolg daher nahezu sicher, sind an das Aussetzungsinteresse keine weiteren Anforderungen mehr zu stellen, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes – auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Anordnung zum Regel-Ausnahmeverhältnis – kein dagegen abzuwägendes öffentliche Interesse bestehen kann.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen hier vor, da der streitgegenständliche Minderungsbescheid nach gebotener summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist und daher das Interesse des Antragsstellers an der Aussetzung das Interesse der Behörde am Vollzug des Verwaltungsaktes – trotz der relativ geringen Minderung – überwiegt.

Rechtsgrundlage des Minderungsbescheides ist § 31 a, 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 1. Alt., S. 2, SGB II. Danach mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern.

Schon dem Wortlaut nach ist eine Bewerbungspflichtverletzung, die in der von dem Antragsteller beschriebenen Bewerbung zweifellos vorliegen dürfte, nur dann sanktionierbar, wenn der Betreffende zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung leistungsberechtigt ist. Leistungsberechtigt sind gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nur Personen, die unter anderem hilfebedürftig sind. Der Antragsteller war im Januar 2017, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, wegen übersteigenden Einkommens nicht hilfebedürftig und damit nicht leistungsberechtigt.

Eine Erstreckung der Vorschrift auch auf Nichtleistungsberechtigte ab Antragstellung kommt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin aus mehreren Gründen nicht in Betracht. Abgesehen von dem entgegenstehenden Wortlaut des § 31 SGB II (s.o.) knüpft auch der in § 2 SGB II manifestierte Grundsatz des Förderns an die Leistungsberechtigung an, sodass auch hierüber eine Intention des Gesetzgebers auch zukünftig Leistungsberechtigte, die bereits einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt haben, zu verpflichten, nicht herausgelesen werden kann.

Zudem sind gerade Minderungstatbestände restriktiv auszulegen. Eine sich über den ausdrücklichen Wortlauf hinwegsetzende Auslegung ist daher auch nicht im Hinblick auf eine anders ausgestaltete Regelung im SGB III angezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

HINWEIS:

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 € nicht übersteigt und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG).

gez. D.

Richterin am Sozialgericht

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