Sozialgericht Bremen, Urteil vom 29.04.2015 – S 14 R 140/13 (n.rk)
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
Verkündet am: 29. April 2015
In dem Rechtsstreit
F. K., Bremen,
Kläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – F/2013/018 –
gegen
Deutsche Rentenversicherung Bund, vertreten durch die Geschäftsführung, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,
Beklagte,
hat die 14. Kammer des Sozialgerichts Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung am 29. April 2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Sozialgericht Dr. M. als Vorsitzender
sowie die ehrenamtlichen Richter E. und N.
für Recht erkannt:
Der Bescheid der Beklagten vom 18.09.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 wird aufgehoben, soweit die Beklagte eine Erstattung für den Zeitraum ab dem 01.07.2004 geltend gemacht hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu 80% zu erstatten.
TATBESTAND
Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
Mit Rentenbescheid vom 22.07.2003 bewilligte die Beklagte dem am 11.04.1925 geborenen Kläger eine große Witwerrente, beginnend am 01.07.2003. Sie erklärte, ab dem 01.10.2003 würden monatlich 126,61 gezahlt. Für die Zeit vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 betrage die Nachzahlung 24,15 €. Unter der Überschrift „Höhe der laufenden Zahlung“ führte die Beklagte folgende Positionen auf:
„Monatliche Rente ab 01.10.2003 136,87 EUR
Beitragsanteil des Rentners zur Krankenversicherung – 9,10 EUR
Beitragsanteil des Rentners zur Pflegeversicherung – 1,16 EUR
Monatlicher Zahlbetrag 126,61 EUR“
Auf Seite 3 des Bescheides wies die Beklagte unter der Überschrift „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ darauf hin, dass Erwerbseinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben könne. Daher bestehe die gesetzliche Verpflichtung, den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen unverzüglich mitzuteilen. Auf Seite 5 des Bescheides erklärte die Beklagte, bei einem Zusammentreffen von Witwerrente mit Erwerbseinkommen sei letzteres in Höhe von 40 % des Betrages anzurechnen, um den das Erwerbseinkommen einen dynamischen Freibetrag übersteige.
Mit „Rentenbescheid“ vom 13.05.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Rente ab dem 01.07.2004 neu berechnet werde. Für die Zeit ab dem 01.07.2004 würden laufend monatlich 125,24 € gezahlt. Als „Gründe für die Neuberechnung“ gab sie an, es sei „ein anderer Beitragssatz zur Krankenversicherung maßgebend“. Unter der Überschrift „Höhe der laufenden Zahlung“ führte sie folgende,Positionen auf:
„Monatliche Rente ab 01.07.2004 136,87 EUR
Beitragsanteil des Rentners zur Krankenversicherung“ – 9,30 EUR
Beitrag des Rentners zur Pflegeversicherung – 2,33 EUR
Monatlicher Zahlbetrag 125,24 EUR“
Mit „Rentenbescheid“ vom 06.02.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Rente ab dem 01.04.2006 neu berechnet werde. Für die Zeit ab dem 01.04.2006 würden laufend monatlich 132,71 € gezahlt. Als „Gründe für die Neuberechnung“ gab sie an, es sei „ein anderer Beitragssatz zur Krankenversicherung maßgebend“. Unter der Überschrift „Höhe der laufenden Zahlung“ führte sie folgende Positionen auf:
„Monatliche Rente ab 01.04.2006 145,91 EUR
Beitragsanteil des Rentners zur Krankenversicherung“ 9,41 EUR
Zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag – 1,31 EUR
Beitrag des Rentners zur Pflegeversicherung – 2,48 EUR
Monatlicher Zahlbetrag 132,71 EUR“
Mit „Rentenbescheid“ vom 18.05.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Rente ab dem 01.07.2006 neu berechnet werde. Für die Zeit ab 01.07.2006 würden laufend monatlich 133,27 € gezahlt. Als „Gründe für die Neuberechnung“ gab sie an, die Rente wegen der jährlichen Überprüfung des zu berücksichtigenden Einkommens neu berechnet zu haben. Unter der Überschrift „Höhe der laufenden Zahlung“ führte sie folgende Positionen auf:
„Monatliche Rente ab 01.07.2006 146,53 EUR
Beitragsanteil des Rentners zur Krankenversicherung“ – 9,45 EUR
Zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag – 1,32 EUR
Beitrag des Rentners zur Pflegeversicherung – 2,49 EUR
Monatlicher Zahlbetrag 133,27 EUR“
Mit Anhörungsschreiben vom 17.07.2012 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger, sie habe festgestellt, dass er bei einem Steuerberater beschäftigt gewesen sei. Das erzielte Einkommen sei auf die Witwerrente anzurechnen (§ 97 Sozialgesetzbuch — Sechstes Buch — SGB VI). Die Beklagte beabsichtige, den Bewilligungsbescheid vom 22.07.2003 mit Wirkung ab 01.07.2003 aufzuheben und die Überzahlung in Höhe von 7.642,68 € zurückzufordern. Denn zum einen sei der Kläger seiner gesetzlichen Mitteilungspflicht nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch — Zehntes Buch — SGB X i.V.m. § 60 Sozialgesetzbuch — Erstes Buch — SGB I). Zum anderen habe er Einkommen erzielt, das zur Minderung seines Rentenanspruchs geführt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Satz 3 SGB X).
Unter dem 18.09.2012 erließ die Beklagte den angekündigten Bescheid und teilte mit, dass seine bisherige große Witwenrente ab 01.07.2003 neu berechnet werde. Für die Zeit ab dem 01.11.2012 würden laufend monatlich 165,19 € gezahlt. Der überzahlte Betrag in Höhe von 7.642,68 € sei zu erstatten. Als „Gründe für die Neuberechnung“ gab sie an, das anzurechnende Einkommen habe sich geändert und es seien andere Beitragssätze zur. Kranken- und Pflegeversicherung maßgebend. In der Anlage 10 „Ergänzende Begründungen und Hinweise“ erklärte die Beklagte, der Rentenbescheid vom 22.07.2003 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.07.2003 nach § 45 SGB X zurückgenommen. Die entstandene Überzahlung sei nach § 50 SGB X zu erstatten. Auf Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, weil er die Rechtswidrigkeit des Bescheides gekannt habe. bzw. hätte erkennen müssen. Zudem hätte er der Beklagten sofort mitteilen müssen, dass er in einem Beschäftigungsverhältnis stehe. Auch im Wege des Ermessens halte die Beklagte die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt.
Mit Schreiben vom 12.10.2012 legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2013 zurückwies.
Mit Schriftsatz vom 22.04.2013, vorab per FAX vom selben Tage, hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, er sei bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 22.07.2003 bereits 77 Jahre alt und in rechtlichen Dingen unerfahren gewesen. Der Bewilligungsbescheid sei mit Informationen „vollgepackt“ gewesen, die der Kläger nicht habe realisieren können. Die Beklagte hätte daher zumindest bei ihm nachfragen müssen. Zu seiner Tätigkeit beim Steuerberater hat er ausgeführt, er habe dort werktäglich von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr in der Poststelle ein oder zwei Stunden zur Verfügung gestanden. Er sei vor allem für die ausgehende Post zuständig gewesen; er habe die Post mit Hilfe der Frankiermaschine frankieren und zum Postamt bringen müssen.
Der Kläger beantragt,
den Rentenbescheid der Beklagten vom 18.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 mit einem Rückforderungsbetrag zu Lasten des Klägers in Höhe von 7.642,48 € für den Rentenzeitraum 01.07.2003 bis 31.10.2012 aufzuheben.
Hilfsweise beantragt der Kläger,
die Beklagte zu verpflichten, über den Rentensachverhalt nebst Rückforderung im Rentenbescheid vom 18.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 für den Rentenzeitraum 01.07.2003 bis 31.10.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, der Kläger hätte beim Rentenversicherungsträger nachfragen können, sollten Passagen des Rentenbescheides für ihn nicht verständlich gewesen sein. Sie meint, einer Rücknahme der Bescheide vom 13.05.2004, vom 06.02.2006 und vom 18.05.2006 habe es nicht bedurft, da diese die Rentenhöhe nicht berührt hätten. Regelungsgehalt dieser Bescheide sei allein die veränderte Einbehaltung von Krankenversicherungsbeiträgen bzw. die Rentenanpassung zum 01.07.2006 gewesen. Die Nennung des Auszahlungsbetrages enthalte keine Regelung. Dazu verweist die Beklagte auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.05.1989 (12 RK 35/88), vom 14.09.1989 (12 RK 9/89), vom 29.10.2002 (B 4 RA 22/02 R), vom 10.04.2003 (B 4 RA 41/02 R), vom 05.09.2006 (B 4 R 71/06 R, Rn 14), vom 30.10.2001 (B 4 RA 122/00 R), vom 23.05.1989 (12 RK 23/88) und vom 14.09.1989 (12 RK. 9/89). Im Übrigen habe sie im Bescheid vom 18.09.2012 ihren unmissverständlichen Willen bekundet, dass den nachfolgenden Bescheiden keine Rechtswirkung hinsichtlich der Rentenhöhe mehr zukomme. Dazu verweist sie auf die Urteile des BSG vorn 10.09.2013 (B 4 AS 89/12 R, Rn 16), vom 08.10.1998 (B 10 LW 3/97 R) und vom 22.03.1995 (10 Rkg 10/89). Die Beklagte habe ihre angefochtenen Bescheide auf § 45 SGB X gestützt. Diese Norm setze voraus, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid schon bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen sei. Möglicherweise sei aber § 48 SGB X einschlägig. Zwar habe der Kläger schon bei Erlass des ursprünglichen Bewilligungsbescheids Arbeitsentgelt erzielt. Allerdings sei dieses in den ersten drei Monaten nicht anrechenbar gewesen. Somit sei der Verwaltungsakt „Rentenhöhe“ zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig gewesen. Dazu verweist die Beklagte auf die Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 07.03.2008 (L 2 281/07) und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.01.2004 (L 13 RJ 115/01). Sei § 48 SGB X einschlägig, komme es auf eine Bösgläubigkeit des Klägers nicht mehr an. Entscheidend sei allein, dass Einkommen erzielt worden sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte auf Nachfrage erklärt, ihres Wissens existierten keine weiteren Bescheide.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit der Rentenbescheid vom 22.07.20003 teilweise und rückwirkend ab dem 01.07.2003 aufgehoben worden ist. Einschlägig ist insoweit § 48 SGB X, der die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse regelt, nicht § 45 SGB X, der die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts regelt. Denn der Bescheid vom 22.07.2003 war bei seinem Erlass noch rechtmäßig. Zwar erzielte der Kläger bereits seinerzeit Erwerbseinkommen. Dieses war jedoch zunächst, nämlich in den ersten drei Monaten, nicht anrechenbar (§ 97 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 67 Nr. 6 SGB VI). Erst mit der Anrechenbarkeit des Erwerbseinkommens nach drei Monaten trat eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X ein.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X soll ein Verwaltungsakt rückwirkend ab Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs führt. Das ist hier der Fall, da der Kläger aus seiner Tätigkeit für einen Steuerberater Erwerbseinkommen erzielte, das nach Erlass des Verwaltungsakts anrechenbar wurde. Ein atypischer Fall, der eine Ermessensentscheidung der Beklagten erforderlich gemacht hätte, ist nicht erkennbar. Daher war der Bescheid vom 22.07.2003 durch die Beklagte rückwirkend aufzuheben, ohne dass es auf ein Verschulden des Klägers ankommt.
Nur ergänzend sei angemerkt, dass auch die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung zumindest nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X erfüllt gewesen sein dürften. Denn indem der Kläger die Beklagte nicht über sein Erwerbseinkommen informierte, verletzte er seine Mitteilungspflicht. Dies geschah grob fahrlässig, da er angesichts der eindeutigen Hinweise im Bescheid vom 22.07.2003 von seiner Mitteilungspflicht wissen musste. Ein Alter von 77 Jahren lässt für sich genommen nicht darauf schließen, dass der Betroffene Hinweise wie im Bescheid vom 22.07.2003 nicht verstehen könnte, zumal wenn er – wie der Kläger — noch in der Lage war, am Erwerbsleben teilzunehmen. Sollten Unsicherheiten über den Umfang seiner Mitteilungspflichten bestanden haben, hätte der Kläger bei der Beklagten nachfragenbkönnen und müssen.
Die angefochtenen Bescheide sind auch rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit die Beklagte eine Erstattung für den Zeitraum bis zum 30.06.2004 geltend gemacht hat. Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich in § 50 Abs. 1 SGB X. Danach sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt (hier: der Rentenbescheid vom 22.07.2003) aufgehoben worden ist.
Die angefochtenen Bescheide sind dagegen rechtwidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, soweit die Beklagte eine Erstattung auch für den Zeitraum ab dem 01.07.2004 geltend gemacht hat. Denn insoweit stehen der Erstattungsforderung die bestandskräftigen Bescheide vom 13.05.2004, vom 06.02.2006 und vom. 18.05.2006 entgegen. In diesen Bescheiden hat die Beklagte jeweils ausdrücklich festgestellt, dass dem Kläger ab einem bestimmten Tag ein bestimmter Betrag gezahlt werden würde. Wenn die Behörde aber nur den ursprünglichen Bewilligungsbescheid aufhebt, nachfolgende Bewilligungsbescheide für überschneidende Bewilligungszeiträume hingegen nicht, ist ein Erstattungsbescheid insoweit rechtswidrig (BSG, Urteil vom 29.11.2012 — B 14 AS 196/11 R). Das ist hier der Fall. Denn die Bescheide vom 13.05.2004, vom 06.02.2006 und vom 18.05.2006 regelten jeweils die Bewilligung von Leistungen:
Ein Verwaltungsakt ist wie jede Willenserklärung im privaten oder öffentlichen Recht nach dem Empfängerhorizont auszulegen. Maßgeblich ist demnach, wie ein verständiger Empfänger nach den Umständen des Einzelfalls den Verwaltungsakt verstehen musste. Es gelten insoweit die aus dem bürgerlichen Recht bekannten Grundsätze (Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 31, Rn 24 f.; Mutschler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 84. Ergänzungslieferung Dezember 2014, § 31 SGB X, Rn 21). Entscheidend ist demnach nicht der innere Wille des Erklärenden, sondern der objektive Erklärungswert seines Verhaltens (Ellenberger, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 133, Rn 9). Maßgebend ist also nicht, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern wie der Empfänger sie verstehen durfte (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 01.03.1979 — 6 RKa 3/78, Rn 24 unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
Das gilt auch für die Frage, inwieweit überhaupt eine Willenserklärung vorliegt (Ellenberger, a.a.O., Rn 9). Im Zweifel — aber auch nur insoweit — ist die Auslegung zu bevorzugen, die zu einem vernünftigen und widerspruchsfreien Ergebnis führt, das den Interessen des Erklärenden wie des Erklärungsempfängers gerecht wird (Ellenberger, a.a.O., Rn 18). Aus dem Verfügungssatz eines Bescheides muss sich nach der Rechtsprechung des BSG vollständig, klar und unzweideutig ergeben, was die Behörde will. Dabei ist es zwar unschädlich, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Bescheides zurückgegriffen werden muss. Keinesfalls darf es aber dem Adressaten des Verwaltungsakts überlassen bleiben, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang einer Leistungsbewilligung zu bestimmen. Denn diese Entscheidung ist von der Behörde zu treffen und dem Adressaten bekannt zu geben (BSG, Urteil vom 29.11.2012 — B 14 AS 196/11 R, Rn 16). Dementsprechend sind Bescheide allenfalls im Zweifel so auszulegen, dass durch sie rechtmäßige Maßnahmen verlautbart werden (BSG, Urteil vom 20.12.2011 — B 4 RA 6/01 R). Soweit dagegen am objektiven Erklärungswert eines Bescheids keine Zweifel bestehen, ist allein dieser Erklärungswert für die Bestimmung des Regelungsgegenstandes maßgeblich, auch wenn der so bestimmte Regelungsgegenstand vom Gesetz nicht vorgesehen sein sollte. Selbst eine rechtswidrige Regelung wäre eine Regelung und könnte, sofern kein Fall des § 40 SGB X vorliegt, bestandskräftig werden.
Diese Maßstäbe gelten auch für die Identifizierung der Regelung eines Bescheides in Abgrenzung von dessen Begründung. Typischerweise sind in einem Bescheid der Verfügungssatz (der die Regelung enthält) und die tragenden Gründe für die Regelung räumlich getrennt (gutschler, a.a.O., Rn 6). Zwar ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich ein Verfügungssatz im Begründungsteil eines Bescheides findet. Dies setzt jedoch voraus, dass sich für einen verständigen Empfänger aus den gesamten Umständen hinreichend deutlich ergibt, dass es sich um die eigentliche Regelung handeln soll (Engelmann, a.a.O., Rn 25a). Dabei können vom Adressaten des Verwaltungsakts jedenfalls keine vertieften Kenntnisse des Rechts und der Rechtsprechung erwartet werden, damit er auf dieser Grundlage als Regelungsgegenstand des Bescheides das identifiziert, was die Behörde zum Regelungsgegenstand hätte machen müssen, nach dem objektiven Erklärungswert des Bescheides aber nicht zum Regelungsgegenstand gemacht hat. Eine gegenteilige Auslegungsregel kann das Sozialgericht auch nicht der Rechtsprechung entnehmen, auf die die Beklagte verweist.
Dabei teilt das Gericht die Auffassung des BSG und der Beklagten, dass der (angepasste) Einbehalt von Beiträgen zur Kranken- und/oder Pflegeversicherung sowie eine daraus resultierende Änderung des Zahlungsbetrages keine Änderung der eigentlichen Rente beinhaltet. Auch ist mit der Feststellung einer Rentenerhöhung nicht zwingend eine erneute Bewilligung der Rente an sich verbunden. Ist im Verfügungssatz eines Bescheides aber gerade nicht ein (angepasster) Einbehalt von Beiträgen bzw. eine Rentenanpassung geregelt, sondern wird (fehlerhaft) ein Zahlungsbetrag genannt, enthält die Nennung des Zahlungsbetrages den Regelungsgegenstand.
Mit Bescheid vom 13.05.2004 hat die Beklagte ausdrücklich festgestellt, dass dem Kläger ab dem 01.07.2004 laufend monatlich 125,24 € gezahlt würden. Mit Bescheid vom 06.02.2006 hat die Beklagte ausdrücklich festgestellt, dass dem Kläger ab. dem 01.04.2006 laufend monatlich 132,71 € gezahlt würden. Mit Bescheid vom 18.05.2006 hat die Beklagte ausdrücklich festgestellt, dass dem Kläger ab dem 01.07.2006 laufend monatlich 133,27 € gezahlt würden. Diese Feststellungen finden sich jeweils am Anfang des jeweiligen Bescheides, und damit an prominenter Stelle. Es folgen die ausdrücklich als solche bezeichneten „Gründe für die Neuberechnung“, Hinweise zum „Beginn der neu berechneten Rente“, zur „Berechnung der Rente“ und schließlich zur „Höhe der laufenden Zahlung“. Erst unter letztgenannter Überschrift folgt die Nennung der eigentlichen Rente und der Beitragsanteile. Es schließen sich Hinweise auf die „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“, auf die Anlage 1 sowie die Rechtsbehelfsbelehrung an. Nach Wortlaut und Gestaltung der Bescheide, die für den objektiven Erklärungswert entscheidend sind, war der jeweils zu Beginn genannte Zahlbetrag als Regelungsgegenstand zu identifizieren. Es verbietet sich, entgegen dem Wortlaut des Bescheides die „Gründe für die Neuberechnung“ nicht als Gründe für die getroffene Regelung zu verstehen, sondern als die Regelung selbst. Ebenso wenig stellen einzelne Bestandteile der unter „Höhe der laufenden Zahlung“ genannten Beträge oder der weiteren Erläuterungen den Verfügungssatz dar. Im Übrigen fällt auf, dass sich mit den Bescheiden vom 06.02.2006 und vom 18.05.2006 entgegen dem Vorbringen der Beklagten jeweils auch die eigentliche Rente erhöhte, sich also nicht nur die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung änderten.
Ferner hat die Beklagte im Bescheid vom. 18.09.2012 keineswegs ihren unmissverständlichen Willen bekundet, dass sie auch die nachfolgenden Bescheide aufheben wolle. Für einen solchen Willen finden sich im Wortlaut des gesamten Bescheides keine Anhaltspunkte. Vielmehr hat die Beklagte ausdrücklich den „Rentenbescheid vom 22.07.2003″ zurückgenommen, wenn auch erst in der Anlage 10 unter der Überschrift „Ergänzende Begründungen und Hinweise“. Es ist daher anzunehmen, dass die Beklagte schlicht vergaß, die Bescheide vom 13.05.2004, vom 06.02.2006 und vom 18.05.2006 aufzuheben, also gerade keinen entsprechenden Willen besaß, den sie stillschweigend oder konkludent zum Ausdruck hätte bringen können. Auch insoweit begründet der Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung des BSG kein anderes Ergebnis. Denn den genannten Urteilen des BSG lagen anders formulierte Bescheide zugrunde. Ob es ausgereicht hätte, wenn die Beklagte die Bewilligung der Rente ab dem 01.07.2003 aufgehoben hätte, ohne einen bestimmten Bewilligungsbescheid zu nennen, kann vorliegend offen bleiben.
Die Verwaltungsakte vom 13.05.2004, vom 06.02.2006 und vom 18.05.2006 mit den genannten Zahlbeträgen stellen damit weiterhin einen rechtlichen Grund für die Leistungen der Beklagten ab dem 01.07.2004 dar. Solange sie nicht wirksam aufgehoben sind, liegen insoweit die Voraussetzungen für eine Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X nicht vor.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Gelle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBI. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Bremen vom 18.12.2006 (Brem. GBI. S. 548) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten derGeschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätien sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei Einlegung der Berufung in elektronischer Form.
gez. Dr. M.
Richter am Sozialgericht
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