Sozialgericht Bremen, Gerichtsbescheid vom 08.02.2017 – S 22 AS 2021/16

IM NAMEN DES VOLKES
GERICHTSBESCHEID

In dem Rechtsstreit

1. G. L., Bremen,
2. A. L., Bremen,
Kläger,

Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az,: – F/2016/035

gegen

Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.:
Beklagter,

hat die 22. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 8. Februar 2017 durch ihren Vorsitzenden, Richter Dr. M., für Recht erkannt:

Der Beklagte wird unter Abänderung der Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 05.09.2016 (W-…) verpflichtet, die im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 01.07.2016 zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Kläger vollständig zu erstatten.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

TATBESTAND

Die Kläger begehren die Übernahme der vollständigen Kosten des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten.

Die am 10.04.1966 geborene Klägerin zu 1) und der am 13.06.1998 geborene Kläger zu 2) standen im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten.

Mit Änderungsbescheid vom 01.06.2016 gewährte der Beklagte den Klägern abweichende Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis zum 31.10.2016. Im Wesentlichen wurde an den Kläger zu 2) kein Regelbedarf gewährt, sondern lediglich die Kosten der Unterkunft und Heizung. Im Rahmen der Berechnungen berücksichtigte der Beklagte Einkommen des Klägers zu 2) aus der Kindergeldzahlung in Höhe von 190,00 Euro und laufende monatliche Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 699,80 Euro.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.07.2016 legten die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.06.2016 ein. Zur Begründung des Widerspruches führte der Prozessbevollmächtigte der Kläger im Wesentlichen aus, dass ein Mietrückstand in Höhe von 206,29 Euro entstanden sei. Infolgedessen wünschen die Kläger, dass die Mietzahlungen und die Zahlungen an den Energieversorger ab Juli 2016 selbst von den Klägern überwiesen werden. Die gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung seinen zu niedrig bewilligt worden. Auch sei der Regelsatz für den Kläger zu 2) nicht gewährt worden. Auch die Anrechnung des Kindergeldes ab Juni 2016 sei rechtswidrig, da die Familienkasse die Zahlung des Kindergeldes ab Juni 2016 eingestellt habe.

Mit Bescheid vom 31.08.2016 gewährte der Beklagte den Kläger abweichende Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis zum 30.10.2016. Zur Begründung der Entscheidung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass ab dem 01.05.2016 der Kläger wieder in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen werde. Ab Juli 2016 werde die Anrechnung des Kindergeldes aus der Berechnung genommen. Im Rahmen der Berechnungen berücksichtigte der Beklagte kein Einkommen des Klägers zu 2) aus der Kindergeldzahlung in Höhe von 190,00 Euro mehr und laufende monatliche Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 781,34 Euro.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2016 (W 4283/16) wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger nach Erteilung des Änderungsbescheides vom 31.08.2016 als unbegründet zurück und entschied zugleich, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet werden könne und das die Zuziehung des Bevollmächtigten als notwendig anerkannt werde. Zur Begründung der Kostenentscheidung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Widerspruch in Bezug auf die Höhe der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung zurückgewiesen wurde. In Bezug auf die Gewährung des Regelsatzes an den Kläger zu 2) sei eine Abhilfe durch den Änderungsbescheid vom 31.08.2016 vorgenommen. Allerdings sei die Nichtgewährung der Leistungen nicht Gegenstand des Änderungsbescheides, da bereits mit dem Ursprungsbescheid vom 27,04.2016 auf Grund des Entziehungsbescheides vom 07.03.2016 keine Leistungen für den Kläger zu 2) gewährt wurden. Soweit mit dem Widerspruch auch die Berücksichtigung der Kindergeldzahlungen angegriffen wurde, sei durch den Änderungsbescheid vom 31.08.2016 keine Abhilfe vorgenommen worden. Allerdings sei dem Beklagten erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens mitgeteilt worden, dass die Kindergeldzahlung eingestellt wurde. Die Nichtberücksichtigung der Änderungen sei allein auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten zurückzuführen, Der Bescheid der Familienkasse vom 14.04.2016 müsste den Klägern bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung auf die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II am 22.04.2016 vorgelegt haben. Trotzdem sei der Bezug von Kindergeld weiterhin uneingeschränkt bejaht worden.

Am 06.10.2016 haben die Kläger mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten Klage beim Sozialgericht Bremen erhoben.

Mit Schreiben vom 21.10.2016 hat der Beklagte ein Anerkenntnis für die Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten zu zwei Drittel abgegeben. Dieses Anerkenntnis haben die Kläger mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.10.2016 angenommen und ihr übriges Begehren weiter verfolgt.

Zur Begründung der Klage führt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen aus, dass der Widerspruch der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 01.06.2016 in allen Punkt erfolgreich gewesen sei.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

den Beklagten unter Aufhebung / Änderung des Änderungsbescheides vom 01.06.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheide vom 05.09.2016 zu verurteilen, die Kosten des Widerspruchsverfahrens vom 01.07.2016 gegen den Änderungsbescheid vom 01.06.2016 nach § 63 I, II SGB X zutragen,

hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, die Kosten des Widerspruchsverfahrens anteilig im vom Gericht festzustellenden Verhältnis des Obsiegens / Unterliegens nach § 63 I, II SGB X zutragen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Im Rahmen des Verfahrens trägt der Beklagte im Wesentlichen vor, dass der zur Übernahme weitergehender Kosten, als mit dem Anerkenntnis erklärt wurde, nicht bereit sei.

Die Beteiligten sind wegen der Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit gerichtlichem Schreiben vom 28.12.2016 angehört worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte das Gericht im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vor Erlass ordnungsgemäß angehört wurden.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthafte und zulässig und ist in der Sache auch begründet.

Die Kostengrundentscheidung des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016 (W… ist rechtswidrig, da die Kläger einen Anspruch auf die vollständige Übernahme, die ihnen im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 05.09.2016 entstandenen notwendigen Aufwendungen Kosten haben.

Anspruchsgrundlage für die Erstattung der im Vorverfahren entstanden Rechtsverfolgungskosten ist § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (Satz 1). Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist (Satz 2).

Eine Kostenerstattung findet nur statt, „soweit“ der Widerspruch erfolgreich ist. Für die Frage, ob der Widerspruch erfolgreich ist, ist zunächst entscheidend, ob ein (förmlicher) Abhilfe- (§ 85 Abs. 1 SGG) oder ein Widerspruchsbescheid (§ 85 Abs. 2 SGG) ergangen ist. Erfolgreich ist der Widerspruch, auf den hin der Verwaltungsakt völlig oder teilweise aufgehoben wird. Indes bedarf die Frage des Erfolgreichseins dann einer Einschränkung, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein anderer Umstand als der Widerspruch dem „Erfolg“ rechtlich zurechenbar ist, also keine ursächliche Verknüpfung zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfs und der begünstigenden Entscheidung der Behörde besteht (vgl. Roos, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 63 Rn. 17f.; Becker, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB X, Lieferung 2/15 September 2015, K § 63 Rn. 27 jeweils m. w. N.). Unerheblich ist, ob die Widerspruchsbegründung kausal für den Widerspruchserfolg war (vgl. KKW/Fichte, 4. Aufl. 2015, § 63 SGB X Rn. 4).

Vorliegend war der Widerspruch gegen den Bescheid vom 01,07.2016 erfolgreich, da der Beklagte mit dem Änderungsbescheid im Widerspruchsverfahren vom 31.08,2016, den Leistungsbescheid geändert hat und zugleich die begehrten Leistungen ohne die Berücksichtigung eines Einkommens aus dem Kindergeldbezug unter Berücksichtigung der vollständigen Kosten der Unterkunft und Heizung und insbesondere auch den Regelbedarf für den Kläger zu 2) gewährt hat und somit dem Widerspruch der Kläger entsprochen hat. Infolgedessen war der Widerspruch unter Berücksichtigung der anzulegenden formalen Betrachtung vollständig erfolgreich, sodass eine Quotelung nicht in Betracht kommt.

Soweit der Beklagte sich zur Ablehnung der Kostenübernahme des Widerspruchsverfahrens auf den Gedanken stützt, dass der Widerspruch nicht erfolgreich war, da nicht der Widerspruch ursächlich für die Entscheidung durch den Änderungsbescheid vom 31.08.2016 gewesen sei, ist dieser Einwand im Ergebnis nicht durchgreifend, da der Widerspruch in diesem Sinne kausal für die Abhilfe durch den Beklagten war und insoweit der Widerspruch erfolgreich war.

Zwar wird in der Rspr. des Bundessozialgerichts eine Ausnahme von der formalen Betrachtung gemacht, wenn ein Antrag auf unzureichender Mitwirkung abgelehnt wurde (vgl. BSG, Urt. v. 21.07.1992, 4 RA 20/91, juris, Rn. 20; Roos, in: v. Wulffen/Schütze (Hrsg.), SGB X, 8. Äufl. 2014, § 63 Rn. 18; Becker, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB X, Lieferung 2/15 September 2015, K § 63 Rn. 28 jeweils m. w. N.), jedoch handelt es sich vorliegend nicht um eine solche Konstellation.

Der Beklagte hat vorliegend nicht die Leistungsgewährung wegen einer unzureichenden Mitwirkung abgelehnt, sondern eine geringere Leistungsgewährung vorgenommen. Zwar ist zutreffend, dass die Kläger erst im laufenden Widerspruchsverfahren den Beklagten über den Wegfall des Einkommens aus dem Kindergeldbezug informiert haben, jedoch führt dies nicht zu einem Wegfall der Kausalität. Ein entsprechendes Mitwirkungsschreiben wurde nicht vorgenommen und die vorliegende Entscheidung des Beklagten wurde nicht auf eine fehlende Mitwirkung gestützt.

Soweit der Beklagte im Rahmen der Kostenentscheidung ausführt, dass die Nichtgewährung des Regelbedarfes an den Kläger zu 2) nicht wegen des Leistungsbescheides vom 01.06.2016 vorgenommen wurde, sondern auf Grundlage des Entziehungsbescheides vom 07.03.2016 ist dies ebenfalls nicht durchgreifend, da aus einer objektiven Sicht eines verständigen Empfängers, der Bescheid vom 01.06.2016 eine Regelung in Bezug auf den Regelbedarf des Klägers zu 2) enthält. Insoweit ist unerheblich, dass schon der Ausgangsbescheid eine solche Regelung enthalten hat. Auch ergibt sich aus dem Vergleich des Leistungsbescheides vom 01.06.2016 und des Abhilfebescheides vom 31.08.2016, dass höhere Leistungen der Kosten der Unterkunft und Heizung, entsprechend dem Begehren der Kläger im Widerspruchsverfahren gewährt wurden. Unter Berücksichtigung dieser Sachlage war der Widerspruch der Kläger vollständig erfolgreich.

Auch die weiteren genannten Ausnahmen, die einer Kausalität entgegenstehen können, liegen nicht vor, dass der Widerspruch nicht nur erfolgreich war, sondern auch kausal für die Abhilfeentscheidung des Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

RECHTSBEHELFSBELEHRUNG

Dieser Gerichtsbescheid kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.

Die Nichtzulassung der Berufung kann mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBI. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerde soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass

a. ) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
b. ) der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der oberen Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
c. ) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Ist der Gerichtsbescheid im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.

Die Beteiligten können schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Bremen vom 18.12.2006 (Brem. GBl. S. 548) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen auch mündliche Verhandlung beantragen. Wird ein solcher Antrag rechtzeitig gestellt, so gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen; andernfalls steht er einem rechtskräftigen Urteil gleich. Wird sowohl Beschwerde erhoben alals auch mündliche Verhandlung beantragt, findet (nur) mündliche Verhandlung statt.

gez. Dr. M. Richter

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