Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 21.11.2014 – S 21 AS 2120/14 ER
Beschluss
In dem Rechtsstreit
I. K., Bremen,
Antragsteller,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – F/2014/052 (EA) –
gegen
Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.: Antragsgegner,
hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 21. November 2014 durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht K., beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 21.10.2014 (Az. S 21 AS 2022/14) gegen die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 11.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2014 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Dem Antragsteller wird für das eratinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Freddy Beier als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
GRÜNDE
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes über die Rechtmäßigkeit einer Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt.
Der Antragsteller befindet sich im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Am 29.04.2014 schloss er mit dem Antragsgegner eine bis zum 31.10.2014 gültige Eingliederungsvereinbarung ab, die eine Teilnahme des Antragstellers an der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme „K-Zentrum …“ ab dem 02.04.2014 vorsah. Mit Schreiben vom 08.08.2014 kündigte der Antragsgegner diese Eingliederungsvereinbarung mit Wirkung zum 12.08.2014. Zur Begründung gab er an, dass der Antragsteller zum 05.08.2014 die genannte Maßnahme aufgrund deren Unvereinbarkeit mit den Betreuungspflichten für die Kinder während der Ferienzeit beendet habe. Eine Abänderung der Eingliederungsvereinbarung habe der Antragsteller abgelehnt. Der Antragsteller erließ daraufhin die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 11.08.2014 (im Folgenden: EVA) für den Zeitraum vom 08.08.2014 bis 07.02.2015. Am 13.08.2014 legte der Antragsteller gegen die EVA Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2014 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Die EVA sei rechtmäßig.
Am 21,10.2014 hat der Antragsteller gegen den Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht Bremen Klage erhoben, die unter dem Az. S 21 AS 2022/14 geführt wird. Er trägt zu deren Begründung u.a. vor, dass es bereits fraglich sei, ob der Antragsgegner die Eingliederungsvereinbarung vom 29.04.2014 überhaupt einseitig gekündigt werden konnte. Dies richte sich nach § 59 Abs. 1 und 2 SGB X. Der Antragsgegner habe gar nicht versucht die Eingliederungsvereinbarung vom 29.04.2014 anzupassen. Die Kündigung sei daher unwirksam, so dass die Eingliederungsvereinbarung bis zum 31.10,2014 weiterhin Gültigkeit besitze.
Am 04.11.2014 hat der Antragsteller darüber hinaus den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim Sozialgericht Bremen gestellt. Hinsichtlich dessen Begründung verweist er auf seinen Vortrag in dem oben genannten Klageverfahren.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 21.10.2014 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 11.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vorn 16 10.2014 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf den Inhalt der Leistungs- und der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist statthaft und begründet.
Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II hat eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung. Damit hat die am 21.10.2014 gegen die EVA vom 11.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2014 erhobene reine Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat dann zu erfolgen, wenn der zugrundeliegende Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist. Denn in diesen Fällen ist ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit generell nicht gegeben. Erweist sich der Verwaltungsakt jedoch nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen nur summarischen Prüfung als rechtmäßig, hat eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu unterbleiben. Sind die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung dagegen nicht hinreichend sicher abschätzbar, muss eine allgemeine Interessenabwägung erfolgen. Hierfür gilt, dass je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringere Anforderungen an das Aussetzungsinteresse zu stellen sind. Auszuschließen sind zudem schwere und unzumutbare Nachteile für den Betroffenen. Bei der Interessenabwägung ist auch das vom Gesetzgeber vorgesehene Regel-/Ausnahmeverhältnis für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung zu beachten (vgl. im Einzelnen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b An. 12ff. m. w. N.).
Vorliegend ist die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 11.08.2014 bei summarischer Prüfung des Sachverhaltes rechtswidrig. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Kommt eine solche Eingliederungsvereinbarung. nicht zustande, soll sie durch Verwaltungsakt erfolgen, § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil zum Zeitpunkt des Erlasses der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 11.08.2014 zwischen den Beteiligten die Eingliederungsvereinbarung vom 29.04.2014 weiterhin wirksam war. Diese galt ausdrücklich bis zum 31.10.2014 soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart werde. Da nach dem Akteninhalt und dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten keine weitere Eingliederungsvereinbarung zwischen den Beteiligten in dem Geltungszeitraum abgeschlossen worden ist, wirkte diejenige vom 29.04.2014 bis zum 31.10.2014 fort. Bereits der ausdrückliche Wortlaut von § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II schließt aus, dass der Antragsgegner eine bereits abgeschlossene und weiterhin geltende Eingliederungävereinbarung durch eine solche durch Verwaltungsakt ersetzt wird (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.03.2012, Az. L 5 AS 509/11 B ER m.w.N.). Die Eingliederungsvereinbarung vom 29.04.2014 ist nicht durch den Antragsgegners vor Erlass der EVA vom 11.08.2014 wirksam gekündigt worden. Da die Eingliederungsvereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 06.12.2012, Az. B 11 AL 15/11 R und Urteil vom 02.04.2014, Az. B 4 AS 26/13 R), ist die Wirksamkeit einer Kündigung durch einen Beteiligten an § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu messen. Danach gilt: Haben die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, sich seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist, so kann diese Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen oder, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen. Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass dem Antragsgegner, der die Kündigung ausgesprochen hat, ein Festhalten an der Eingliederungsvereinbarung vom 29.04.2014 nicht zuzumuten war. Insbesondere ist diese nicht durch den in dem Kündigungsschreiben vom 08.08.2014 angegebenen Grund, Beendigung der Teilnahme und Austritt aus der Maßnahme „K-Zentrum …“ gerechtfertigt. Obwohl die Teilnahme an dieser Veranstaltung sicherlich eine der wesentlicheren Pflichten des Antragstellers aus der Eingliederungsvereinbarung darstellt, kann allein deren mangelnde Befolgung nicht zu einer Kündigung führen, da aufgrund der anderweitigen ihm auferlegten Pflichten, wie z.B. die Vornahme von (eigenständigen) Bewerbungsbemühungen, die Eingliederungsvereinbarung weiterhin ihren Zweck, den Antragsteller hinsichtlich der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern und zu fordern, gerecht wird. Des Weiteren wäre der Antragsgegner bei einer fortdauernden Gültigkeit der Eingliederungsvereinbarung nicht rechtlos. Er könnte die Nichteinhaltung der Pflicht zur Teilnahme an der o.g. Maßnahme und andere Pflichtverletzungen nach §§ 31, 31a SGB II sanktionieren.
Die Rechtswidrigkeit der EVA vom 11.08.2014 dauert über den Gültigkeitszeitraum der Eingliederungsvereinbarung vom 29.04.2014, also über den 31.10.2014 hinaus, an. Denn auch für die Zeit ab dem 01.11.2014 lagen die Voraussetzungen für den Erlass der EVA nicht vor.
Die Verhandlungen zwischen den Beteiligten über eine Abänderung der Eingliederungsvereinbarung bzw. über deren Neuabschluss fanden bereits im August 2014 statt. Da die Eingliederungsvereinbarung das Kerninstrument aktiv kooperativer Eingliederungsbemühungen ist und als zentrales Planungs-,. Steuerung- und Evaluationsinstrument des Eingliederungsprozesses idealtypisch Raum für eine flexible, passgenaue und bedürfnisgerechte Leistungsgestaltung lassen soll (vgl. Berlit: LPK-SGB 11, 4. Auflage 2011, § 15 Rn. 1 und 7), muss der Erlass einer Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt zeitnah nach dem Scheitern der Verhandlungen über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung erfolgen. Ansonsten könnte aufgrund etwaiger Veränderungen z.B. in der persönlichen oder beruflichen Situation des Leistungsempfängers die EVA nicht mehr ein solches Instrument zu dessen Eingliederung in den Arbeitsmarkt darstellen, weil die auferlegten Pflichten der Lebenssituation des Leistungsempfängers ggf. nicht mehr entsprächen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
gez. K.
Richter am Sozialgericht
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