SG Hannover, Beschluss vom 22.08.2016 – S 21 AS 2802/16 ER

BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit

U. G., Bruchhausen-Vilsen
– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen

gegen

Jobcenter im Landkreis Diepholz, Amtshof 3, 28857 Syke
– Antragsgegner –

hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Hannover am 22. August 2016 durch die Richterin am Sozialgericht B. beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18.08.2016 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 28.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2016 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe
I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt.

Der Antragsteller befindet sich im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Nach Aktenlage erging mit Datum 17.03.2016 ein eine Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt an den Antragsteller, der die Verpflichtung enthielt, dass sich der Antragsteller in der Zeit vom 17.03.2016 bis 15.10.2016 auf Vermittlungsvorschläge des Antragsgegners zeitnah zu bewerben sowie eigene Bewerbungsbemühungen zu entfalten und mindestens 12 Bewerbungen im Monat nachzuweisen habe. Ferner wurde der Antragsteller verpflichtet, an der Maßnahme „Jobcoach“ vom 04.04.2016 bis 03.10.2016 teilzunehmen. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch und Klage (S 43 AS 1321/16) und beantragte zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (S 43 AS 1514/16 ER). Mit Beschluss vom 31.05.2016 ordnete das hiesige Gericht im Eilverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 17.03.2016 an.

Am 28.06.2016 erließ der Antragsgegner einen neuen Eingliederungsverwaltungsakt, der die Verpflichtung enthielt, dass sich der Antragsteller in der Zeit vom 28.06.2016 bis 04.03.2017 auf Vermittlungsvorschläge des Antragsgegners zeitnah zu bewerben sowie eigene Bewerbungsbemühungen zu entfalten und mindestens 12 Bewerbungen im Monat nachzuweisen habe. Ferner wurde der Antragsteller verpflichtet, an der Maßnahme „Jobcoach“ vom 05.09.2016 bis 04.03.2017 teilzunehmen.

im Rahmen des Klageverfahrens S 43 AS 1321/16 gab der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 30.06.2016 ein Anerkenntnis hinsichtlich des Begehrens auf Aufhebung des Eingliederungsverwaltungsakts vom 17.03.2016 ab.

Gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 28.06.2016 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 11.07.2016 Widerspruch ein.

Am 25.07.2016 hat der Antragsteller beim erkennenden Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Der Antragsgegner habe keinen zweiten Eingliederungsverwaltungsakt erlassen dürfen, soweit der Eingliederungsverwaltungsakt vom 17.03.2016 noch gültig gewesen sei. Zudem habe der Antragsgegner trotz Überschreitens der regelmäßigen Gültigkeitsdauer kein Ermessen ausgeübt. Darüber hinaus habe der Antragsteller keine Gelegenheit gehabt, die Inhalte des Eingliederungsverwaltungsakts vorab zu prüfen.

Den Widerspruch des Antragstellers vom 11.07.2016 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 27.07.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller am 18.08.2016 Klage erhoben (S 21 AS 3133/16).

Der Antragsteller beantragt nunmehr,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18.08.2016 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 28.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2016 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verteidigt die getroffenen Entscheidungen. Der Eingliederungsverwaltungsakt sei rechtmäßig ergangen. Der vorangegangene Eingliederungsverwaltungsakt vom 17.03.2016 sei aufgrund des Beschlusses im Eilverfahren schwebend unwirksam gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der den Antragssteller betreffenden Verwaltungsakte des Antragsgegners und auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.

Der Antrag ist statthaft als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. Nach dieser Norm kann das Gericht der Hauptsache in denjenigen Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Hier hat die Klage des Antragsstellers gegen den Bescheid vom 27.07.2016 keine aufschiebende Wirkung, da die üblicherweise diesen Rechtsbehelfen zukommende aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG) hier kraft Gesetzes gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG iVm. § 39 Nr. 1 SGB II entfällt.

Die aufschiebende Wirkung ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des Antragstellers daran überwiegt und die Behörde keine Umstände dargelegt hat, die einen Vorrang an der alsbaldigen Vollziehung erkennen lassen. Maßgeblich für die Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Begehrens des Antragstellers in der Hauptsache. Je größer diese sind, desto eher überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 12e ff.).

Gemessen an diesen Voraussetzungen hat der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes Erfolg. Der angefochtene Eingliederungsverwaltungsakt erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 28.06.2016 sieht eine Geltungsdauer von etwa 8 Monaten vor. Gemäß § 15 Abs. 1 S. 3 SGB II soll eine Eingliederungsvereinbarung für 6 Monate geschlossen werden. Demnach ist eine Abweichung nur in atypischen Sonderfällen möglich und ein Ermessen des Jobcenters eröffnet (vgl. Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 15, Rn. 140). Zwar verweist Satz 6 des § 15 Abs 1 SGB II wegen des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts allein auf „die Regelungen nach Satz 2“. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass der Grundsicherungsträger die Geltungsdauer eines ersetzenden Verwaltungsakts ohne Bindung an die Vorgabe des Satzes 3 nach freiem Ermessen festlegen können sollte. Nach § 15 Abs 1 Satz 3 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden. Aufgrund des Verhältnisses der Regelungen in Satz 1 und 2 des § 15 Abs 1 SGB II zu Satz 6 dieser Vorschrift gilt dies auch für den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 — B 14 AS 195/11 R BSGE 113, 70-75, SozR 4-4200 § 15 Nr 2, Rn. 20). Vorliegend hat der Antragsgegner entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von ca. 8 Monaten angeordnet. Allein der Hinweis auf die Dauer der Maßnahme ist insoweit nicht ausreichend.

Darüber hinaus bestehen ernstliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts insoweit, als dieser während der Geltungsdauer des vorangegangenen Eingliederungsverwaltungsakts vom 17.03.2016 ergangen ist. Letzterer wurde erst nach Erlass des hier streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakts von dem Antragsgegner im Klageverfahren S 43 AS 1321/16 aufgehoben. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 17.03.2016 mit den dort für den Antragsteller geregelten Pflichten zu Eigenbemühungen ist mit der Zustellung an den Antragsteller wirksam geworden ist (vgl. § 39 Abs. 1 SGB X). Mit der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts ist die Verwaltung indes an ihn gebunden, selbst wenn der Bescheid noch angefochten werden kann oder bereits angefochten ist (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 02. August 2011 — L 7 AS 2367/11 ER-B Rn. 7, juris m.w.N.). Die eingetretene Wirksamkeit hätte der Antragsgegner nur durchbrechen können, wenn er ihn unter Beachtung der §§ 44 ff. SGB X zurückgenommen oder im Sinne einer Abänderung ganz oder teilweise aufgehoben hätte (vgl. auch § 39 Abs. 2 SGB X). Eine derartige Korrektur ist im Bescheid vom 28.06.2016, der während der Zeit ergangen ist, für den der Bescheid vom 17.03.2016 Geltung beansprucht, jedoch gerade nicht erfolgt (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 02. August 2011 — L 7 AS 2367/11 ER-B Rn. 7, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zu¬lässig (§ 172 SGG). Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim Sozialgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBI. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 173 SGG). Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

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