AG Bremen, Beschluss vom 27.05.2016 – 71a F 702/15 SO

Die Entscheidung wurde am 21.10.2016 durch das OLG Bremen abgeändert.

Amtsgericht Bremen
Beschluss

In der Kindschaftssache
betreffend die elterliche Sorge für …

hat das Amtsgericht – Familiengericht – Bremen-Blumenthal durch den Richter am Amtsgericht O. am 27.05.2016 beschlossen:

Der Kindesmutter wird bei Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Übrigen das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind …, geboren am …, übertragen.

Die Gerichtskosten tragen die Kindeseltern jeweils zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kindeseltern sind getrennt lebende Eheleute. Die Kindesmutter ist polnische Staatsangehörige, der Kindesvater ist deutscher Staatsangehöriger. Am 21.01.2014 ist … als gemeinsames Kind der Kindeseltern geboren. Die Kindesmutter ist kurz vor der Geburt des Kindes von Polen nach Deutschland übergesiedelt.

Die Kindeseltern leben seit September 2015 voneinander getrennt. Seitdem lebt … im Haushalt der Kindesmutter. Die Kindeseltern haben sich mit gerichtlichem Vergleich vom 03.09.2015 im einstweiligen Anordnungsverfahren (Geschäftsnummer 71a F 594/15 EASO) darüber geeinigt, dass … bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens seinen Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter hat. Mit gerichtlichem Zwischenvergleich vom 10.03.2016 (Geschäftsnummer 71a F 112/16 UG) haben die Kindeseltern eine Umgangsregelung getroffen, die dem Kindesvater ein weiträumiges Umgangsrecht mit … einräumt.

Die Kindesmutter beantragt, ihr das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für … zu übertragen. Der Kindesvater ist dem Antrag entgegengetreten und beantragt, es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge zu lassen.

Das Gericht hat die Kindeseltern persönlich angehört. Das Jugendamt wurde angehört.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage, welcher Elternteil besser geeignet ist, … zu erziehen und zu betreuen, durch Einholung eines schriftlichen familienpsychologischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens vom 14.03.2016 (BI. 31 ff. d. A.) sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 26.05.2016 Bezug genommen.

II.

Der Kindesmutter war auf ihren Antrag das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, so kann jeder Elternteil gemäß § 1671 Abs. 1 S. 1 BGB beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 BGB stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Das ist hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts hier der Fall.

1. Es bedurfte im vorliegenden Fall hinsichtlich des Teilbereichs der Aufenthaltsbestimmung einer Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für … Die Kindeseltern sind sich über den Aufenthalt von … nicht einig. Die Kindesmutter macht geltend, dass … seinen Aufenthalt bei ihr haben soll. Der Kindesvater strebt ein sog. Wechselmodell an, d.h. … soll nach seinem Wunsch seinen Aufenthalt etwa in gleichem Umfang im Wechsel entweder bei der Kindesmutter oder bei ihm nehmen.

2. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für … war gemäß § 1671 Abs. 1 BGB auf die Kindesmutter zu übertragen.

a) Zunächst war festzustellen, dass die Praktizierung eines Wechselmodells dem Wohl des Kindes hier nicht gerecht wird. Die Sachverständige ist in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass häufig wechselnde Übernachtungen unter Kontinuitätsgesichtspunkten für … aufgrund seines jungen Alters sowie der Kooperations- und Kommunikationsschwierigkeiten der Eltern untereinander eine starke Belastung für das Kind darstellen können. Daher sei aus psychologischer Sicht dem Residenzmodell gegenüber dem Wechselmodell der Vorzug zu geben. Diese Einschätzung schließt das Gericht sich an.

Aus den wiedergegebenen Äußerungen der Kindeseltern gegenüber der Sachverständigen über den jeweils anderen Elternteil und den jüngsten Geschehnissen wird deutlich, dass zwischen beiden erhebliche Vorbehalte bestehen. So bezeichnete die Kindesmutter den Kindesvater als aggressiv und gefährlich (Seite 13 des Gutachtens), während der Kindesvater nach dem Auszug der Kindesmutter im Hinblick auf eine angeblich bedenkliche Wohnsituation in deren Haushalt einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt angezeigt und am 14.01.2016 … aufgrund von Hautverletzungen am Arm wegen angeblicher Misshandlung seitens der Kindesmutter beim Kinderarzt vorgestellt hat (Seite 37 des Gutachtens). Am 07.02.2016 gab es einen Vorfall, bei dem es zu einer Eskalation zwischen den Kindeseltern im Rahmen einer Übergabe des Kindes gekommen ist. Hieraus wird deutlich, dass die für die Einrichtung eines Wechselmodells erforderliche Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Kindeseltern nicht gegeben ist.

b) Ein Aufenthalt des Kindes … bei der Kindesmutter entspricht dem Kindeswohl am besten. Zwar hat die Sachverständige überzeugend dargelegt, dass bei beiden Eltern in gleicher Weise eine gute Erziehungseignung und Förderkompetenz gegeben ist und auch gute Bindungen von … zu beiden Elternteilen vorliegen. Gleichwohl spricht der Grundsatz der Kontinuität dafür, dass … weiterhin bei seiner Mutter lebt. Die Sachverständige hat hierzu in ihrem Gutachten und bei ihrer mündlichen Anhörung erläutert, dass die Kindesmutter seit der Geburt des Kindes überwiegend dessen Versorgung und Pflege übernommen hat. Während des ehelichen Zusammenlebens fand nach den Ausführungen der Sachverständigen insoweit eine klassische Rollenverteilung statt, wobei der Kindesvater einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist bzw. die Ausübung einer solchen gegenüber der Kindesmutter vorgetäuscht und hierzu die eheliche Wohnung verlassen hat. Die Kindesmutter war in Bezug auf die Versorgung und Pflege des Kindes in dieser Zeit auf sich allein gestellt. Der Kindesvater ist für … Spielgefährte und männliche Identifikationsfigur, während die Kindesmutter die primäre Bezugsperson des Kindes darstellt. Die Ausführungen der Sachverständigen sind schlüssig und überzeugend. Sie werden vom Gericht in vollem Umfang geteilt. Auch die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt sprechen sich für einen Verbleib des Kindes bei der Kindesmutter aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

Rechtsbehelfsbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats bei dem Amtsgericht Bremen-Blumenthal, Landrat-Christians-Str. 67, 28779 Bremen¬Blumenthal, einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch die Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Darüber hinaus können Behörden Beschwerde einlegen, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Ein Kind, für das die elterliche Sorge besteht oder ein unter Vormundschaft stehendes Mündel kann selbstständig ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters Beschwerde einlegen, wenn es über 14 Jahre alt und nicht geschäftsunfähig ist.

Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

Die Beschwerde soll begründet werden.

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