OLG Bremen, Beschluss vom 12.07.2017 – 4 UF 72/17

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Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Geschäftszeichen: 4 UF 72/17 = 67 F 1486/17 Amtsgericht Bremen

Beschluss

In der der Familiensache

betreffend
…,
Betroffener

Verfahrensbeiständin:
Dipl.-Psych. L. L., Bremen,

Beteiligte:
1. B. M., Bremen,
2. T. Z., Bremen,

Verfahrensbevollmächtigter zu 1 und 2:
Rechtsanwalt Heino Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen,
Geschäftszeichen: H/2017/024

3. Amt für Soziale Dienste, Sozialzentrum Hemelingen/Osterholz, Pfalzburger Str. 69 A, 28207 Bremen,

hat der 4. Zivilsenat – Senat für Familiensachen – des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Haberland, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Röfer sowie den Richter am Oberlandesgericht Dr. Schnelle am 12.07.2017 beschlossen:

Die Beschleunigungsbeschwerde der Kindeseltern gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 07.06.2017 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kindeseltern.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf € 1.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kindeseltern rügen, dass die bisherige Verfahrensdauer in der vorliegenden Kindschaftssache nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach § 155 Abs. 1 FamFG entspricht (Beschleunigungsrüge).

Durch Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 13.01.2017 (Geschäfts-Nr. 67 F 124/17 EASO) wurde den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, öffentliche Hilfen zu beantragen, für ihren Sohn … vorläufig entzogen und dem Amt für Soziale Dienste als Pfleger übertragen. … befindet sich aktuell im Hermann Hildebrandt Haus. Diesen Beschluss hat der Senat im Beschwerdeverfahren bestätigt (Gesch.-Nr. 4 UF 31/17).

Durch Antrag vom 05.05.2017, der am gleichen Tag beim Amtsgericht Bremen eingegangen ist, beantragten die Kindeseltern, den Umgang mit ihrem Sohn zu regeln. Durch Beschluss vom 10.05.2017 hat das Amtsgericht den bereits in den parallel geführten Sorgeverfahren bestellten Verfahrensbeistand bestellt und mit Verfügung vom gleichen Tage einen Erörterungstermin für den 01.06.2017 anberaumt. Mit Schreiben vom 11.05.2017 und 18.05.2017 teilte die Amtsvormündin mit, dass sie wegen Dienstabwesenheit an dem Termin vom 01.06.2017 nicht teilnehmen könne. Sie bat gleichzeitig um Terminsverlegung, da sie ihre Anwesenheit für zwingend notwendig erachte. Mit Schreiben vom 23.05.2017 wies die Amtsvormündin darauf hin, dass der Kinderarzt von … in einer Untersuchung des Anus eine deutliche Enge festgestellt habe, welche auch narbig verursacht worden sein könne. Deshalb sei ein Operationstermin für den 09.06.2017 in der Kinderklinik angesetzt worden. Es sei zwingend erforderlich, den abschließenden Befund abzuwarten, bevor das Umgangsverfahren weitergeführt werde. Durch Verfügung vom 24.05.2017 hob das Amtsgericht den Termin vom 01.06.2017 auf und beraumte einen neuen Termin für den 14.07.2017 an. Begründet wurde die Terminsverlegung damit, dass wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zunächst das Ergebnis der Untersuchung in der Kinderklinik vom 09.06.2017 abgewartet werden solle und die Vertreterin der Amtsvormundschaft am 01.06.2017 verhindert sei. Mit Schreiben vom 24.05.2017 bat der Verfahrensbeistand wegen urlaubsbedingter Ortsabwesenheit vom 04.07.2017 bis 24.07.2017 um erneute Terminsverlegung. Der Termin wurde sodann vom 14.07.2017 auf den 27.07.2017 verlegt.

Mit Schriftsatz vom 30.05.2017 legten die Kindeseltern Beschleunigungsrüge nach § 155b FamFG ein. Zur Begründung führten sie aus, dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspreche. Anders als in § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG statuiert, finde ein Erörterungstermin nicht spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens, sondern erst nach zehn Wochen statt, obwohl die Amtsvormündin mitgeteilt habe, dass sie ab dem 13.06.2017 wieder Termine wahrnehmen könne. Warum das Gericht aber gleichwohl Termin erst am 14.07.2017 angesetzt habe, sei auch unter Berücksichtigung des Untersuchungstermins vom 09.06.2017 nicht ersichtlich. Zudem sei zu beachten, dass der fehlende Umgang auch das Gutachten im parallelen Sorgerechtsverfahren beeinflussen könne.

Durch Beschluss vom 07.06.2017 hat das Amtsgericht die Beschleunigungsrüge der Kindeseltern zurückgewiesen, weil ein Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot nicht vorliege. Die Terminsverlegungen seien deshalb erforderlich gewesen, weil die Anwesenheit der Kindeseltern, der Amtsvormündin und des Verfahrensbeistandes für zwingend erforderlich erachtet werde und zudem die Untersuchung … in der Kinderklinik habe abgewartet werden sollen. Eine Terminierung zu einem früheren Zeitpunkt sei nicht möglich, weil sich der zuständige Dezernent vom 08.06.2017 bis 04.07.2017 nicht im Dienst befinde.

Mit Schriftsatz vom 14.06.2017 legten die Kindeseltern gegen den ihnen am 12.06.2017 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 07.06.2017 Beschleunigungsbeschwerde nach § 155c FamFG ein. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liege sehr wohl ein Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot vor. Das ergebe sich schon daraus, dass zwischen Eingang des Umgangsantrages am 05.05.2017 und dem nunmehr für den 27.07.2017 bestimmten Termin 12 Wochen, also fast drei Monate, lägen. Entgegen der Auffassung des Familiengerichts hätte am Termin vom 01.06.2017 auch in Abwesenheit der Amtsvormündin festgehalten werden können, da dieser auch noch nach dem Termin rechtliches Gehör hätte gewährt werden können. Hierfür wäre auch genügend Zeit gewesen, weil sich der zuständige Dezernent erst ab dem 08.06.2017 nicht mehr im Dienst befunden habe.

II.

Die Beschleunigungsbeschwerde der Kindeseltern ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 155c Abs. 1 und 2 FamFG eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet, denn die bisherige Verfahrensdauer des familiengerichtlichen Verfahrens widerspricht nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG.

Nach § 155c Abs. 3 Satz 1 FamFG hat das Beschwerdegericht, soweit das Amtsgericht einen Beschluss nach § 155b Abs. 2 Satz 1 FamFG gefasst hat, auf die Beschleunigungsbeschwerde hin festzustellen, ob die bisherige Dauer des Verfahrens dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt wurde, ist dabei nach Auffassung des Gesetzgebers nicht möglich (BT-Drs. 18/9092, S. 19; vgl. auch OLG Bremen, FamRZ 2017, 984, 985; OLG Stuttgart, MDR 2017, 580; Keu- ter, FamRZ 2016, 1817, 1821). Ein Maßstab für diese Frage ist die Orientierung am Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt, denn  Beschleunigung ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, dass die Entscheidung in der Sache nicht durch bloßen Zeitablauf faktisch präjudiziert wird (BT-Drs. 18/9092, a.a.O.; OLG Bremen, a,a.O.; Keuter, a.a.O.; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 19. Aufl., § 155c Rn. 8). Diese Gefahr besteht in den in § 155 Abs. 1 FamFG genannten Kindschaftssachen ganz besonders, weil sich während des Verfahrens Bindungs-und Beziehungsverhältnisse – einschließlich eines etwaigen Kontaktabbruchs – verfestigen oder verändern können und eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann (BT-Drs. 18/9092, a.a.O.; OLG Bremen, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; Keuter, a.a.O.). Das Beschwerdegericht hat unter Zugrundelegung dieser Faktoren deshalb darüber zu entscheiden, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat (BT-Drs. 18/9092, a.a.O.; OLG Bremen, a.a.O.). Dabei ist nicht von dem Maßstab eines idealen Richters auszugehen, sondern es ist anhand des konkreten Einzelfalles ein objektiver Maßstab anzulegen (BT-Drs. 18/9092, a.a.O.; OLG Bremen, a.a.O.; Keidel/Meyer-Holz, a.a.O.).

Nach diesen Voraussetzungen entspricht der bisherige Ablauf des vorliegenden familiengerichtlichen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes des § 155 Abs. 1 FamFG.

Nach Eingang des Umgangsantrages am 05.05.2017 hat das Amtsgericht entsprechend den Vorgaben des § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG zunächst einen Termin für den 01.06.2017 anberaumt. Die Verlegung dieses Termins verstößt nicht gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG. Denn diese rechtfertigt sich zum einen daraus, dass die Amtsvormündin an dem Tag verhindert war und zudem der Kinderarzt von … aufgrund durchgeführter Untersuchungen den Verdacht des sexuellen Missbrauches äußerte. Da dieser Verdacht durch die am 09.06.2017 angesetzte Untersuchung mit Durchführung einer Rektoskopie unter Vollnarkose geklärt werden sollte, hätte ein zu einem früheren Zeitpunkt angesetzter Termin das Verfahren nicht fördern können; eine Umgangsregelung bei Verdacht des sexuellen Missbrauchs wäre nicht in Betracht gekommen.

Auch der Umstand, dass ein neuer Termin dann zunächst erst für den 14.07.2017 anberaumt wurde, verstößt im konkreten Fall nicht gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot. Die Anberaumung der Erörterung zu diesem Termin beruht darauf, dass sich der zuständige Dezernent beim Amtsgericht in der Zeit vom 08.06.2017 bis einschließlich 04.07.2017 nicht im Dienst befand. Zwar wäre es auch denkbar gewesen, einen Termin während der Abwesenheit des zuständigen Dezernenten anzuberaumen und die Entscheidung über den Umgang einem Vertreter zu überlassen. Angesichts des Umstandes, dass vor dem zuständigen Dezernenten parallel anhängige Sorgeverfahren geführt werden (Gesch.-Nr. 67 F 124/17 EASO und 67 F 125/17 SO), deren Umfang und Schwierigkeitsgrad dem Senat durch das Beschwerdeverfahren im einstweiligen Anordnungsverfahren (Gesch.-Nr. 67 F 124/17 EASO = 4 UF 31/17) bekannt sind, bestand jedoch ein sachlicher Grund dafür, dass der Erörterungstermin vom zuständigen, in die Sache eingearbeiteten Dezernenten nach seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Das entspricht im Übrigen auch dem Rechtsgedanken des § 23b Abs. 2 S. 1 GVG, wonach alle Familiensachen, die denselben Personenkreis betreffen, derselben Abteilung eines Familiengerichts zugewiesen, also grundsätzlich vom selben Familienrichter entschieden werden sollen.

Auch die erneute Verlegung vom 14.07.2017 auf den 27.07.2017 ist noch mit dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot vereinbar. Die Verlegung auf einen früheren Termin war wegen der urlaubsbedingten Ortsabwesenheit des Verfahrensbeistandes nicht möglich. Angesichts der parallel mit dem gleichen Verfahrensbeistand geführten Sorgerechtsverfahren ist die Anwesenheit des Verfahrensbeistands im Erörterungstermin erforderlich. Die insoweit eingetretene weitere geringfügige Verzögerung ist nach den oben genannten Maßstäben noch hinnehmbar.

Insgesamt war die Beschleunigungsbeschwerde der Kindeseltern deshalb zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswertes richtet sich nach § 42 Abs. 2 FamGKG (vgl. dazu H. Schneider, FamRB 2016, 479, 482).

 

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